Die Göttliche Komödie | Page 6

Dante Alighieri
Klag’ und dem Geheul der Unglückvollen.

Jedwedes Licht verstummt’ im dunkeln Graus,
Das brüllte, wie wenn
sich der Sturm erhoben,
Beim Kampf der Winde lautes Meergebraus.

Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
Und reißt zu ihrer Qual
die Geister fort
Und dreht sie um nach unten und nach oben.
Ihr
Jammerschrei, Geheul und Klagewort,
Nah’n sie den trümmervollen
Felsenklüften,
Verlästern fluchend Gottes Tugend dort.
Daß
Fleischessünder dies erdulden müßten,
Vernahm ich, die, verlockt
vom Sinnentrug,
Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
So
wie zur Winterszeit mit irrem Flug
Ein dichtgedrängter breiter Troß
von Staren,
So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
Hierhin und
dort, hinauf’, hinunterfahren,
Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres
Leid,
Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
Wie Kraniche, zum
Streifen lang gereiht
In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
So sah
ich von des Sturms Gewaltsamkeit
Die Schatten hergeweht mit
bangem Ächzen.
"Wer sind die, Meister, welche her und hin
Der
Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?"
So ich--und er: "Des
Zuges Führerin,
Von welchem du gewünscht, Bericht zu hören,

War vieler Zungen große Kaiserin.

Sie ließ von WoIlust also sich
betören,
Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.
Um nur der tiefen
Schmach sich zu erwehren.
Sie ist Semiramis, wie allbekannt,

Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
Einst herrschend in des Sultans
Stadt und Land.
Dann Sie, die, ungetreu Sichäus’ Schatten,
Aus
Liebe selber sich geweiht dem Tod"
Sieh dann Kleopatra im Flug
ermatten."
Auch Helena, die Ursach’ großer Not,
Im Sturme sah ich

den Achill sich heben,
Der allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.

Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
Und tausend andre
zeigt’ und nannt’ er dann,
Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.

Lang hört’ ich den Bericht des Lehrers an,
Von diesen Rittern und
den Frau’n der Alten,
Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:

Mit diesen Zwei’n, die sich zusammenhalten,
Die, wie es scheint, so
leicht im Sturme sind,
Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.

Und er darauf: "Gib Achtung, wenn der Wind
Sie näher führt, dann
bei der Liebe flehe,
Die beide führt, da kommen sie geschwind."

Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
Als ich begann: Gequälte
Geister, weilt,
Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.

Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte teilt,
Wenn’s mit
weitausgespreizten steten Schwingen
Zum süßen Nest herab voll
Sehnsucht eilt;
So sah ich sie dem Schwarme sich entringen,

Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
Und durch den Sturm sich zu
uns niederschwingen.
"Du, der du uns besuchst voll Gut’ und Huld

In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
Vordem mit Blut
getüncht durch unsre Schuld,
Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir
werde,
War’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
Denn dich
erbarmt der seltsamen Beschwerde.
Wie ihr zu Red’ und Hören Lust
bezeigt,
So reden wir, so leih’n wir euch die Ohren,
Wenn nur, wie
eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
Ich ward am Meerstrand in der
Stadt geboren,
Wo Seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
Bald mit
dem Flußgefolg im Meer verloren.
Die Liebe, die in edles Herz sich
senkt,
Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
Der mir
geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
Die Liebe, die Geliebte
stets berückte,
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie
du stehst, kein Leid ihn unterdrückte.

Die Liebe hat uns in ein Grab
gesandt--
Kaina harret des, der uns erschlagen."
Der Schatten
sprach’s, uns kläglich zugewandt.
Vernehmend der bedrängten
Seelen Klagen,
Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
Was
denkst du? hört’ ich drauf den Dichter fragen.
Weh, sprach ich,
welche Glut, die sie durchzückt,
Welch süßes Sinnen, liebliches

Begehren
Hat sie in dieses Qualenland entrückt?
Drauf säumt’ ich
nicht, zu jener mich zu kehren.
"Franziska," So begann ich nun, "dein
Leid
Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
Doch sage mir:
In süßer Seufzer Zeit,
Wodurch und wie verriet die Lieb’ euch beiden

Den zweifelhaften Wunsch der Zärtlichkeit."
Und sie zu mir: Wer
fühlt wohl größres Leiden
Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint

Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.
Doch da dein
Wunsch so warm und eifrig scheint,
Zu wissen, was hervor die Liebe
brachte,
So will ich tun, wie wer da spricht und weint.
Wir lasen
einst, weil’s beiden Kurzweil machte,
Von Lanzelot, wie ihn die
Lieb’ umschlang.
Wir waren einsam, ferne von Verdachte.
Das
Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,
Trieb unsre Blick’ und
macht’ uns oft erblassen,
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang,

Als das ersehnte Lächeln küssen lassen,
Der, so dies schrieb, vom
Buhlen schön und hehr.
Da naht’ er, der mich nimmer wird verlassen,

da küßte zitternd meinen Mund auch er--
Galeotto war das Buch,
und der’s verfaßte--
An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
Der eine
Schatten sprach’s, der andre faßte
Sich kaum vor Weinen, und mir
schwand der Sinn
Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
Und
wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
Sechster Gesang
Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß
Vor Mitleid um die
zwei, das so mich quälte,
Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz
zerfloß,
Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte
Rings um mich her,
ob den, ob jenen Pfad
Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge
wählte.
Es war der dritte Kreis, den ich betrat,
Von ew’gem, kaltem,
maledeitem Regen
Von gleicher Art und Regel früh und spat.

Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
Die Nacht dort zu
durchzieh’n in wildem Guß;
Stank qualmt die Erde, die’s empfängt,
entgegen.
Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus,
Bellt, wie ein
böser Hund, aus dreien Kehlen
Jedweden an, der dort hinunter
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