Die Aufgeregten | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
und muss ihn verscheuchen. Ich war unvorsichtig und bin
unglücklich. Weg sind meine Hoffnungen auf den schönen Morgen,
weg die goldnen Träume, die ich zu nähren wagte. O, wie wenig Zeit
braucht es, unser ganzes Schicksal umzukehren!

Vierter Auftritt Karoline. Breme.
Karoline. Lieber Vater, wie geht's? Was macht der junge Graf?
Breme. Es ist eine starke Kontusion; doch ich hoffe, die Läsion soll
nicht gefährlich sein. Ich werde eine vortreffliche Kur machen, und der
Herr Graf wird sich künftig, sooft er sich im Spiegel besieht, bei der
Schmarre mit Achtung seines geschickten Chirurgi, seines Breme von
Bremenfeld erinnern.
Karoline. Die arme Gräfin! Wenn sie nur nicht schon morgen käme.
Breme. Desto besser! Und wenn sie den übeln Zustand des Patienten
mit Augen sieht, wird sie, wenn die Kur vollbracht ist, desto mehr
Ehrfurcht für meine Kunst empfinden. Standespersonen müssen auch
wissen, dass sie und ihre Kinder Menschen sind; man kann sie nicht
genug empfinden machen, wie verehrungswürdig ein Mann ist, der
ihnen in ihren Nöten beisteht, denen sie wie alle Kinder Adams
unterworfen sind, besonders ein Chirurgus. Ich sage dir, mein Kind, ein

Chirurgus ist der verehrungswürdigste Mann auf dem ganzen Erdboden.
Der Theolog befreit dich von der Sünde, die er selbst erfunden hat; der
Jurist gewinnt dir deinen Prozess und bringt deinen Gegner, der
gleiches Recht hat, an den Bettelstab; der Medikus kuriert dir eine
Krankheit weg, die andere herbei, und du kannst nie recht wissen, ob er
dir genutzt oder geschadet hat: Der Chirurgus aber befreit dich von
einem reellen Übel, das du dir selbst zugezogen hast, oder das dir
zufällig und unverschuldet über den Hals kommt; er nutzt dir, schadet
keinem Menschen, und du kannst dich unwidersprechlich überzeugen,
dass seine Kur gelungen ist.
Karoline. Freilich auch, wenn sie nicht gelungen ist.
Breme. Das lehrt dich den Pfuscher vom Meister unterscheiden. Freue
dich, meine Tochter, dass du einen solchen Meister zum Vater hast: Für
ein wohl denkendes Kind ist nichts ergötzlicher, als sich seiner Eltern
und Großeltern zu freuen.
Karoline (sie nachahmend). Das tu' ich, mein Vater.
Breme (sie nachahmend). Das tust du, mein Töchterchen, mit einem
betrübten Gesichtchen und weinerlichen Tone.--Das soll doch wohl
keine Freude vorstellen?
Karoline. Ach, mein Vater!
Breme. Was hast du, mein Kind?
Karoline. Ich muss es Ihnen gleich sagen.
Breme. Was hast du?
Karoline. Sie wissen, der Baron hat diese Tage her sehr freundlich, sehr
zärtlich mit mir getan; ich sagt' es Ihnen gleich und fragte Sie um Rat.
Breme. Du bist ein vortreffliches Mädchen! Wert, als eine Prinzessin,
eine Königin aufzutreten.
Karoline. Sie rieten mir, auf meiner Hut zu sein, auf mich wohl Acht zu
haben, aber auch auf ihn; mir nichts zu vergeben, aber auch ein Glück,
wenn es mich aufsuchen sollte, nicht von mir zu stoßen. Ich habe mich
gegen ihn betragen, dass ich mir keine Vorwürfe zu machen habe; aber
er--
Breme. Rede, mein Kind, rede!
Karoline. O, es ist abscheulich. Wie frech, wie verwegen!--
Breme. Wie? (Nach einer Pause.) Sage mir nichts, meine Tochter, du
kennst mich, ich bin eines hitzigen Temperaments, ein alter Soldat; ich
würde mich nicht fassen können, ich würde einen tollen Streich

machen.
Karoline. Sie können es hören, mein Vater, ohne zu zürnen; ich darf es
sagen, ohne rot zu werden. Er hat meine Freundlichkeit übel ausgelegt,
er hat sich in Ihrer Abwesenheit, nachdem Luise auf das Schloss geeilt
war, hier ins Haus geschlichen. Er war verwegen, aber ich wies ihn
zurechte. Ich trieb ihn fort, und ich darf wohl sagen: Seit diesem
Augenblick haben sich meine Gesinnungen gegen ihn geändert. Er
schien mir liebenswürdig, als er gut war, als ich glauben konnte, dass er
es gut mit mir meine; jetzt kommt er mir vor: Schlimmer als jeder
andere. Ich werde Ihnen alles, wie bisher, erzählen, alles gestehen und
mich Ihrem Rat ganz allein überlassen.
Breme. Welch ein Mädchen! Welch ein vortreffliches Mädchen! O, ich
beneidenswerter Vater! Wartet nur, Herr Baron, wartet nur! Die Hunde
werden von der Kette loskommen und den Füchsen den Weg zum
Taubenschlag verrennen. Ich will nicht Breme heißen, nicht den Namen
Bremenfeld verdienen, wenn in kurzem nicht alles anders werden soll.
Karoline. Erzürnt Euch nicht, mein Vater!
Breme. Du gibst mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, fahre fort,
deinen Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche in allem deiner
vortrefflichen Urgroßmutter, der seligen Burgemeisterin von
Bremenfeld. Diese würdige Frau war durch Sittsamkeit die Ehre ihres
Geschlechts und durch Verstand die Stütze ihres Gemahls. Betrachte
dieses Bild jeden Tag, jede Stunde, ahme sie nach und werde
verehrungswürdig wie sie! (Karoline sieht das Bild an und lacht.) Was
lachst du, meine Tochter?
Karoline. Ich will meiner Urgroßmutter gern in allem Guten folgen,
wenn ich mich nur nicht anziehen soll wie sie. Ha, ha, ha! Sehn Sie nur,
so oft ich das Bild ansehe, muss ich lachen, ob ich es gleich
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 22
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.