Die Frauenfrage | Page 7

Lily Braun
verachtet
wurde. Von einem Griechen stammt jener bekannte Ausspruch, wonach
diejenigen Frauen am meisten Ruhm verdienen, von denen am
wenigsten gesprochen wird,[22] und er bedeutet nichts anderes, als daß
die Frau im Guten ebensowenig wie im Bösen aus der Masse
hervorragen darf. Es entsprach nur der allgemeinen niedrigen Meinung
von den Frauen, wenn Demosthenes der Ansicht seiner Zeitgenossen
von der Ehe Ausdruck verlieh, und sagte, daß man Frauen nur nehme,
um rechtmäßige Kinder zu zeugen, Beischläferinnen, um eine gute
Pflege zu haben, und Buhlerinnen, um die Freuden der Liebe zu
genießen. Die eheliche Verbindung aus Liebe kannte der Grieche
nicht.[23] Im besten Fall war sein Gefühl für die Gattin die
wohlwollende Anhänglichkeit eines Patrons zu seinem Klienten.[24]
Nicht die in strenger Zurückgezogenheit lebende, von klein auf zu
kühler Keuschheit und Zurückhaltung erzogene Frau war der

Gegenstand seiner Leidenschaft, sondern die freie Priesterin Aphrodites,
die Hetäre.
Die uralte Verehrung des mütterlichen Prinzips in der Natur, der
Weiblichkeit und der Fruchtbarkeit, hatte sich mit dem allmählichen
Verfall des Mutterrechts mehr und mehr verwandelt. Einst mußten sich
die Jungfrauen Aegyptens einmal in ihrem Leben im Tempel der Göttin
der Fruchtbarkeit einem Fremden preisgeben, später bevölkerten
zahlreiche Frauen das ganze Jahr die Tempel der Iris, der Astarte, der
Anahita oder Mylitta. Denn hart war das Los der Mägde und
Sklavinnen; nur die Mädchen, welche eine Mitgift besaßen, hatten
Aussicht auf eine legitime Ehe, und auch das Schicksal rechtmäßiger
Frauen war ein trauriges. Da kann es nicht wunder nehmen, wenn Not,
Glückssehnsucht und Freiheitsdurst Scharen Armer und Unterdrückter
in den Dienst der Liebesgöttin trieb. Geheiligt durch die Religion,
gefördert durch Not und Unterdrückung--so entstand in der ältesten
Zeit die Prostitution. Sie wuchs mit der Ausdehnung der
Sklaverei,--fast alle bekannten Hetären waren ursprünglich
Sklavinnen,--und gewann an Ansehen und Bedeutung, je tiefer die
Stellung des weiblichen Geschlechtes im allgemeinen war. Ihre
Blütezeit erlebte sie in Griechenland, als Kunst und Wissenschaft auf
ihrer Höhe standen und der Kultus der Schönheit die Religion beinahe
ersetzte.
Gern trat die schöne Sklavin, auf die das bewundernde Auge des
Gebieters gefallen war, aus dem engen dumpfen Gynäkonitis mit seiner
einförmigen Arbeitspflicht auf den offenen Markt hinaus, um von den
Dichtern besungen, den Künstlern gemalt und gemeißelt, dem Volke
verehrt zu werden. Und diejenigen Frauen, deren reger Geist sich durch
das abgeschlossene Leben nicht ertöten ließ, in deren Gemach ein
Schimmer vom Glanz griechischer Bildung verlockend eindrang,
betraten häufig genug den einzigen Weg, der ihnen offen stand, denn
nur die Buhlerin war in Griechenland eine freie Frau, die ihrer Liebe
folgen, die an der hohen Geisteskultur ihres Vaterlandes persönlichen
Anteil nehmen konnte.[25] Die Geliebte des Perikles, Aspasia, die
Lehrerin des Sokrates, Diotima, die Schülerin des Plato, Lastheneia, die
des Epikur, Leontion, nahmen dem griechischen Hetärentum das

Odium eines ehrlosen Gewerbes und erhoben die Hetäre in den Augen
der hervorragendsten Männer über die Hausfrau, deren Geistes- und
Gefühlsleben künstlich verkümmert wurde.
Die Geschichte weiß von keiner einzigen Griechin zu berichten, die
sich gegen Sittengesetze empört hätte, welche als Lohn auf die
weibliche Tugend--die dauernde Gefangenschaft, und als Strafe auf das
Laster--die Freiheit setzten. Aus der Seele der griechischen Frauen
spricht Goethe, wenn er seine Iphigenie sagen läßt: "Der Frauen
Schicksal ist beklagenswert", aber in Wirklichkeit besaß das weibliche
Geschlecht in dem sonnigen, ruhmgekrönten Hellas keine Priesterin,
die seinem stummen Leid Worte verlieh. Nur den größten Denkern der
Nation, Plato und Aristoteles, scheint es zum Bewußtsein gekommen
zu sein, daß die Stellung der griechischen Frau eine unwürdige war.
Wer Platos Aussprüche, wie z.B. die: "So haben also Mann und Weib
dieselbe Natur, vermöge deren sie geschickt sind zur Staatshut", und
"die Aemter--(im Staat)--sind Frauen und Männern gemeinsam",[26]
aus dem Zusammenhang herausreißt, der mag sogar zu der
Ueberzeugung kommen, er sei im modernsten Sinne ein Vorkämpfer
der Gleichberechtigung der Geschlechter gewesen. Der Sachverhalt ist
aber thatsächlich folgender: Er teilt die Bevölkerung seines Idealstaates
in drei Klassen, von denen die oberste, die der Hüter und Wächter, die
geistig und körperlich vollendetste sein soll, weswegen die dafür
Berufenen eine ganz ungewöhnlich treffliche Erziehung genießen
müssen. Aber sie sollen nicht nur für ihre hohe verantwortliche
Stellung als Staatsleiter erzogen, sie sollen schon dafür geboren werden.
Und deshalb müssen ihre Mütter in gleicher Weise zu geistig und
körperlich über der Masse stehenden Wesen herangebildet werden, wie
ihre Väter. Plato erklärt,--und das kann bei der hohen geistigen Bildung
vieler Hetären seiner Zeit nicht Wunder nehmen,--daß Männer und
Frauen gleiche Fähigkeiten besitzen, und da der Staat das höchste
Interesse daran habe, daß begabte und kräftige Kinder geboren werden,
so müsse er die besten männlichen und weiblichen Exemplare der
obersten Klasse zwangsweise miteinander vermählen. Genau wie der
Tierzüchter nach seinem Belieben Hengst und Stute zusammenführt, so
sollen die Oberen bestimmen, nicht nur welche Männer und Frauen
sich vermählen, sondern auch wie oft sie Kinder zeugen dürfen,[27]

damit "der Staat weder größer werde noch kleiner". Ein Kind
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