Die Aufgeregten | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
Ihr Vater und der Magister
bleiben vor der Schlossbrücke stehen und können noch nicht fertig
werden--
Luise (kommt mit einem Glase zurück).
Georg (fährt fort). Und das Kind kommt in den Saal getappt und ruft
mich, und ich fahre auf und will die Lichter anzünden, wie ich immer
tue, und wie ich schlaftrunken bin, lösche ich das Licht aus. Indessen
tappt das Kind die Treppe hinauf, und auf dem Vorsaal stehen die
Stühle und Tische, die wir morgen früh in die Zimmer verteilen wollen;
das Kind weiß es nicht, geht geradezu, stößt sich, fällt, wir hören es
schreien, ich mache Lärm, ich mache Licht, und wie wir
hinaufkommen, liegt's da und weiß kaum von sich selbst. Das ganze
Gesicht ist blutig. Wenn es ein Auge verloren hat, wenn es gefährlich
wird, geh' ich morgen früh auf und davon, eh' die Frau Gräfin ankommt;
mag's verantworten, wer will!
Luise (die indessen einige Bündelchen Leinwand aus der Schublade
genommen, gibt ihm die Flasche). Hier! Geschwind! Trage das hinüber
und nimm die Läppchen dazu, ich komme gleich selbst. Der Himmel
verhüte, dass es so übel sei! Geschwind, Georg, geschwind! (Georg ab.)
Halte warmes Wasser bereit, wenn der Onkel nach Hause kommt und
Kaffee verlangt. Ich will geschwind hinüber. Es wäre entsetzlich, wenn
wir unsere gute Gräfin so empfangen müssten. Wie empfahl sie nicht
dem Magister, wie empfahl sie nicht mir das Kind bei ihrer Abreise!
Leider hab' ich sehen müssen, dass es die Zeit über sehr versäumt
worden ist. Dass man doch gewöhnlich seine nächste Pflicht versäumt!
(Ab.)

Dritter Auftritt Karoline. Hernach der Baron.
Karoline (nachdem sie einige Mal nachdenkend auf und ab gegangen).
Er verlässt mich keinen Augenblick, auch im Traum selbst war er mir
gegenwärtig. O, wenn ich glauben könnte, dass sein Herz, seine
Absichten so redlich sind, als seine Blicke, sein Betragen reizend und
einnehmend ist! Ach, und die Art, mit der er alles zu sagen weiß, wie
edel er sich ausdrückt! Man sage, was man will, welche Vorzüge gibt
einem Menschen von edler Geburt eine standesmäßige Erziehung! Ach,
dass ich doch seinesgleichen wäre!
Der Baron (an der Türe). Sind Sie allein, beste Karoline?

Karoline. Herr Baron, wo kommen Sie her? Entfernen Sie sich! Wenn
mein Vater käme! Es ist nicht schön, mich so zu überfallen.
Baron. Die Liebe, die mich hieher führt, wird auch mein Fürsprecher
bei Ihnen sein, angebetete Karoline. (Er will sie umarmen.)
Karoline. Zurück, Herr Baron! Sie sind sehr verwegen. Wo kommen
Sie her?
Baron. Ein Geschrei weckt mich, ich springe herunter und finde, dass
mein Neffe sich eine Brausche gefallen hat. Ich finde Ihren Vater um
das Kind beschäftigt, nun kommt auch Ihre Muhme, ich sehe, dass es
keine Gefahr hat, es fällt mir ein: Karoline ist allein--und was kann mir
bei jeder Gelegenheit anders einfallen als Karoline? Die Augenblicke
sind kostbar, schönes, angenehmes Kind! Gestehen Sie mir, sagen Sie
mir, dass Sie mich lieben. (Will sie umarmen.)
Karoline. Noch einmal, Herr Baron! Lassen Sie mich, und verlassen Sie
dieses Haus!
Baron. Sie haben versprochen, mich so bald als möglich zu sehen, und
wollen mich nun entfernen?
Karoline. Ich habe versprochen, morgen früh mit Sonnenaufgang in
dem Garten zu sein, mit Ihnen spazieren zu gehen, mich Ihrer
Gesellschaft zu freuen. Hieher hab' ich Sie nicht eingeladen.
Baron. Aber die Gelegenheit--
Karoline. Hab' ich nicht gemacht.
Baron. Aber ich benutze sie; können Sie mir es verdenken?
Karoline. Ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll.
Baron. Auch Sie--lassen Sie es mich frei gestehen--auch Sie erkenne
ich nicht.
Karoline. Und worin bin ich mir denn so unähnlich?
Baron. Können Sie noch fragen?
Karoline. Ich muss wohl, ich begreife Sie nicht.
Baron. Ich soll reden?
Karoline. Wenn ich Sie verstehen soll.
Baron. Nun gut. Haben Sie nicht seit den drei Tagen, die ich Sie kenne,
jede Gelegenheit gesucht, mich zu sehen, und zu sprechen?
Karoline. Ich leugne es nicht.
Baron. Haben Sie mir nicht, sooft ich Sie ansah, mit Blicken
geantwortet? Und mit was für Blicken!
Karoline (verlegen). Ich kann meine eignen Blicke nicht sehen.

Baron. Aber fühlen, was sie bedeuten.--Haben Sie mir, wenn ich Ihnen
im Tanze die Hand drückte, die Hand nicht wieder gedrückt?
Karoline. Ich erinnere mich's nicht.
Baron. Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Karoline. Als wir unter der
Linde drehten, und ich Sie zärtlich an mich schloss, damals stieß mich
Karoline nicht zurück.
Karoline. Herr Baron, Sie haben sich falsch ausgelegt, was ein
gutherziges, unerfahrnes Mädchen--
Baron. Liebst du mich?
Karoline. Noch einmal, verlassen Sie mich! Morgen frühe--
Baron. Werde ich ausschlafen.
Karoline. Ich werde Ihnen sagen--
Baron. Ich werde nichts hören.
Karoline. So verlassen Sie mich.
Baron (sich entfernend). O, es ist mir leid, dass ich gekommen bin.
Karoline (allein, nach einer Bewegung, als wenn sie ihn aufhalten
wollte). Er geht, ich muss ihn fortschicken, ich darf ihn nicht halten.
Ich liebe ihn
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