Deutsches Leben der Gegenwart | Page 6

Not Available
"dem Leben, der Ganzheit und Harmonie des Menschen, dem Wiederaufbau seelischer Form zu dienen" und so dem heimatlosen Epiker, seinem Leben wie seiner Kunst, eine neue Welt zu schaffen.
Heinrich Mann aber, Thomas Manns Gefahr und Gegensatz, ist nicht nur in und durch Thomas Mann überwunden, ist politisch an der Entwicklung der Zeit, künstlerisch an seiner zersetzenden Subjektivit?t und Lieblosigkeit zergangen. Thomas Mann hatte sein Geschlecht und Volk noch im Verfall umfa?t, hatte am Ende der Reihe, ein Zugeh?riger und doch Au?enstehender, in Liebe und Ironie zugleich ihm Gestalt gegeben. In Sehnsucht hatte jedes seiner Werke vom Wiederaufbau, der neuen Lebensform und Lebensgemeinschaft gehandelt. Im tiefsten Sinn war ihm, dem wahren Epiker, Richard Dehmels Spruch Lebensgefühl gewesen: "Alles Leid ist Einsamkeit--alles Glück Gemeinsamkeit." Heinrich Mann hatte sich stets wichtiger genommen als sein Geschlecht und sein Volk. Früh und fremd hatte er Vaterstadt und Vaterland den Rücken gekehrt. Der romanische Tropfen in seinem Blute trieb ihn nach Italien, das Thomas erst sein tiefes Deutschtum deutlich machte. Eine Zeitlang glaubte Heinrich Mann, dort "zu Hause zu sein. Aber ich war es auch dort nicht; und seit ich dies spürte, begann ich etwas zu k?nnen. Das Alleinstehen zwischen zwei Rassen st?rkt den Schwachen; es macht ihn rücksichtslos, schwer beeinflu?bar, versessen darauf, sich selbst eine kleine Welt und auch die Heimat hinzubauen, die er sonst nicht f?nde. Da nirgends Volksverwandte sind, entzieht man sich achselzuckend der üblichen Kontrolle. Da man nirgends eine ?ffentlichkeit wei? mit v?llig gleichen Instinkten, gelangt man dahin, sein Wirkungsbedürfnis einzuengen, es an einem einzigen auszulassen, wodurch es gewinnt an Heftigkeit. Man geht grelle Wege, legt das Viehische neben das Vertr?umte, Enthusiasmen neben Satiren, koppelt Z?rtlichkeit an Menschenfeindschaft. Nicht der Kitzel der andern ist das Ziel: wo w?ren denn andere! Sondern man schafft Sensationen für einen einzigen. Man ist darauf aus, das eigene Erleben reicher zu fühlen, die eigene Einsamkeit gewürzter zu schmecken." Welch treffendes Selbstbildnis! Welch Zerrbild eines Epikers! Ohne Wurzelboden, ohne Zusammenhang, ohne Liebe, im Selbstgenu? hochmütiger, überreizter Sensationen, zersetzender Erkenntnisse, ehrgeiziger Spannungen. Ihm wird die Kunst zur "widernatürlichen Ausschweifung". "Pippo Spano", das Gegenbild zum "Tonio Kr?ger", bekennt in leidender zuchtloser L?ssigkeit: "Sie (die Kunst) h?hlt ihr Opfer so aus, da? es unf?hig bleibt auf immer zu einem echten Gefühl, zu einer redlichen Hingabe. Bedenke, da? mir die Welt nur Stoff ist, um S?tze daraus zu formen. Alles, was du siehst und genie?t: mir w?re nicht an ihrem Genu? gelegen, nur an der Phrase, die ihn spiegelt. Jeder goldene Abend, jeder weinende Freund, alle meine Gefühle und noch der Schmerz darüber, da? sie so verderbt sind--es ist Stoff zu Worten." Das ganze Leben und Schaffen Heinrich Manns ist ?sthetischer Selbstgenu? statt ethischer Selbstvollendung oder -überwindung.
Welche epischen Werke k?nnen aus solcher Willkür wachsen? Das Hauptwerk "Die G?ttinnen oder die drei Romane der Herzogin von Assy" (1902-03) wei? der Wurzel- und Heimatlosigkeit seines Dichters keine andere Heldin als die Balkanprinzessin der Operetten. Macht, Kunst und Liebe werden--in reinlichem Nacheinander!--ihr Lebensinhalt. Der Balkan, Venedig, Neapel sind die billigen Kulissen dieser Stationen. Da Heinrich Mann nicht seine Literatur aus dem Leben, sondern sein Leben aus der Literatur empf?ngt, sind alle Figuren und Leidenschaften aus zweiter Hand, ?sthetische, durchsichtige, monumentalisierte Schemen, nicht unergründliche, blut- und seelenvolle Gestalten, nur der papiernen Phantasie von Literaten und Gro?st?dtern überzeugend. Was ihnen an organischem Leben fehlt, ersetzen sie durch die überreiztheit ihrer Gefühle und Geb?rden, durch Rausch und Hysterie--eine krampfige Nachfolge d'Annunzios.
Neben solchen Orgien einer überreizten Literatenphantasie stehen die satirischen Romane: "Im Schlaraffenland", "Professor Unrat", "Der Untertan" usw. Sie sind Emil Zola n?her, zumal ihr bester, "Im Schlaraffenland"--eine Schilderung des zersetzten Berlin W--aber ohne Zolas soziales Pathos. Auch die Satire bedarf der Liebe, um zeugen und geb?ren zu k?nnen, der Liebe zur armen, irregehenden Menschheit oder zum neuen, reineren Ideal. "Ich glaube nicht"--sagt Thomas Mann in den "Betrachtungen"--"da? ohne Sympathie überhaupt Gestalt werden k?nne; die blo?e Negation gibt fl?chige Karikatur." Auch hier scheint die Literatur, nicht das Leben--die Witzbl?tter scheinen Heinrich Mann die Gestalten und Vorg?nge zum "Professor Unrat" und "Untertan" gegeben zu haben: so fl?chig und billig sind sie gezeichnet. Jede lebendige Gestalt mu? Monate unter dem Herzen getragen, mu? mit Blut gen?hrt sein.
Nur e i n Roman ist Heinrich Mann gelungen, dem Wurzelboden und Atmosph?re eigen: "Die kleine Stadt". Es ist bedeutsam, da? er in Italien spielt: "Eine Zeitlang glaubte ich (dort) zu Hause zu sein." Einmal hat Heinrich Mann einen erlebten Gehalt und mit ihm eigene Form gefunden: dem immer bewegten V?lkchen des Südens, den flackernden Leidenschaften entspricht ein bewegter, farbiger, flirrender Impressionismus des Stils. Diese italienischen Kleinbürger, die sich hei?blütig und beweglich an ihren Worten und Geb?rden berauschen, alle ein wenig Künstler, ein wenig Schauspieler, ein wenig d'Annunzio, sind in ihrer Menschlichkeit und Kindlichkeit so liebenswürdig erlebt und gestaltet, da? sie und ihr Schicksal zu menschlich-symbolischer Bedeutung wachsen. Ihre Instinkte glimmen unter der Asche der
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 103
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.