Die Frauenfrage | Page 5

Lily Braun
wie wir gesehen haben, infolge der angedeuteten
Verhältnisse, von jeher die geschickteste Arbeiterin gewesen. Durch sie
erst wurde aus dem, was der Mann erjagte oder erkämpfte, ein

Gebrauchsgegenstand. Je mehr sich nun der Besitz vergrößerte, desto
wichtiger wurde ihre Arbeitskraft; sie war auf den Stufen primitivster
Kultur auch eine erwerbende gewesen, verwandelte sich aber mit den
steigenden Bedürfnissen immer mehr zu einer nur erhaltenden und
umwandelnden. Der Mann wurde zum Erwerber. Die Hütte, die das
Weib einst zusammenfügte, war nichts als ein Obdach, das alle im
Notfall benutzen konnten, das Haus, das aus Steinen geschichtet oder
aus behauenen Blöcken aufgerichtet wurde und Waffen, Vorräte, Erz
und Felle barg, war ein wertvoller Besitz. Das Wild, das der Mann
früher täglich erlegte, war nichts als ein Mittel, den Hunger zu stillen;
die Herden, die jetzt auf seinem Boden weideten, repräsentierten ein
Kapital, das durch Männerfäuste gegen den Nachbarn geschützt werden
mußte. Und die Kinder, die früher das unbestrittene Eigentum der
Mutter waren, wurden zu wertvollen Arbeitskräften und
Kampfgenossen für den Vater. Es kam aber noch ein sehr wichtiger
Umstand hinzu. Der Besitz hatte nächst der Habsucht jenen Egoismus
gezeitigt, der über den Tod hinaus reicht und dem Fremden das
Erworbene auch dann nicht zufallen lassen will: der Besitzende
wünschte rechtmäßige Erben für seinen Besitz.
Das Mutterrecht mußte dem Rechte des Vaters weichen. Als Arbeiterin
und als Mutter rechtmäßiger Kinder hatte das Weib einen Wert
bekommen, der sich dadurch ausdrückte, daß sie vielfach gekauft, d.h.
gegen Vieh, Waffen oder Erz eingetauscht wurde. Man beraubte sie
jeglicher Freiheit, die grausamsten Strafen standen auf ihrer Untreue,
denn ihr Gebieter mußte sich die möglichste Sicherheit verschaffen,
daß sie ihm legitime Erben gebar.
Der für die Entwicklung der Menschheit so bedeutungsvolle Fortschritt
zur Einzelehe war daher für die Frau zunächst nichts als eine Station
auf ihrem Kreuzesweg.[7] Denn die monogame Familie entstand nicht
infolge der Erkenntnis ihres höheren sittlichen Werts, sondern auf
Grund ökonomischer Rücksichten. Die Monogamie bestand nur für die
Frau, wie die Tugend der Gattentreue auch nur von der Frau gefordert
wurde.
Sich, wie es häufig geschieht, über diese einseitige Monogamie und

über die nur dem Weibe auferlegte Verpflichtung der Treue sittlich zu
entrüsten, hieße ihren Ursprung verkennen, der nicht in der
Niedertracht des männlichen Geschlechtes, sondern in den
wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen ist.
Recht und Sitte, die auf ihrem Boden erwuchsen, wurden von Religion
und Gesetz sanktioniert. Da besonders im Orient alles Recht, von der
Manava an bis zum Koran, als göttliches Gesetz betrachtet wurde und
auf religiöser Basis[8] ruhte, so war das Sklavenverhältnis des Weibes
hier das festeste und überdauerte alle Zeiten. Alle Vorschriften, die sich
mit ihr, ihren Pflichten und Rechten beschäftigen, lassen sich dahin
zusammenfassen, daß sie nur als Mutter legitimer Kinder, vor allem der
Söhne, eine Existenzberechtigung hat. Das Interesse des Vaters an
rechtmäßigen Leibeserben, das in der patriarchalischen Familie seinen
stärksten Ausdruck fand, erweiterte sich bald zum Interesse des Staates
an einer genügenden Zahl kampffähiger Männer. Die Heirat war eine
Pflicht gegenüber dem Staat, daher wurden z.B. in China in jedem
Frühjahr die unverheirateten Männer von 30 und Frauen von 20 Jahren
einer harten Bestrafung unterworfen, und es bestanden genaue
gesetzliche Vorschriften über die ehelichen Pflichten zum Zweck der
Kindererzeugung[9]. Bei den Indern konnte eine unfruchtbare Frau im
achten Jahre der Ehe mit einer anderen vertauscht werden, eine, deren
Kinder gestorben waren, im zehnten, eine, die nur Töchter geboren
hatte, im elften Jahre[10]. Der Israelit hatte die Pflicht, eine
unfruchtbare Frau zu verstoßen oder mit ihrer Magd Kinder zu zeugen,
die unter Beistand der rechtmäßigen Gattin zur Welt kamen und
dadurch als legitime Erben anerkannt wurden. So sagte Sarah, die
kinderlose, zu Abraham: "Lege dich zu meiner Magd, ob ich doch
vielleicht aus ihr mich bauen möge."[11] Und obwohl bei allen Völkern
des Orients die Untreue der Frau mit dem Tode bestraft werden konnte,
wurde sie zu einer religiösen Pflicht, sobald die Frau kinderlos blieb.
Sie mußte sich in Indien einem Mitglied der Familie des Mannes unter
religiösen Ceremonien vor den Augen ihrer Angehörigen hingeben;[12]
sie fiel in Israel, wenn ihr Gatte starb, ehe sie ihm Kinder geboren hatte,
seinem ältesten Bruder zu, damit er dem Verstorbenen noch
Nachkommen zeuge.[13] Sie war des Mannes unbeschränktes
Eigentum und stand auch insofern auf derselben Stufe mit den Sklaven,

als es ihr verboten war, eigenes Vermögen zu besitzen. Die heiligen
Gesetze Indiens erklären ausdrücklich, daß alles, was eine Frau oder
ein Sklave etwa erwirbt, selbständiges Eigentum des Herrn ist, "dem sie
gehören".[14] Von Geburt an bis zum Tode sind die Frauen vollständig
unfrei; als Mädchen sind sie von ihrem Vater, als Frauen von ihrem
Gatten, als Witwen von ihren Söhnen oder Blutsverwandten
abhängig.[15]
Aus alledem geht hervor, daß die Frauen im Orient nur ein Werkzeug
zur Fortpflanzung des Geschlechtes waren. Außerhalb ihres einzigen
Berufes, dem der Mutterschaft, hatten sie keinerlei Wert und
Bedeutung, ja sie
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