Interesses, das ihn in Anspruch genommen h?tte, die Verarmung und Ver?dung seines Innern, verbunden mit einer unerbittlichen inneren Verpflichtung und z?hen Enschlossenheit, um jeden Preis würdig zu repr?sentieren, seine Hinf?lligkeit mit allen Mitteln zu verstecken und die Dehors zu wahren, hatte dies aus seinem Dasein gemacht, hatte es künstlich, bewu?t, gezwungen gemacht und bewirkt, da? jedes Wort, jede Bewegung, jede geringste Aktion unter Menschen zu einer anstrengenden und aufreibenden Schauspielerei geworden war."
Diesem Schauspieler des Ideals wird als Sohn Hanno Buddenbrook, der viel zu müde ist, um zu schauspielern, viel zu vornehm, um gleich seinem Onkel Christian zum "Fahrenden" zu werden. Wenn er zur Kunst flüchtet, so sucht er nicht das Formlose im Leben, sondern das Formlose jenseits des Lebens: die Musik, die vor und über aller Erscheinung ist, das Meer der unendlichen Melodie, das sein Tropfendasein erl?send zurücknimmt. Von den alten bürgerlichen Lebensformen verlassen, nach neuen nicht begierig, ein Bürger des Metaphysischen, das sich seinem Vater nur in der Lesung Schopenhauers einmal blendend enthüllt hat, gibt er leidvoll und heimwehmüde vor der Zeit das Leben preis.
Wie diese--erst in Hanno ungehemmte--"Sympathie mit dem Tode" heimlich aus der bürgerlichen Diesseitigkeit der Generationen emporw?chst, ist in weitgespannter, erschütternder Symbolik dargestellt. Die ersten, eigentlich epischen, lebensbejahenden Generationen verstehen den Tod nicht: "Kurios! Kurios!" murmelt der alte Monsieur Buddenbrook am Sterbebett seiner Frau mit leisem, erstauntem Kopfschütteln; mit einem letzten "Kurios" kehrt er selber sich sterbend zur Wand. "Mit Furcht und einem offenkundigen, naiven Ha?" beobachtet die Konsulin Buddenbrook, "die ehemalige Weltdame, mit ihrer stillen, natürlichen und dauerhaften Liebe zum Wohlleben und zum Leben überhaupt" die Fortschritte ihrer Krankheit; sie k?mpft mit dem Tod in langer, verzweifelter Kraft. Thomas Buddenbrook aber, der Held und Schauspieler des bürgerlichen Ideals, ist l?ngst so vom Tode unterh?hlt, da? ein Zahngeschwür genügt, um seine krampfhafte Lebensbehauptung niederzurei?en. Mitten auf der Stra?e wirft es ihn um; der so lang und gewissenhaft Würde, Haltung, Form verteidigt, liegt im Kot und Schneewasser des Fahrdamms. "Seine H?nde, in den wei?en Glacéhandschuhen, lagen ausgestreckt in einer Pfütze." Hanno aber k?mpft nicht mehr gegen den Tod; hemmungslos ersehnt und ruft er ihn als den Freund und Erl?ser.
Mit ?hnlicher, weitgespannter Symbolik, mit gleicher Fülle und Dauer der inneren Beziehungen baut sich alles auf in diesem Roman. Von den alten Epen ist das Leitmotiv übernommen und über Richard Wagner her musikalisch verinnerlicht, symbolisch vertieft. Gegenüber der lockeren Form des "Wilhelm Meister" und des "Grünen Heinrich" ist hier an Geschlossenheit des epischen Aufbaus in Deutschland ein H?chstes erreicht.
Die "Buddenbrooks" schreibt Thomas Mann, dreiundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre alt, in Italien und München, so wie Gottfried Keller seinen "Grünen Heinrich" in Berlin niederschrieb. Nicht er allein schuf diesen Roman; durch ihn schuf und gestaltete sich sein Geschlecht, sein Heimatstaat Lübeck, wie der Berner Stadt-Staat durch Jeremias Gotthelf, Zürich durch Gottfried Keller, das alte Berlin durch Theodor Fontane sich Gestalt erdrang. Aber Gottfried Keller kehrte aus Berlin nach Zürich heim, wurde Staatsschreiber und Führer, nahm in Anteil und Liebe neue Lebensbilder und -schicksale seines Volkes auf, Grund und Gehalt zu neuen Sch?pfungen. Was blieb Thomas Mann, dem Epiker, der seine eigene Welt zu Grabe getragen, der ihr das letzte Zeichen seiner Liebe im Riesendenkmal seiner Dichtung geschaffen hatte? Ein Lyriker hat die Natur, ein Dramatiker. die Idee, die seiner Kunst Boden und Wachstum geben. Ein Epiker ist undenkbar ohne Volks- und Heimatzusammenhang. Im Weh verfrühter Hellsicht stand der Einsame, Zurückgebliebene, ein K?nig ohne Land, ein Bildner ohne Stoff. Sollte er zum blo?en Zuschauer, Beobachter, Kritiker, zum weiteren Zersetzer des Lebens werden? Sollte er das Leben verachten, das ihm nicht gem?? war, und hochmütig sich in das Reich einer rein formalen Kunst, einer l'art pour l'art, zurückziehen? Das Europ?isch-Intellektuelle seine Wesens, das Romanische seines Blutes dr?ngte zu diesem Entscheid. Der Zwiespalt wurde zur Dichtung: In den "Buddenbrooks" hatte Thomas Mann sich Rechenschaft über das Problem seines Lebens gegeben, im "Tonio Kr?ger" gab er sich Rechenschaft über seine Kunst.
Und er blieb dem Leben treu, obwohl es ihn allein gelassen hatte. über die Qual der Einsamkeit, den Hochmut der Form und Erkenntnis hinweg bekannte, ja predigte er "die Bürgerliebe zum Menschlichen, Lebendigen und Gew?hnlichen. Alle W?rme, alle Güte, aller Humor kommt aus ihr, und fast will mir scheinen, als sei sie jene Liebe selbst, von der geschrieben steht, da? einer mit Menschen- und Engelszungen reden k?nne und ohne sie doch nur ein t?nendes Erz und eine klingende Schelle sei." Er verspottete und gei?elte die Gefahren des Literaten- und ?sthetentums--seine Gefahren!--im Schriftsteller Spinell. In Leidverwandtschaft kehrte er sich den Enterbten des Lebens zu, sprach er sein Leid in ihrem Leid, im Weltleid aus. Wie in den "Lamentationen" Heines, den das Leben verwiesen und in die Matratzengruft geworfen hatte, so ziehen die Verfolgten und Verratenen des Lebens--Tobias Mindernickel, der kleine Herr Friedemann, der Bajazzo, Rechtsanwalt Jacoby, Friedrich Schiller, Baronin Anna, Lobgott Piepsam, Van der Qualen, Hieronymus--mit
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