Die Erziehung des Menschengeschlechts | Page 7

Gotthold Ephraim Lessing
so nothwendig wirklich, als er es selbst ist & c.--Freylich ist das Bild von mir im Spiegel nichts als eine leere Vorstellung von mir, weil es nur das von mir hat, wovon Lichtstrahlen auf seine Fl?che fallen. Aber wenn denn nun dieses Bild alles, alles ohne Ausnahme h?tte, was ich selbst habe: w��rde es sodann auch noch eine leere Vorstellung, oder nicht vielmehr eine wahre Verdopplung meines Selbst seyn?--Wenn ich eine ?hnliche Verdopplung in Gott zu erkennen glaube: so irre ich mich vielleicht nicht so wohl, als da? die Sprache meinen Begriffen unterliegt; und so viel bleibt doch immer unwidersprechlich, da? diejenigen, welche die Idee davon popul?r machen wollen, sich schwerlich fa?licher und schicklicher h?tten ausdr��cken k?nnen, als durch die Benennung eines Sohnes, den Gott von Ewigkeit zeugt.
��. 74.
Und die Lehre von der Erbs��nde.--Wie, wenn uns endlich alles ��berf��hrte, da? der Mensch auf der ersten und niedrigsten Stufe seiner Menschheit, schlechterdings so Herr seiner Handlungen nicht sey, da? er moralischen Gesetzen folgen k?nne?
��. 75.
Und die Lehre von der Genugthuung des Sohnes.--Wie, wenn uns endlich alles n?thigte, anzunehmen: da? Gott, ungeachtet jener urspr��nglichen Unverm?genheit des Menschen, ihm dennoch moralische Gesetze lieber geben, und ihm alle Uebertretungen, in R��cksicht auf seinen Sohn, d. i. in R��cksicht auf den selbstst?ndigen Umfang aller seiner Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede Unvollkommenheit des Einzeln verschwindet, lieber verzeihen wollen; als da? er sie ihm nicht geben, und ihn von aller moralischen Gl��ckseligkeit ausschliessen wollen, die sich ohne moralische Gesetze nicht denken l??t?
��. 76.
Man wende nicht ein, da? dergleichen Vern��nfteleyen ��ber die Geheimnisse der Religion untersagt sind.--Das Wort Geheimni? bedeutete, in den ersten Zeiten des Christenthums, ganz etwas anders, als wir itzt darunter verstehen; und die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftswahrheiten ist schlechterdings nothwendig, wenn dem menschlichen Geschlechte damit geholfen seyn soll. Als sie geoffenbaret wurden, waren sie freylich noch keine Vernunftswahrheiten; aber sie wurden geoffenbaret, um es zu werden. Sie waren gleichsam das Facit, welches der Rechenmeister seinen Sch��lern voraus sagt, damit sie sich im Rechnen einigermaassen darnach richten k?nnen. Wollten sich die Sch��ler an dem voraus gesagten Facit begn��gen: so w��rden sie nie rechnen lernen, und die Absicht, in welcher der gute Meister ihnen bey ihrer Arbeit einen Leitfaden gab, schlecht erf��llen.
��. 77.
Und warum sollten wir nicht auch durch eine Religion, mit deren historischen Wahrheit, wenn man will, es so mi?lich aussieht, gleichwohl auf n?here und bessere Begriffe vom g?ttlichen Wesen, von unsrer Natur, von unsern Verh?ltnissen zu Gott, geleitet werden k?nnen, auf welche die menschliche Vernunft von selbst nimmermehr gekommen w?re?
��. 78.
Es ist nicht wahr, da? Speculationen ��ber diese Dinge jemals Unheil gestiftet, und der b��rgerlichen Gesellschaft nachtheilig geworden.-- Nicht den Speculationen: dem Unsinne, der Tyranney, diesen Speculationen zu steuern; Menschen, die ihre eigenen hatten, nicht ihre eigenen zu g?nnen, ist dieser Vorwurf zu machen.
��. 79.
Vielmehr sind dergleichen Speculationen--m?gen sie im Einzeln doch ausfallen, wie sie wollen--unstreitig die schicklichsten Uebungen des menschlichen Verstandes ��berhaupt, so lange das menschliche Herz ��berhaupt, h?chstens nur verm?gend ist, die Tugend wegen ihrer ewigen gl��ckseligen Folgen zu lieben.
��. 80.
Denn bey dieser Eigenn��tzigkeit des menschlichen Herzens, auch den Verstand nur allein an dem ��ben wollen, was unsere k?rperlichen Bed��rfnisse betrift, w��rde ihn mehr stumpfen, als wetzen heissen. Er will schlechterdings an geistigen Gegenst?nden ge��bt seyn, wenn er zu seiner v?lligen Aufkl?rung gelangen, und diejenige Reinigkeit des Herzens hervorbringen soll, die uns, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben, f?hig macht.
��. 81.
Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese h?chste Stufen der Aufkl?rung und Reinigkeit nie kommen? Nie?
��. 82.
Nie?--La? mich diese L?sterung nicht denken, Allg��tiger!--Die Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geschlechte nicht weniger als bey dem Einzeln. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen.
��. 83.
Die schmeichelnden Aussichten, die man dem J��nglinge er?fnet; die Ehre, der Wohlstand, die man ihm vorspiegelt: was sind sie mehr, als Mittel, ihn zum Manne zu erziehen, der auch dann, wenn diese Aussichten der Ehre und des Wohlstandes wegfallen, seine Pflicht zu thun verm?gend sey.
��. 84.
Darauf zwecke die menschliche Erziehung ab: und die g?ttliche reiche dahin nicht? Was der Kunst mit dem Einzeln gelingt, sollte der Natur nicht auch mit dem Ganzen gelingen? L?sterung! L?sterung!
��. 85.
Nein; sie wird kommen, sie wird gewi? kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je ��berzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich f��hlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgr��nde zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht n?thig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willk��hrliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und st?rken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu erkennen.
��. 86.
Sie wird gewi? kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarb��chern des Neuen Bundes versprochen wird.
��. 87.
Vielleicht, da? selbst gewisse Schw?rmer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten; und nur darum irrten, da? sie den
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