Maaßen verwarf
jede einseitige Begünstigung eines Zweiges der Produktion, er rechnete
auf das Ineinandergreifen von Ackerbau, Gewerbe und Handel und
betrachtete die Schutzzölle nur als einen Notbehelf, um die deutsche
Industrie allmählich zu Kräften kommen zu lassen. Schon bei der ersten
Revision des Tarifs im Jahre 1821 tat man einen Schritt weiter im
Sinne des Freihandels, vereinfachte den Tarif und setzte mehrere Zölle
herab. Während das Gesetz von 1818 für die westlichen Provinzen
einen eigenen Tarif mit etwas niedrigeren Sätzen aufgestellt hatte, fiel
jetzt der Unterschied zwischen den Provinzen hinweg; die Zollrolle von
1812 bildete in Form und Einrichtung die Grundlage für alle späteren
Tarife des Zollvereins.
Derweil der Staatsrat diese Reform zum Abschluß brachte, erging sich
die unreife nationalökonomische Bildung der Zeit in widersprechenden
Klagen. Die Massen meinten die Verteuerung des Lebensunterhalts
nicht ertragen zu können, die Fabrikanten sahen »dem englischen
Handelsdespotismus« Tür und Tor geöffnet und bestürmten den Thron
abermals mit so verzweifelten Bittschriften, daß der König, obwohl
selbst mit Maaßens Plänen ganz einverstanden, doch eine nochmalige
Prüfung des schon unterschriebenen Gesetzes befahl. Erst am 1.
September 1818 wurde das Zollgesetz veröffentlicht, erst zu Neujahr
1819 traten die neuen Grenzzollämter in Tätigkeit. Am 8. Februar 1819
erschien das ergänzende Gesetz über die Besteuerung des Konsums
inländischer Erzeugnisse, wonach nur Wein, Bier, Branntwein und
Tabaksblätter einer Steuer unterlagen, die ohne unmittelbare
Belästigung der Verzehrer von den Produzenten zu erheben war.
Die neue Gesetzgebung hielt im ganzen sehr glücklich die Mitte
zwischen Handelsfreiheit und Zollschutz. Nur nach einer Richtung hin
wich sie auffällig ab von den Grundsätzen des gemäßigten Freihandels:
sie belastete den Durchfuhrhandel unverhältnismäßig schwer. Der
Zentner Transitgut zahlte im Durchschnitt einen halben Taler Zoll, auf
einzelnen wichtigen Handelsstraßen noch weit mehr -- sicherlich eine
sehr drückende Last für ordinäre Güter, zumal wenn sie das preußische
Gebiet mehrmals berührten. Die nächste Veranlassung zu dieser Härte
lag in dem Bedürfnis der Finanzen. Preußen beherrschte einige der
wichtigsten Handelsstraßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands
mit dem Oberlande, die alten Absatzwege des polnischen Getreides,
den Verkehr Leipzigs mit der See, mit Polen, mit Frankfurt. Man
berechnete, daß die volle Hälfte der in Preußen eingehenden Waren
dem Durchfuhrhandel angehörte. Die erschöpfte Staatskasse war nicht
in der Lage, diesen einzigen Vorteil, den ihr die unglückliche
langgestreckte Gestalt des Gebiets gewährte, aus der Hand zu geben.
Überdies stimmten alle Kenner des Mautwesens überein in der für jene
Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch Besteuerung der
Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollsystems gesichert
werden könne. Gab man den Transit völlig frei, so wurde dem
Unterschleif Tür und Tor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel
von Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das
ganze Gelingen der Reform in Frage gestellt. Die unbillige Höhe der
Durchfuhrzölle aber und das zähe Festhalten der Regierung an diesen
für die deutschen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt sich nur aus
politischen Gründen. Der Transitzoll diente dem Berliner Kabinett als
ein wirksames Unterhandlungsmittel, um die deutschen Kleinstaaten
zum Anschluß an die preußische Handelspolitik zu bewegen.
Von jenem Traumbilde einer gesamtdeutschen Handelspolitik, das
während des Wiener Kongresses den preußischen Bevollmächtigten
vorgeschwebt hatte, war man in Berlin längst zurückgekommen. Die
Unmöglichkeit solcher Pläne ergab sich nicht bloß aus der Nichtigkeit
der Bundesverfassung, sondern auch aus den inneren Verhältnissen der
Bundesstaaten. Hardenberg(7) wußte, daß der Wiener Hof an seinem
altväterlichen Provinzialzollsystem nichts ändern wollte und seine
nichtdeutschen Kronländer einem Bundeszollwesen schlechterdings
nicht unterordnen konnte. Aber auch das übrige Deutschland bewahrte
noch viele Trümmer aus der schmählichen kosmopolitischen Epoche
unserer Vergangenheit. Noch war Hannover von England,
Schleswig-Holstein von Dänemark abhängig, noch stand Luxemburg in
unmittelbarer geographischer Verbindung mit dem niederländischen
Gesamtstaate. Wie war ein gesamtdeutsches Zollwesen denkbar, so
lange diese Fremdherrschaft währte? Auch die Verfassung mehrerer
Bundesstaaten bot unübersteigliche Hindernisse. Die preußische
Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer durfte
erwarten, daß der mecklenburgische Adel auf seine Zollfreiheit, der
sächsische auf die mit den ständischen Privilegien fest verkettete
Generalakzise verzichten würde, so lange die ständische Oligarchie in
diesen Landen ungestört herrschte? Wie war es möglich, die
preußischen Zölle, welche die Einheit des Staatshaushalts voraussetzten,
in Hannover einzuführen, wo noch die Königliche Domänenkasse und
die ständische Steuerkasse selbständig nebeneinander standen? Das
Zollwesen hing überdies eng zusammen mit der Besteuerung des
inländischen Konsums; nur wenn die Kleinstaaten sich entschlossen,
das System ihrer indirekten Steuern auf preußischen Fuß zu setzen oder
doch dem preußischen Muster anzunähern, war eine ehrliche
Gegenseitigkeit, eine dauernde Zollgemeinschaft zwischen ihnen
möglich. Und ließ sich solche Opferwilligkeit erwarten in jenem
Augenblick, da der Rheinbund und das Ränkespiel des Wiener
Kongresses den selbstsüchtigen Dünkel der Dynastien krankhaft
aufgeregt und jeder Scham entwöhnt hatten? Selbst jene Staaten, denen
redlicher Wille nicht fehlte, konnten gar nicht sofort auf die harten
Zumutungen eingehen, welche Preußen ihnen stellen mußte, um sich
den Ertrag seiner Zölle zu sichern. Man mußte, so gestand Eichhorn(8)
späterhin, sich erst orientieren in der veränderten Lage, die
nationalökonomischen Bedürfnisse des eigenen Landes
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