Die Familie Pfäffling | Page 2

Agnes Sapper
zu den Brettern, die übereinander aufgestapelt lagen. Dort oben, wo ein kleines dickes Brett querüberlag, war Frieders Lieblingsplatz, auf dem er immer mit der Ziehharmonika sa?. Wenn er gar zu lang spielte und sie nicht beachtete, war sie manchmal ungeduldig geworden und hatte sogar einmal gesagt, die Harmonika sei eine alte Kr?te. Aber jetzt, wo es überall ganz still war, h?tte sie auch die Harmonika gern geh?rt. Sie setzte sich auf Frieders Platz und dachte an ihn. Es war so langweilig heute morgen--fast zum weinen!
Da tat sich oben im Haus ein Fenster auf und der Mutter Stimme rief: "Elschen, flink, Essig holen!"
Einen Augenblick sp?ter wanderte auch Else die Frühlingsstra?e hinunter, zwar nicht mit den Büchern in die Schule, aber mit dem Essigkrug zum n?chsten Kaufmann.
Im untern Stock des Hauses wohnte der Schreiner Hartwig mit seiner Frau. Es waren schon ?ltere Leute und er hatte das Gesch?ft abgegeben. Sie war eine freundliche Hausfrau, die aber auf Ordnung hielt und auf gute Erhaltung des Besitzes. Als diesen Morgen die Pf?fflinge nacheinander die Treppe hinunter gesprungen waren, hatte sie zu ihrem Mann gesagt: "Hast du schon bemerkt, wie die Treppe abgenutzt ist? Seit dem Jahr, wo Pf?fflings bei uns wohnen, sind die Stufen schon so abgetreten worden, da? mir wirklich bang ist, wie es nach einigen Jahren aussehen wird." "Verwehr's ihnen, da? sie so die Treppen herunterpoltern," sagte der Hausherr.
"Ich will gar nicht behaupten, da? sie poltern, sie sind ja rücksichtsvoll, aber hundertmal springen sie auf und ab und es pressiert ihnen allen so, ein Gehen gibt's bei denen gar nicht, sie müssen immer springen. Ich will sie aber gleich heute aufmerksam machen auf die abgetretenen Stellen."
"Tu's nur, aber das Springen wirst du ihnen nicht abgew?hnen, springt doch der Vater selbst noch wie ein Junger. Wir haben doch nicht gewu?t, was es um so eine neunk?pfige Musikersfamilie ist, wie wir ihnen voriges Jahr selbst unsere Wohnung angeboten haben in ihrer Wohnungsnot. Und jetzt haben wir sie, und zu kündigen br?chtest du doch nicht übers Herz."
"Nein, nie! Aber du auch nicht."
"Dann sprich nur beizeiten mit deinem Schwager, da? er Bretter für neue B?den bereit h?lt," sagte der Hausherr und die Frau ging hinaus, stand bedenklich und sinnend vor der Treppe, wischte mit einem Tuch über die Stufen, aber sie blieben doch abgetreten.
Die Vormittagsstunden waren endlich vorübergegangen, die kleine vereinsamte Schwester stand am Fenster, sah die Stra?e hinunter und erkannte schon von weitem den Vater, der mit raschen Schritten auf das Haus zukam. Bald darauf tauchten zwei M?dchengestalten auf, das waren die Zwillingsschwestern, die elfj?hrigen, Marie und Anna, die der Bequemlichkeit halber oft zusammen Marianne genannt wurden. So rief auch Else jetzt der Mutter zu: "Der Vater ist schon im Haus und Marianne sehe ich auch, aber sie stehen bei andern M?dchen und machen gar nicht voran. Aber jetzt kommt der Frieder und dahinter die drei Gro?en, jetzt mu? ich entgegen laufen."
Die Schwestern hatten sich den Brüdern zugesellt und so kamen sie alle zugleich ins Haus herein, wo ihnen die Kleine laut lachend vor Vergnügen entgegenrief: "Alle sechs auf einmal!" Sie wollte zu Frieder, der zu hinterst war, aber die Schwestern hatten sie schon an beiden H?nden gefa?t und alle dr?ngten der Treppe zu, als die Türe der untern Wohnung aufging und Frau Hartwig herbeikam. Flugs zogen die Brüder ihre Mützen, denn die Rücksicht auf die Hausleute war ihnen zur heiligen Pflicht gemacht, und die ganze Schar stand seit dem letzten Umzug in dem Bewu?tsein, durchaus keine begehrenswerte Mietspartei zu sein.
So blieben sie auch alle stehen, als Frau Hartwig ihnen zurief: "Wartet ein wenig, Kinder, ich mu? euch etwas zeigen. Schaut einmal die Treppe an, seht ihr, wie die Stufen in der Mitte abgetreten sind? Voriges Jahr war davon noch keine Spur, wer hat das wohl getan?"
Eine peinliche Stille, lauter gesenkte K?pfe. "Das habt ihr getan," fuhr die Hausfrau fort, "weil ihr mit euern genagelten Stiefeln hundertmal auf und ab gesprungen seid. Wenn ihr nicht Acht gebt, dann richtet ihr mir in einem Jahr meine Treppe ganz zugrunde." Sie standen alle betreten da, die Blicke auf die Treppe gerichtet. So schlimm kam ihnen diese wohl nicht vor, aber die Hausfrau mu?te es ja wissen! In diesem kritischen Moment kam Karl, dem gro?en, der Mutter Hauptregel ins Ged?chtnis: nur immer gleich um Entschuldigung bitten! "Es ist mir leid," sagte er, und alle Geschwister wiederholten das erl?sende Wort: "Es ist mir leid", und darauf fing Karl, der gro?e, an, langsam und behutsam die Treppe hinaufzugehen, ihm folgte Wilhelm, der zweite und Otto, der dritte. Ihnen nach schlichen unh?rbar Marie und Anna mit Elschen. Nur Frieder, der vorhin zuhinterst gestanden war und deshalb den Schaden an der Treppe noch nicht hatte sehen k?nnen, der verweilte noch und betrachtete nachdenklich die Stufen. Dann sagte er zutraulich zu der Hausfrau: "Nur in der Mitte sieht man etwas, warum denn nicht
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