Die Frauenfrage | Page 6

Lily Braun
wurden so ausschließlich als Werkzeug, als Mittel
zum Zweck betrachtet, daß von jener ehrfürchtigen Verehrung, welche
die in den Phantasiegestalten zahlreicher Göttinnen personifizierte
Mutterschaft unter den Völkern des Abendlandes genoß, im Orient, mit
Ausnahme von Aegypten, nichts zu finden ist. Auch als Mutter wurde
hier das Weib verachtet und zwar um so mehr, wenn sie statt des einzig
erwünschten Sohnes eine Tochter gebar.[16] Die Jüdin, die einen
Knaben zur Welt brachte, blieb sieben Tage unrein; war ihr Kind ein
Mädchen, so blieb sie es vierzehn Tage. Sie mochte von noch so hoher
Abkunft und die Mutter eines blühenden Geschlechtes sein, sie blieb
immer ein unheiliges, von Staat und Religion nur als ein notwendiges
Uebel gekennzeichnetes Geschöpf. Dieser Auffassung entsprach auch
der Mythus von der Stammmutter Eva, von der alle Sünde und alles
Unglück der Menschheit ausging. Das Weib, sagte Manu, ist
niederträchtig wie die Falschheit selbst, es muß wie Kinder und
Geisteskranke mit der Peitsche oder dem Strick gezüchtigt werden.[17]
Nur der Mann hat, nach dem Glauben der Chinesen, eine unsterbliche
Seele;[18] Brahma verbietet dem Weibe, die Veda, das heilige Buch
der Inder, zu lesen; der Koran lehrt, daß die Pforten des Paradieses den
Frauen ewig verschlossen bleiben; mit den Kindern und Sklaven stehen
die Hebräerinnen auf einer Stufe, wenn auch ihnen die Berührung des
Gesetzes nicht gestattet ist. Der Talmud schätzt die Ehre der Frau nach
ihrem Vermögen, denn nur dann gilt sie als rechtmäßige Gattin, ihre
Kinder als legitime Erben, wenn sie eine Mitgift in die Ehe bringt,
andernfalls ist ihre Verbindung mit dem Mann nur ein Konkubinat.[19]

Die Kulturentwicklung der alten orientalischen Völker stand schon weit
genug im Banne des Begriffs vom "heiligen" Eigentum, um das
Verbrechen, arm zu sein, durch Schande zu strafen. Groß war daher die
Zahl der armen Weiber, die mit ihrer Arbeitskraft ihren Leib verkaufen
mußten. So hart aber auch das Los der als Mägde und Sklavinnen in
strengem Dienstverhältnis zu ihrem Herrn stehenden Frauen war, ein
merkbarer Unterschied zwischen dem der begüterten und der
rechtmäßigen Gattinnen war nicht vorhanden; das weibliche Geschlecht
als Ganzes stand gleichmäßig tief.
Gegenüber den Orientalen sind wir gewohnt, die Griechen für die
Repräsentanten einer bedeutend höheren Kultur zu halten. Nehmen wir
jedoch die Stellung der Frau zum Maßstab für unser Urteil, so muß es
ganz anders lauten, denn sie weist neben kaum bemerkbaren
Fortschritten sogar erhebliche Rückschritte auf.
Die Familie war im Orient ein Staat für sich gewesen, der Vater der
Patriarch, der König darin. Sie wurde in Griechenland fast
bedeutungslos, denn der Staat übernahm viele ihrer wichtigsten
Funktionen; der Familienvater war nicht mehr Herrscher, sondern
Unterthan, seine Bürgerpflichten entrissen ihn vollkommen seiner
Häuslichkeit, sein Leben als Gesetzgeber, Soldat, Advokat, Philosoph
und Künstler spielte sich außerhalb des Hauses ab, dessen Geschäfte
und Obliegenheiten er ausschließlich der Gattin und den Sklaven
überließ. Eines freien Mannes waren sie unwürdig und wurden um so
verachteter, je mehr die Sklaverei zu einem wichtigen Faktor im
sozialen Leben sich entwickelte. Während der Orientale, besonders der
Israelit, in der Arbeit keine Schande sah und die Züchtung und Hütung
der Herden zu seinen Pflichten gehörte, während der Schwerpunkt
seines Lebens in seiner Familie, seinem Besitztum lag, und die Frau
ihm dadurch, trotz aller Unterdrückung, menschlich näher stand, sank
sie in Griechenland vollständig in die Reihen der Sklaven hinab.
Sie war, wie im Orient, das willenlose Eigentum des Mannes. Der
Vater, wie der Vormund konnten sie, wem sie wollten, zur Gattin
geben; der Gatte konnte sie verschenken oder vertauschen; blieb sie
unfruchtbar, so galt es für ein Verbrechen gegen die Götter, wenn sie

nicht verstoßen wurde. Die Pflicht, zum Zweck der Zeugung legitimer
Kinder, die Ehe zu schließen, wurde vom Staate den Männern
auferlegt;[20] durch Solons Gesetzgebung wurden die Unverheirateten
einer Strafe unterworfen. Denn noch waren die Länder nur schwach
bevölkert und vom Zuwachs tüchtiger Bürger hing das Bestehen und
der Wohlstand des Staates ab. Daher beschäftigt sich die Gesetzgebung
jener Periode der Geschichte in einer so eingehenden Weise mit der
Frage der Volksvermehrung.
Die Monogamie war Gesetz. Der Mann durfte nur eine legitime Frau
haben; die Zahl der Konkubinen, die er sich neben ihr hielt, war aber
unbeschränkt, und der einzige Fortschritt gegenüber den orientalischen
Zuständen bestand darin, daß ihre Kinder nicht ohne weiteres
Mitglieder der Familie waren, sondern es erst durch die Legitimation
ihres Vaters werden konnten. Die aus dem väterlichen Hause meist in
sehr jungen Jahren in das des Gatten eintretende Frau lebte hier wie
dort in völliger Abgeschlossenheit, ohne irgend welche Berührung mit
der Außenwelt; sie durfte weder am öffentlichen noch am geselligen
Leben Anteil nehmen. Das Haus war ihre Welt, über deren Grenze die
tugendhafte Frau nicht hinwegschreiten durfte. Und wenn Dichter und
Schriftsteller auch versuchten, sie ihr zu verklären[21]--genau wie es
heute geschieht--so war ihre Lage doch die einer physisch und geistig
allen Lichts beraubten Gefangenen, die auch wie eine solche
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