aus ihren andern ausgemachten
Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?
§. 73.
Z. E. die Lehre von der Dreyeinigkeit.--Wie, wenn diese Lehre den
menschlichen Verstand, nach unendlichen Verirrungen rechts und links,
nur endlich auf den Weg bringen sollte, zu erkennen, daß Gott in dem
Verstande, in welchem endliche Dinge eins sind, unmöglich eins seyn
könne; daß auch seine Einheit eine transcendentale Einheit seyn müsse,
welche eine Art von Mehrheit nicht ausschließt?--Muß Gott wenigstens
nicht die vollständigste Vorstellung von sich selbst haben? d. i. eine
Vorstellung, in der sich alles befindet, was in ihm selbst ist. Würde sich
aber alles in ihr finden, was in ihm selbst ist, wenn auch von seiner
nothwendigen Wirklichkeit, so wie von seinen übrigen Eigenschaften,
sich blos eine Vorstellung, sich blos eine Möglichkeit fände? Diese
Möglichkeit erschöpft das Wesen seiner übrigen Eigenschaften: aber
auch seiner nothwendigen Wirklichkeit? Mich dünkt nicht.--Folglich
kann entweder Gott gar keine vollständige Vorstellung von sich selbst
haben: oder diese vollständige Vorstellung ist eben so nothwendig
wirklich, als er es selbst ist & c.--Freylich ist das Bild von mir im
Spiegel nichts als eine leere Vorstellung von mir, weil es nur das von
mir hat, wovon Lichtstrahlen auf seine Fläche fallen. Aber wenn denn
nun dieses Bild alles, alles ohne Ausnahme hätte, was ich selbst habe:
würde es sodann auch noch eine leere Vorstellung, oder nicht vielmehr
eine wahre Verdopplung meines Selbst seyn?--Wenn ich eine ähnliche
Verdopplung in Gott zu erkennen glaube: so irre ich mich vielleicht
nicht so wohl, als daß die Sprache meinen Begriffen unterliegt; und so
viel bleibt doch immer unwidersprechlich, daß diejenigen, welche die
Idee davon populär machen wollen, sich schwerlich faßlicher und
schicklicher hätten ausdrücken können, als durch die Benennung eines
Sohnes, den Gott von Ewigkeit zeugt.
§. 74.
Und die Lehre von der Erbsünde.--Wie, wenn uns endlich alles
überführte, daß der Mensch auf der ersten und niedrigsten Stufe seiner
Menschheit, schlechterdings so Herr seiner Handlungen nicht sey, daß
er moralischen Gesetzen folgen könne?
§. 75.
Und die Lehre von der Genugthuung des Sohnes.--Wie, wenn uns
endlich alles nöthigte, anzunehmen: daß Gott, ungeachtet jener
ursprünglichen Unvermögenheit des Menschen, ihm dennoch
moralische Gesetze lieber geben, und ihm alle Uebertretungen, in
Rücksicht auf seinen Sohn, d. i. in Rücksicht auf den selbstständigen
Umfang aller seiner Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede
Unvollkommenheit des Einzeln verschwindet, lieber verzeihen wollen;
als daß er sie ihm nicht geben, und ihn von aller moralischen
Glückseligkeit ausschliessen wollen, die sich ohne moralische Gesetze
nicht denken läßt?
§. 76.
Man wende nicht ein, daß dergleichen Vernünfteleyen über die
Geheimnisse der Religion untersagt sind.--Das Wort Geheimniß
bedeutete, in den ersten Zeiten des Christenthums, ganz etwas anders,
als wir itzt darunter verstehen; und die Ausbildung geoffenbarter
Wahrheiten in Vernunftswahrheiten ist schlechterdings nothwendig,
wenn dem menschlichen Geschlechte damit geholfen seyn soll. Als sie
geoffenbaret wurden, waren sie freylich noch keine
Vernunftswahrheiten; aber sie wurden geoffenbaret, um es zu werden.
Sie waren gleichsam das Facit, welches der Rechenmeister seinen
Schülern voraus sagt, damit sie sich im Rechnen einigermaassen
darnach richten können. Wollten sich die Schüler an dem voraus
gesagten Facit begnügen: so würden sie nie rechnen lernen, und die
Absicht, in welcher der gute Meister ihnen bey ihrer Arbeit einen
Leitfaden gab, schlecht erfüllen.
§. 77.
Und warum sollten wir nicht auch durch eine Religion, mit deren
historischen Wahrheit, wenn man will, es so mißlich aussieht,
gleichwohl auf nähere und bessere Begriffe vom göttlichen Wesen, von
unsrer Natur, von unsern Verhältnissen zu Gott, geleitet werden können,
auf welche die menschliche Vernunft von selbst nimmermehr
gekommen wäre?
§. 78.
Es ist nicht wahr, daß Speculationen über diese Dinge jemals Unheil
gestiftet, und der bürgerlichen Gesellschaft nachtheilig geworden.--
Nicht den Speculationen: dem Unsinne, der Tyranney, diesen
Speculationen zu steuern; Menschen, die ihre eigenen hatten, nicht ihre
eigenen zu gönnen, ist dieser Vorwurf zu machen.
§. 79.
Vielmehr sind dergleichen Speculationen--mögen sie im Einzeln doch
ausfallen, wie sie wollen--unstreitig die schicklichsten Uebungen des
menschlichen Verstandes überhaupt, so lange das menschliche Herz
überhaupt, höchstens nur vermögend ist, die Tugend wegen ihrer
ewigen glückseligen Folgen zu lieben.
§. 80.
Denn bey dieser Eigennützigkeit des menschlichen Herzens, auch den
Verstand nur allein an dem üben wollen, was unsere körperlichen
Bedürfnisse betrift, würde ihn mehr stumpfen, als wetzen heissen. Er
will schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt seyn, wenn er zu
seiner völligen Aufklärung gelangen, und diejenige Reinigkeit des
Herzens hervorbringen soll, die uns, die Tugend um ihrer selbst willen
zu lieben, fähig macht.
§. 81.
Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese höchste Stufen der
Aufklärung und Reinigkeit nie kommen? Nie?
§. 82.
Nie?--Laß mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger!--Die
Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geschlechte nicht weniger als bey dem
Einzeln. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen.
§. 83.
Die schmeichelnden Aussichten, die man dem Jünglinge eröfnet; die
Ehre, der Wohlstand, die man ihm vorspiegelt:
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