Die Ahnfrau | Page 4

Franz Grillparzer
Daß du fortgingst?--Daß du hier warst!
Berta. Daß ich hier war?
Graf. Standst du nicht Hier auf dieser, dieser Stelle Schießend deine
kalten Pfeile Nach des grauen Vaters Brust.
Berta. Als Ihr schliefet?
Graf. Kurz erst, jetzt erst!
Berta. Eben komm ich von dem Söller! Als der Schlummer Euch
umfing Ging ich sehnsuchtsvoll hinaus Nach dem Teuern
umzuschauen.
Graf. Schändlich!--Mädchen, höhnst du mich?
Berta. Höhnen?--ich, mein Vater?--ich?
(Mit überströmenden Augen zu Günther.)
Ach sprich du!--Ich weiß nicht--kann nicht!
Günther. Ja fürwahr, mein gnäd'ger Herr, Ja, das Fräulein kömmt vom
Söller. Ich stand bei ihr, und wir schauten In die schneeerhellte Gegend
Ob kein Wanderer sich nahe. Erst als Ihr sie gellend rieft, Eilte sie mit
mir herbei.
Graf (rasch). Und ich sah--

Günther. Ihr sahet--?
Graf. Nichts!
Günther. Ihr saht etwa--?
Graf. Nichts! nichts sag ich!
(Vor sich hin.)
Es ist klar, ich hab geträumt! Wenn sich gleich die Sinne sträuben, Das
Gedächtnis es verneint, Doch ist's so; ich hab geträumt! Kann der
Schein sich also hüllen Ins Gewand der Wirklichkeit? Diese Hand seh
ich nicht klarer Als ich jenes Bild gesehn! Und doch, meine sanfte
Berta! Es ist klar, ich hab geträumt!-- Was stehst du so ferne, Berta?
Hast du keinen Vorwurf, Liebe, Für den harten, rauhen Vater Der so
bitter dich gekränkt? Ach, so warst du schon als Kind, Trugest
immerdar zugleich Der Beleid'gung herben Schmerz Und das Unrecht
des Beleid'gers. Immer gut und immer schuldlos, Schienst du stets die
Schuldige--
Berta (an seiner Brust). Und bin ich nicht wirklich schuldig? Wenn
auch nicht als Grund des Zornes, Ach, doch als sein Gegenstand!
Graf. Du verzeihst mir also, Berta?
Berta. Ihr habt wohl geträumt, mein Vater! Es gibt gar lebend'ge
Träume! Oder dieser Halle Dunkel Matt vom Kerzenlicht erhellt
Täuscht' in trügender Gestaltung Euer schlummertrunknes Aug'.
Oh, ich hab es oft erfahren, Wie die Sinne, aufgeregt, Stumpfe Diener
unsrer Seele, Gern für wahr und wirklich halten Die verworrenen
Gestalten, Die der Geist in sich bewegt. Gestern nur, mein Vater, ging
ich In des Zwielichts mattem Strahl Durch den alten Ahnensaal. In der
Mitte hängt ein Spiegel, Halb erblindet und voll Flecken. Wie ich ihn
vorüber gehe Bleib ich, meinen Anzug musternd, Vor dem matten
Glase stehn. Eben senk ich nach dem Gürtel Nieder meine beiden
Hände, Da--Ihr werdet lachen, Vater! Und auch ich muß jetzt fast
lächeln Meiner kindisch schwachen Furcht, Doch in jenem
Augenblicke Konnt' ich nur mit Schreck und Grauen Das verzerrte
Wahnbild schauen. Wie ich senke meine Hände Um den Gürtel
anzuziehn, Da erhebt mein Bild im Spiegel Seine Hände an das Haupt,
Und mit starrendem Entsetzen Seh ich in dem dunkeln Glase Meine
Züge sich verzerren. Immer sind es noch dieselben Und doch anders,
furchtbar anders, Und mir selbst nicht ähnlicher Als ein Lebend'ger
seiner Leiche. Weit reißt es die Augen auf Starrt nach mir, und mit dem

Finger Droht es warnend gegen mich.
Günther. Weh, die Ahnfrau!
Graf (wie von einem plötzlichen schrecklichen Gedanken ergriffen,
vom Sessel aufspringend). Ahnfrau!
Berta (verwundert). Ahnfrau?
Günther. Saht Ihr nie ihr Bild im Saale, Euch so ähnlich, gnäd'ges
Fräulein, Gleich als hättet Ihr dem Maler, Lieblich wie Ihr seid,
gesessen?
Berta. Oftmals hab ich's wohl gesehn, Es mit Staunen mir betrachtet,
Und es war mir immer teuer Wegen dieser Ähnlichkeit.
Günther. Und Ihr kennet nicht die Sage, Die von Mund zu Munde geht?
Berta. Schon als Kind hört' ich's erzählen, Doch ein Märchen nennt's
der Vater.
Günther. Ach, er fühlt's zu dieser Frist, Wie er sich's auch selbst
verhehle, Fühlt's im Tiefsten seiner Seele, Daß es mehr als Märchen ist.
Ja, die Ahnfrau Eures Hauses, Jung und blühend noch an Jahren, Berta,
so wie Ihr geheißen, Schön und reizend, so wie Ihr, Von der Eltern
Hand gezwungen, Zu verhaßter Ehe Bund, Sie vergaß ob neuen
Pflichten Langgehegter Liebe nicht; In den Armen ihres Buhlen
Überfiel sie der Gemahl. Durstend seine Schmach zu rächen, Straft' er
selber das Verbrechen Stieß ins Herz ihr seinen Stahl, Jenen Stahl, den
in der Blinde Man dort aufgehangen hat, Zum Gedächtnis ihrer Sünde,
Zum Gedächtnis seiner Tat. Ruhe ward ihr nicht vergönnet, Wandeln
muß sie ohne Rast, Bis das Haus ist ausgestorben, Dessen Mutter sie
gewesen, Bis weit auf der Erde hin Sich kein einz'ger Zweig mehr
findet Von dem Stamm den sie gegründet, Von dem Stamm der Borotin.
Und wenn Unheil droht dem Hause, Sich Gewitter türmen auf, Steigt
sie aus der dunkeln Klause An die Oberwelt herauf. Da sieht man sie
klagend gehen, Klagend, daß ihr Macht gebricht, Denn sie kann's nur
vorhersehen, Ab es wenden kann sie nicht!
Berta. Und das ist es--?
Günther. Das ist alles Was ich hier zu sagen wage, Wenn gleich all
nicht was ich weiß. Eines ist noch übrig, eines, Das des Hauses ältre
Diener, Das der Gegend welke Greise Bang sich in die Ohren raunen,
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