Die Aufgeregten | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
aber das Rechte, das
Billige, das getraut sie sich nicht.
Breme. Albert, du bist ein wackerer Mann; so hör' ich gern reden, und
ich gestehe wohl, wenn ich von unserer gnädigen Gräfin manches Gute
genieße und deshalb mich für ihren untertänigen Diener bekenne, so
möcht' ich doch auch darin meinen König nachahmen und euer
Sachwalter sein.
Peter. Das wäre recht schön. Macht nur, dass unser Prozess bald aus
wird!
Breme. Das kann ich nicht, das müsst ihr.
Peter. Wie wäre denn das anzugreifen?
Breme. Ihr guten Leute wisst nicht, dass alles in der Welt vorwärts geht,
dass heute möglich ist, was vor zehn Jahren nicht möglich war. Ihr
wisst nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeführt wird.
Martin. O ja, wir wissen, dass in Frankreich jetzt wunderliches Zeug
geschieht.
Peter. Wunderliches und Abscheuliches!
Albert. Wunderliches und Gutes.
Breme. So recht, Albert, man muss das Beste wählen! Da sag' ich nun:
Was man in Güte nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen.
Martin. Sollte das gerade das beste sein?
Albert. Ohne Zweifel.
Peter. Ich dächte nicht.
Breme. Ich muss euch sagen, Kinder: Jetzt oder niemals!
Albert. Da dürft Ihr uns in Wiesengruben nicht viel vorschwatzen; dazu
sind wir fix und fertig. Unsere Leute wollten längst rebellern; ich habe

nur immer abgewehrt, weil mir Herr Breme immer sagte, es sei noch
nicht Zeit, und das ist ein gescheiter Mann, auf den ich Vertrauen habe.
Breme. Gratias, Gevatter, und ich sage euch: Jetzt ist es Zeit.
Albert. Ich glaub's auch.
Peter. Nehmt mir's nicht übel, das kann ich nicht einsehen; denn,
wenn's gut Aderlassen ist, gut Purgieren, gut Schröpfen, das steht im
Kalender, und darnach weiß ich mich zu richten; aber wenn's just gut
Rebellern sei, das, glaub' ich, ist viel schwerer zu sagen.
Breme. Das muss unsereiner verstehen.
Albert. Freilich versteht Ihr's.
Peter. Aber sagt mir nur, woher's eigentlich kommt, dass Ihr's besser
versteht als andere gescheite Leute?
Breme (gravitätisch). Erstlich, mein Freund, weil schon vom Großvater
an meine Familie die größten politischen Einsichten erwiesen. Hier
dieses Bildnis zeigt euch meinen Großvater Hermann Breme von
Bremenfeld, der, wegen großer und vorzüglicher verdienste zum
Bürgermeister seiner Vaterstadt erhoben, ihr die größten und
wichtigsten Dienste geleistet hat. Dort schwebt sein Andenken noch in
Ehren und Segen, wenngleich boshafte, pasquillantische
Schauspieldichter seine großen Talente und gewisse Eigenheiten, die er
an sich haben mochte, nicht sehr glimpflich behandelten. Seine tiefe
Einsicht in die ganze politische und militärische Lage von Europa wird
ihm selbst von seinen Feinden nicht abgesprochen.
Peter. Es war ein hübscher Mann, er sieht recht wohlgenährt aus.
Breme. Freilich genoss er ruhigere Tage als sein Enkel.
Martin. Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters?
Breme. Leider, nein! Doch muss ich euch sagen: Die Natur, indem sie
meinen Vater Jost Breme von Bremenfeld hervorbrachte, hielt ihre
Kräfte zusammen, um euren Freund mit solchen Gaben auszurüsten,
durch die er euch nützlich zu werden wünscht. Doch behüte der
Himmel, dass ich mich über meine Vorfahren erheben sollte; es wird
uns jetzt viel leichter gemacht, und wir können mit geringern
natürlichen Vorzügen eine große Rolle spielen.
Martin. Nicht zu bescheiden, Gevatter!
Breme. Es ist lautre Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zeitungen, der
Monatsschriften, der fliegenden Blätter so viel, aus denen wir uns
unterrichten, an denen wir unsern Verstand üben können! Hätte mein

seliger Großvater nur den tausendsten Teil dieser Hilfsmittel gehabt, er
wäre ein ganz anderer Mann geworden. Doch, Kinder, was rede ich von
mir! Die Zeit vergeht, und ich fürchte, der Tag bricht an. Der Hahn
macht uns aufmerksam, dass wir uns kurz fassen sollen. Habt ihr Mut?
Albert. An mir und den Meinigen soll's nicht fehlen.
Peter. Unter den Meinigen findet sich wohl einer, der sich an die Spitze
stellt; ich verbitte mir den Auftrag.
Martin. Seit den paar letzten Predigten, die der Magister hielt, weil der
alte Pfarrer so krank liegt, ist das ganze große Dorf hier in Bewegung.
Breme. Gut! So kann was werden. Ich habe ausgerechnet, dass wir über
sechshundert Mann stellen können. Wollt ihr, so ist in der nächsten
Nacht alles getan.
Martin. In der nächsten Nacht?
Breme. Es soll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr sollt wieder
haben alles, was euch gebührt, und mehr dazu.
Peter. So geschwind? Wie wäre das möglich?
Albert. Geschwind oder gar nicht.
Breme. Die Gräfin kommt heute an, sie darf sich kaum besinnen. Rückt
nur bei einbrechender Nacht vor das Schloss und fordert eure Rechte,
fordert eine neue Ausfertigung des alten Reverses, macht euch noch
einige kleine Bedingungen, die ich euch schon angeben will, lasst sie
unterschreiben, lasst sie schwören, und so ist alles getan.
Peter. Vor einer solchen Gewalttätigkeit zittern mir Arm' und Beine.
Albert. Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern.
Martin. Wie leicht können sie uns aber ein Regiment Dragoner über
den Hals ziehen. So arg dürfen wir's doch nicht machen. Das
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