neuen Staat zu
begründen. Lange hörte man den großen Schwarm im Sonnenschein
brausen. Es war nicht aus Übermut oder böser Gesinnung gegen die
Königin geschehn, sondern das Volk hatte sich so stark vermehrt, daß
die Stadt nicht mehr Raum genug für alle Bewohner bot und daß
unmöglich so viel Honigvorräte eingebracht werden konnten, daß alle
über den Winter ihr Auskommen hatten. Denn ein großer Teil des
Honigs, der im Sommer gesammelt wurde, mußte an den Menschen
abgetreten werden. Das waren alte Staatsverträge, dafür sicherten die
Menschen das Wohlergehn der Stadt, sorgten für Ruhe und Sicherheit
und im Winter für Schutz gegen die Kälte.
Am anderen Morgen hörte Maja an ihrem Lager den fröhlichen Ruf:
»Die Sonne ist aufgegangen!«
Sofort sprang sie empor und schloß sich einer Honigträgerin an.
»Gut,« sagte diese freundlich, »du kannst mit mir fliegen.«
Am Tor hielten die Wächter sie an. Es war ein rechtes Gedränge. Einer
der Torhüter sagte der kleinen Maja das Losungswort ihres Volkes,
ohne das keine Biene in die Stadt gelassen wird.
»Merk es dir«, sagte er, »und viel Glück auf deinen ersten Weg.«
Als die kleine Biene vor das Stadttor trat, mußte sie die Augen
schließen vor der Fülle von Licht, die ihr entgegenströmte. Es war ein
Leuchten von Gold und Grün, so über alles reich und warm und
strahlend, daß sie vor Seligkeit nicht wußte, was sie tun oder sagen
sollte.
»Das ist aber wirklich großartig«, sagte sie zu ihrer Begleiterin. »Fliegt
man da hinein?!«
»Nur zu!« sagte die andere.
Da hob die kleine Maja ihr Köpfchen, bewegte ihre schönen neuen
Flügel und empfand plötzlich, daß das Flugbrett, auf dem sie saß, zu
versinken schien. Und zugleich war ihr, als glitte das Land unter ihr
fort, nach hinten hin fort, und als kämen die großen grünen Kuppeln
vor ihr auf sie zu.
Ihre Augen glänzten, ihr Herz jubelte.
»Ich fliege,« rief sie, »das kann nur Fliegen sein, was ich tue! Das ist
aber in der Tat etwas ganz Ausgezeichnetes.«
»Ja, du fliegst«, sagte die Honigträgerin, die Mühe hatte, an Majas
Seite zu bleiben. »Das sind die Linden, auf die wir zufliegen, unsere
Schloßlinden, daran kannst du dir die Lage unserer Stadt merken. Aber
du fliegst wirklich sehr schnell, Maja.«
»Das kann man gar nicht rasch genug«, sagte Maja. »O, wie duftet der
Sonnenschein!«
»Nein,« sagte die Trägerin, die etwas außer Atem war, »das sind die
Blüten. Aber nun fliege langsamer, sonst bleibe ich zurück, und du
kannst dir auch auf diese Art die Gegend nicht für den Rückweg
merken.«
Aber die kleine Maja hörte nicht. Sie war wie in einem Rausch von
Freude, Sonne und Daseinsglück. Ihr war, als glitte sie pfeilgeschwind
durch ein grünleuchtendes Meer von Licht, einer immer größeren
Herrlichkeit entgegen. Die bunten Blumen schienen sie zu rufen, die
stillen beschienenen Fernen lockten sie und der blaue Himmel segnete
ihren jauchzenden Jugendflug. So schön wird es nie mehr, wie es heute
ist, dachte sie, ich kann nicht umkehren, ich kann an nichts denken, als
an die Sonne.
Unter ihr wechselten die bunten Bilder, langsam und breit zog das
friedliche Land im Licht dahin. Die ganze Sonne muß aus Gold sein,
dachte die kleine Biene.
Als sie über einem großen Garten angelangt war, der in lauter
blühenden Wolken von Kirschbäumen, Rotdorn und Flieder zu ruhn
schien, ließ sie sich zu Tode erschöpft nieder. Sie fiel in ein Beet von
roten Tulpen und hielt sich an einer der großen Blüten fest, preßte sich
an die Blumenwand, atmete tief und beseligt und sah über den
schimmernden Lichträndern der Blume den strahlend blauen Himmel.
»O, wie tausendmal schöner ist es in der großen Welt draußen,« rief sie,
»als in der dunklen Bienenstadt. Niemals werde ich nach dort
zurückkehren, um Honig zu tragen oder Wachs zu bereiten. O nein,
niemals werde ich das tun. Ich will die blühende Welt sehen und
kennenlernen, ich bin nicht, wie die andern Bienen sind, mein Herz ist
für Freude und Überraschungen, für Erlebnisse und Abenteuer
bestimmt. Ich will keine Gefahren fürchten, habe ich nicht Kraft und
Mut und einen Stachel?«
Sie lachte vor Übermut und Freude und nahm einen tiefen Schluck
Honigsaft aus dem Kelch der Tulpe.
Großartig, dachte sie, es ist wirklich herrlich, zu leben.
Ach, wenn die kleine Maja geahnt hätte, wie vielerlei an Gefahren und
Not ihrer wartete, hätte sie sich sicherlich besonnen. Aber sie ahnte es
nicht und blieb bei ihrem Vorsatz. Ihre Müdigkeit überwältigte sie bald,
und sie schlief ein. Als sie erwachte, war die Sonne fort, und das Land
lag in Dämmerung. Ihr Herz schlug doch ein wenig, und sie verließ
zögernd die Blume, die im Begriff war, sich für die Nacht zu schließen.
Unter einem großen Blatt, hoch im Wipfel eines alten Baums,
versteckte sie sich, und im Einschlafen dachte sie zuversichtlich:
Ich will nicht gleich am Anfang den Mut verlieren. Die Sonne kommt
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