Die Biene Maja | Page 4

Waldemar Bonsels

wieder, das ist bestimmt, Kassandra hat es gesagt, man muß nur fest
und ruhig schlafen.

Zweites Kapitel
+Peppis Rosenhaus+
Als die kleine Maja erwachte, war es schon hell geworden. Sie fror ein
wenig unter ihrem großen grünen Blatt, und die ersten Bewegungen,
die sie machte, gelangen ihr nur schwerfällig und langsam. Sie hielt
sich an einem Äderchen des Blattes fest und ließ ihre Flügel zittern und
flimmern, damit sie geschmeidig und frei von Staub werden möchten.
Dann glättete sie ihre blonden Haare und wischte sich die großen
Augen blank. Vorsichtig kroch sie etwas weiter, bis an den Rand des
Blattes, und schaute sich um.
Sie war ganz geblendet von der Pracht und dem Glanz der
Morgensonne umher. Die Blätter leuchteten wie grünes Gold hoch über
ihr, da wo sie selbst saß, war es noch kühl im Schatten.
O du herrliche Welt, dachte die kleine Biene.
Nur langsam entsann sie sich aller Erlebnisse des vergangenen Tags,
aller Gefahren und aller Schönheiten, die sie gesehn hatte. Aber sie
blieb entschlossen, nicht in den Stock zurückzukehren. Freilich, wenn
sie an Kassandra dachte, klopfte ihr Herz. Aber es war ja unmöglich,
daß Kassandra sie jemals finden würde. Nein, es war nun einmal ihre
Freude nicht, immer ein und ausfliegen zu müssen, Honig zu tragen
oder Wachs zu bereiten. Sie wollte glücklich und frei sein und das
Leben auf ihre Art genießen, mochte kommen was wollte, sie würde es
ertragen. So leichtsinnig dachte Maja, jedenfalls auch deshalb, weil sie
keine rechte Vorstellung von allem hatte, was ihrer noch wartete.

Irgendwo fern in der Sonne schimmerte es rot. Maja sah es glänzen und
leuchten, und eine heimliche Ungeduld befiel sie. Sie verspürte auch,
daß sie hungrig war. Da schwang sie sich mutig mit einem hellen
frohen Summen aus ihrem Versteck, weit hinein in die helle
flimmernde Luft und in den warmen Sonnenschein. Sie steuerte in
ruhigem Flug grade auf das rote Blumenlicht zu, das ihr zu winken
schien, und als sie in die Nähe kam, spürte sie den Hauch eines so
süßen Duftes, daß sie beinahe betäubt wurde und die große rote Blume
nur mit Mühe erreichte. Sie schwang sich auf das äußerste, gewölbte
Blumenblatt und hielt sich fest. Da rollte ihr, mit der leisen Bewegung,
in die das Blatt geraten war, eine funkelnde silberne Kugel entgegen,
fast so groß wie sie selbst, durchsichtig und flimmernd in allen Farben
des Regenbogens. Maja erschrak furchtbar, obgleich die Pracht dieser
kühlen Silberkugel sie entzückte. Der durchsichtige Ball rollte vorüber,
neigte sich über den Rand des Blattes, sprang in den Sonnenschein und
fiel nieder ins Gras.
Maja stieß einen leisen Ruf des Schreckens aus, als sie sah, daß die
schöne Kugel unten in viele winzige Perlchen zersprungen war. Aber es
flimmerte nun im Gras so belebt und frisch, rann in zitternden
Tröpflein an den Halmen nieder und funkelte, wie Diamanten im
Lampenlicht blitzen. Maja hatte erkannt, daß es ein großer
Wassertropfen gewesen war, der sich im Kelch der Blume in der
feuchten Nacht gebildet hatte.
Als sie sich dem Kelch wieder zuwandte, sah sie einen Käfer mit
braunen Flügeldecken und einem schwarzen Brustschild am Eingang
zum Blumenkelch sitzen. Er war etwas kleiner als sie, behauptete
seinen Platz ruhig und sah sie ernst, aber durchaus nicht unfreundlich
an.
Maja begrüßte ihn höflich.
»Gehörte die Kugel Ihnen?« fragte sie. Und als der Käfer nicht
antwortete, fügte sie hinzu. »Es tut mir sehr leid, sie hinabgeworfen zu
haben.«
»Meinen Sie den Tautropfen?« fragte der Käfer und lächelte etwas

überlegen. »Deswegen brauchen Sie sich keine Sorge zu machen. Ich
hatte bereits getrunken, und meine Frau trinkt niemals Wasser, weil sie
mit den Nieren zu tun hat. Was wollen Sie hier?«
»Was ist dies für eine herrliche Blume?« sagte Maja, ohne auf seine
Frage zu antworten. »Würden Sie so gütig sein, mich zu unterrichten,
wie sie heißt?«
Sie erinnerte sich der Ratschläge Kassandras und war so höflich als
möglich.
Der Käfer bewegte seinen blanken glänzenden Kopf im Rückenschild.
Dies ließ sich leicht und angenehm bewerkstelligen, da er ganz prächtig
hineinpaßte und lautlos hin und her glitt.
»Sie sind wohl erst von gestern?« fragte er und lachte, nicht grade
höflich, über Majas Unkenntnis. Überhaupt hatte er etwas, was Maja
als unfein auffiel, die Bienen waren gebildeter und wußten sich besser
zu benehmen. Aber gutmütig schien der Käfer doch zu sein, denn als er
sah, wie Majas Wangen sich mit einer feinen Röte der Verlegenheit
überzogen, wurde er nachsichtiger gegen ihre Unwissenheit.
»Es ist eine Rose,« sagte er, »damit Sie es denn also nun wissen. Wir
haben sie vor vier Tagen bezogen und sie ist inzwischen unter unsrer
Pflege auf das prächtigste gediehen. Darf ich Sie bitten näher zu
treten?«
Maja zögerte, aber sie überwand ihre Besorgnis und machte ein paar
Schritte. Der Käfer drückte ein helles Blättchen beiseite, und sie
betraten nebeneinander die schmalen Gemächer mit
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 50
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.