Die Biene Maja | Page 5

Waldemar Bonsels
ihren hellroten,
duftenden Wänden und ihrem gedämpften Licht.
»Sie haben es wirklich reizend«, sagte Maja, die ehrlich entzückt war.
»Und dieser Duft hat etwas gradezu Betörendes.«
Dem Käfer machte es Freude, daß Maja Gefallen an seiner Wohnstätte
fand.

»Man muß wissen, wo man sich aufhält«, sagte er und lächelte
wohlwollend. »'Sage mir, wo du umgehst, und ich werde dir sagen,
wieviel du wert bist', sagt ein altes Sprichwort. Ist etwas Honig
gefällig?«
»Ach,« platzte Maja heraus, »das wäre mir wirklich sehr angenehm.«
Der Käfer nickte und verschwand hinter einer der Wände. Maja sah
sich glücklich um. Sie schmiegte ihre Wange und ihre Händchen an die
zarten rotleuchtenden Vorhänge, atmete den köstlichen Duft tief ein
und war beseligt vor Freude, sich in einer so schönen Wohnung
aufhalten zu dürfen. Es ist doch wirklich ein großer Genuß zu leben,
dachte sie, und diese Behausung ist den dumpfen und überfüllten
Etagen nicht zu vergleichen, in denen wir leben und arbeiten. Schon
diese Stille ist ganz herrlich.
Da hörte sie den Käfer hinter den Wänden in ein lautes Schelten
ausbrechen. Er brummte erregt und böse, und es war Maja, als packte
er jemanden, den er unsanft vor sich herstieß. Dazwischen vernahm sie
ein helles Stimmchen voll Angst und Verdruß und sie verstand die
Worte:
»Natürlich, wenn ich allein bin, dürfen Sie sich herausnehmen, mir zu
nahe zu treten; aber warten Sie, wie es Ihnen ergehn wird, wenn ich
meine Gefährten hole. Sie sind ein Grobian. Gut, ich gehe. Aber Sie
werden die Bezeichnung, die ich Ihnen gegeben habe, niemals
vergessen.«
Maja war sehr erschrocken über die eindringliche Stimme des Fremden,
die scharf und böse klang. Sie hörte dann noch, wie jemand sich eilig
entfernte.
Der Käfer kam zurück und warf mürrisch ein Klümpchen Honig hin.
»Es ist ein Skandal,« sagte er, »nirgends hat man Ruhe vor diesem
Gesindel.«
Maja vergaß vor Hunger zu danken, sie nahm rasch einen Mund voll

und kaute, während der Käfer sich den Schweiß von der Stirn trocknete
und seinen oberen Brustring etwas lockerte, um leichter atmen zu
können.
»Wer war denn da?« fragte Maja mit vollem Mund.
»Essen Sie bitte erst den Mund leer, schlucken Sie erst herunter,« sagte
der Käfer, »so versteht man Sie nicht.«
Maja gehorchte, aber der erregte Hausbesitzer ließ ihr keine Zeit zu
einer neuen Frage. Ärgerlich fuhr er heraus:
»Eine Ameise war es. Glauben denn diese Leute, man sparte und sorgte
sich Stunde für Stunde nur für sie. Und so ohne Gruß und Anstand in
die Vorratskammern zu dringen! Es empört mich. Wenn ich nicht
wüßte, daß es bei diesen Tieren in der Tat Mangel an Lebensart ist,
würde ich keinen Augenblick anstehen, sie als Diebe zu
kennzeichnen.« -- Er besann sich plötzlich und wandte sich Maja zu:
»Sie verzeihen, ich vergaß mich Ihnen vorzustellen, ich heiße Peppi,
von der Familie der Rosenkäfer.«
»Ich heiße Maja,« sagte die kleine Biene schüchtern, »es freut mich
sehr, Sie kennengelernt zu haben.« Sie betrachtete den Käfer Peppi
genau. Er verbeugte sich wiederholt und breitete dabei seine Fühler wie
zwei kleine braune Fächer aus. Das gefiel Maja außerordentlich.
»Sie haben entzückende Fühler,« sagte sie, »einfach süß ...«
»Nun ja,« meinte Peppi geschmeichelt, »darauf hält man. Wollen Sie
auch die Rückseite sehn?«
»Wenn ich bitten darf«, sagte Maja.
Der Käfer drehte die gefächerten Fühler zur Seite und ließ einen
Sonnenstrahl darüber gleiten.
»Famos, nicht?« fragte er.

»Ich hätte so was nicht für möglich gehalten«, entgegnete Maja.
»Meine eigenen Fühler sind sehr unscheinbar.«
»Nun ja,« meinte Peppi, »jedem das Seine. Dafür haben Sie zweifellos
schöne Augen und die goldene Färbung Ihres Körpers hat viel für
sich.«
Die kleine Maja strahlte vor Glück. Es hatte ihr noch niemand gesagt,
daß etwas an ihr schön sei. Sie wurde ganz übermütig vor Lebensfreude
und nahm rasch noch ein Klümpchen Honig.
»Es ist eine ausgezeichnete Qualität«, sagte sie.
»Bitte nehmen Sie nur noch,« sagte Peppi, etwas erstaunt über den
Appetit seines Gastes, »es ist Rosenhonig erster Ernte. Man muß sich
etwas in acht nehmen, damit man sich nicht den Magen verdirbt. Es ist
auch noch Tau da, wenn Sie vielleicht Durst verspüren.«
»Vielen Dank«, sagte Maja. »Ich möchte nun fliegen, wenn Sie
erlauben.«
Der Käfer lachte.
»Fliegen und immer fliegen,« sagte er, »das liegt euch Bienen im Blut.
Ich begreife diese ruhlose Art nicht recht. Es hat doch viel für sich, am
Platze zu bleiben, finden Sie nicht?«
»Ach, ich fliege so gern«, sagte die kleine Maja.
Der Käfer öffnete ihr höflich den roten Vorhang.
»Ich will Sie noch hinausbegleiten. Ich führe Sie zu einem
Aussichtsblatt, von dem Sie bequem abfliegen können.«
»O, danke,« sagte Maja, »ich kann abfliegen, wo ich will.«
»Das haben Sie vor mir voraus,« sagte Peppi, »ich habe etwas Mühe
mit der Entfaltung der unteren Flügel.«

Er drückte ihr die Hand und schob den letzten Vorhang zur Seite.
»O Gott, der blaue Himmel,« jubelte
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