"Verfall einer Familie" schildert der Epiker den Verfall einer Welt, der Welt des alten deutschen Bürgertums. Subjektiv "flüchtig und ohne da? ich an diesem Gegentyp sonderlich teilgenommen h?tte", objektiv aber notwendig und bedeutsam geht dem Abstieg der Buddenbrooks der Aufstieg der Hagenstr?ms parallel, um in der übernahme des Buddenbrookschen Hauses durch Hagenstr?ms zu gipfeln: Der Bürger wird abgel?st durch den Bourgeois, patriarchalische, sittliche, geheiligte Lebensformen, die über den Personen und Generationen standen, weichen der egoistischen, skrupellosen Willkür des Individuums, das "frei von der hemmenden Fessel der Tradition und der Piet?t auf seinen eigenen Fü?en stand" dem "alles Altmodische fremd" war.
In vier Generationen umfa?t der Roman die Zeit von 1768, dem Gründungsjahr der Firma (unmittelbar von 1835, dem Jahr des Wohnungswechsels) bis nach 1880: die eigentliche Zeit des neuen deutschen Bürgertums, in Aufstieg, Glanz und Niedergang. Schon diese ?u?ere Spannweite greift über jeden deutschen Roman hinaus, nicht minder die innere: der Beginn: rationalistische Behaglichkeit, sinnlich-geruhige Lebensfreude und Lebensbejahung, das runde, rosig überhauchte, wohlmeinende Gesicht, das schneewei? gepuderte Haar, das leise angedeutete Z?pflein des alten Monsieur Johann Buddenbrook, ein Diner von traditioneller Feinheit und Fülle und epischer Dauer, Schinken von sagenhaftem Umfang, Puddings von mythischer Schichtung und Mischung, Weine von staubumsponnenem Alter, anakreontisch t?ndelnde Verse: "Venus Anadyoméne--Und Vulcani flei?'ge Hand", heiter-grazi?se Fl?tent?ne und ein wenig schlüpfrige Verslein im Billardsaal. Und das Ende: der fünfzehnj?hrige, lebensunwillige, leidverlorene Hanno Buddenbrook mit den Augen des Wissenden, Einsamen, Heimatlosen, der so müde des Daseins ist, der schlafen m?chte und nichts mehr wissen: "man sollte mich nur aufgeben; ich w?re so dankbar dafür", der aus der Sph?re epischer Bejahung und Gegenst?ndlichkeit in verzweifeltem Aufbruch sich hinüberflüchtet in das weltflüchtige, weltverneinende, jenseitige Reich einer an Wagner geschulten Musik: Hanno Buddenbrook vor dem Flügel.
Zwischen diesen ?u?ersten Spannungsweiten dehnt sich die Handlung. In einer epischen Gegenst?ndlichkeit, die keine Reflexion, keinen blassen Bericht zul??t, die ganz sichtbare, farbige Gegenwart ist, folgen sich die Gestalten und Generationen als feste Glieder in der Kette des Geschlechts, der Firma, der bürgerlichen Tradition. Dieser Zusammenhang umfa?t ihre Weltanschauung. Ihr Unsterblichkeitsglaube ist der epische des Geschlechts: "da? er (Thomas Buddenbrook) in seinen Vorfahren gelebt habe und in seinen Nachfahren leben werde. Dies hatte nicht allein mit seinem Familiensinn, seinem Patrizierselbstbewu?tsein, seiner geschichtlichem Piet?t übereingestimmt; es hatte ihn auch in seiner T?tigkeit, seinem Ehrgeiz, seiner ganzen Lebensführung unterstützt und bekr?ftigt." Die Bibel dieses Glaubens ist die Familienchronik: die feierliche Darstellung des Werdens, Ringens und Wachsens dieser Folge, der Menschen, der Generation und des Ideals, dem sie unterstellt sind: der Firma.
Wie es die Lebensaufgabe der Fürsten- und K?nigsh?user ist, ihren überkommenen Machtbezirk taten- und ehrenvoll zu behaupten und zu erweitern, so ist es die verantwortungsvolle Aufgabe des Bürgerhauses, die ererbte Firma zu immer weiterer Wirkung, immer reicherer Würde zu führen. Eine überpers?nliche, sittliche Aufgabe! Ihr opfert man seine Ruhe, seine Liebe, sein Glück. "Wir sind nicht dafür geboren, was wir mit kurzsichtigen Augen für unser eigenes, kleines, pers?nliches Glück halten, denn wir sind nicht lose, unabh?ngige und für sich bestehende Einzelwesen, sondern wie Glieder in einer Kette, und wir w?ren, so wie wir sind, nicht denkbar ohne die Reihe derjenigen, die uns vorangingen und uns die Wege wiesen, indem sie ihrerseits mit Strenge und, ohne nach rechts oder links zu blicken, einer erprobten und ehrwürdigen überlieferung folgten."
Die ersten beiden Generationen des Romans sind von diesem Lebensgefühl noch bluthaft durchdrungen; in den beiden letzten zersetzt es sich. Nur Toni Buddenbrook bleibt sein gl?ubiger Tr?ger. Ihm opfert sie ihre Jugendliebe, um seinetwillen heiratet sie den erst widerw?rtigen Grünlich, um seinetwillen trennt sie sich von ihm, um seinetwillen geht sie die neue We mit Permaneder ein. Und als alle m?nnlichen Glieder der Familie gestorben, die Firma aufgel?st ist, da bleibt ihr Lebenstrost, einmal in der Woche die weiblichen Verwandten zu sich zu laden: "Und dann lesen wir in den Familienpapieren." Ihr Gegensatz ist ihr Bruder Christian. Ihn verm?gen die alten Lebensformen nicht mehr zu halten, sie lassen ihn gehen, er l??t sich gehen: "Wie satt ich das alles habe, dies Taktgefühl und Feingefühl und Gleichgewicht, diese Haltung und Würde, wie sterbenssatt!" Die Firma, das überpers?nliche Ideal der Familie bedingt ihn nicht. Er zergeht in "?ngstlicher, eitler und neugieriger Besch?ftigung mit sich selbst". Sein Interesse für Theater, Varieté und Zirkus ist das Interesse des formlos gewordenen Bürgers für "die Fahrenden" die dem mittelalterlichen Bürger als unehrlich galten.
Schlie?lich heiratet er seine Kurtisane; den alten, bürgerlichen Formen entglitten, unf?hig, sich neue zu bilden, f?llt er seelisch und k?rperlich auseinander. Zwischen Toni und Christian steht Thomas Buddenbrook. Die Gefahren Christians, der Hang zur Formlosigkeit und Subjektivit?t, ist ihm nicht fremd. Er bek?mpft und überwindet sie. Er wird zum Helden des sinkenden bürgerlichen Ideals. Aber die alten Lebensformen halten weniger ihn, als da? er sie h?lt. Der Held wird zum Schauspieler des Ideals; er repr?sentiert es, er verk?rpert es nicht. "Der g?nzliche Mangel eines aufrichtig feurigen
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