musikalisch als plastisch, sie wei? mehr von der inneren Einsamkeit der Pers?nlichkeit als von der Gemeinsamkeit des Standes, Volkes und Staates, mehr von Kampf und Tragik als von Frieden und Daseinsfreude. Schon die Nibelungen sind im Grunde eine Trag?die, der grauenvolle Untergang eines ganzen Volkes. Ein unendliches Wehklagen ist ihr Schlu? und die düstere Erkenntnis, "da? alle Freude immer zuletzt in Leid sich kehrt". Und der erste der gro?en deutschen Prosaromane, Grimmelshausens "Simplizissimus", schildert die irrende deutsche Seele, die aus Mord und Getümmel des Drei?igj?hrigen Krieges auf eine einsame Insel, an das Herz ihres Gottes flüchtet. Die Entwicklung und Vollendung der Seele wird zum Inhalt des deutschen Romans, nicht die Darstellung des ?u?eren Lebens, der Gesellschaft, des Volkes, der Kriege und Siege. Die gro?en deutschen Epen und Romane sind Entwicklungsromane: "Parzival", "Simplizissimus", "Wilhelm Meister", "Der grüne Heinrich".
Diese deutsche Wesensart ist durch die Geschichte Deutschlands bedeutsam verst?rkt worden--wobei vielleicht auch hier "Schicksal und Gemüt Namen e i n e s Begriffes sind" (Novalis). W?hrend die romanische und angels?chsische Welt mit der Renaissance sich der Bewunderung, Erforschung und Eroberung der Natur zuwandte, verlor sich Deutschland in die metaphysischen Tiefen und Konflikte der Reformation, bis da? es in einem drei?igj?hrigen Religionskriege fast zugrunde ging. Aber w?hrend es politisch und wirtschaftlich so auf lange daniederlag, hob es sich philosophisch und künstlerisch zu seiner gr??ten Bedeutung. Zum epischen Ausdruck dieser inneren Welt und Wesenheit wird der Roman der deutschen Romantik (H?lderlin, Novalis, Jean Paul. Eichendorf, E. T. A. Hoffmann), der durchaus musikalisch-metaphysisch bestimmt ist, aus der Welt der Gestalten in die "unendliche Melodie" hinüberdr?ngt.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts tritt Deutschland aus dem Reich der Dichtung, Philosophie und Religion in das Reich der Industrie, Technik und Politik hinaus. Aber die künstlerisch bedeutenden realistischen Romane, die um diese Zeit entstehen (Immermanns "Münchhausen", 1838, Ludwigs "Heiteretei", 1853, Freytags "Soll und Haben", 1855, Reuters "Ut mine Stromtid", 1862-64, Raabes "Der Hungerpastor", 1864), begleiten diese Entwicklung kaum. Ihre Welt ist die des alten Deutschlands, des Bauerntums, der Gutsbesitzer, des Kleinbürgertums geblieben. Die deutsche Kultur vermag die neuen, industriellen und politischen Kr?fte nicht sch?pferisch zu durchdringen und zu formen.
Es war das Verh?ngnis der deutschen Kultur, da? die neue Entwicklung die klassische Zeit des deutschen Idealismus nicht auf ihrer H?he, sondern im Niedergang antraf, da? das philosophisch-dichterische und das naturwissenschaftlich-technische Zeitalter sich nicht durchdrangen, sondern einseitig abl?sten. Als die idealistische deutsche Weltanschauung schon in sich zersetzt, Hegels Philosophie bei Feuerbach in ihr Gegenteil umgeschlagen war, da drangen Naturwissenschaften, Technik und Industrie ein. Eine abgestorbene innere Welt stand einer jungen ?u?eren gegenüber, die sich in unerh?rter J?he und St?rke entwickelte. Und die politischen Geschehnisse--die wieder nicht aus innerem Wachstum reiften, sondern von au?en, durch Bismarcks Genius heraufgeführt wurden--steigerten diese Entwicklung ins Hemmungslose. So vermochten die alten bürgerlichen Lebensformen sich nicht mehr organisch fortzubilden; sie wurden gesprengt. Mit dem Aufstieg des deutschen Bürgertums zur ?u?eren Macht beginnt seine innere Zersetzung. Der Biedermeierstil ist der letzte Ausdruck einer bürgerlichen Lebensform in Deutschland.
Am Ende dieser bürgerlichen Kultur steht Thomas Mann (geb. 1875). Seine Vaterstadt Lübeck, die alte Hansastadt, vermochte ihre Lebensformen am l?ngsten zu behaupten. Die "Buddenbrooks" (1901) sind der gr??te und letzte bürgerliche Roman in Deutschland.
Thomas Mann war--wie sein Bruder Heinrich Mann--der Sohn eines Lübecker Senators. über ein Jahrhundert hinweg sah er sein Geschlecht in der sicheren Tradition, den festen bürgerlichen Lebensformen der Freien Hansastadt wurzeln und wirken. Und am Ende dieser Reihe standen er und sein Bruder, unwillig, unf?hig, diese Tradition fortzuleiten. Der Dreiundzwanzigj?hrige suchte nach einer Erkl?rung, einer Rechtfertigung seines Andersseins. Und als Sohn eines naturalistischen Zeitalters, das eben Darwin aufgenommen hatte, das Entwicklung und Verfall der Arten, die geheimnisvolle Unübersehbarkeit der Erbgesetze zu durchschauen meinte, sah er--nicht ohne Einflu? Zolas und seiner Rougon-Macquart-Reihe--sich als den Ausgang eines alten, immer mehr verfeinerten Geschlechtes, das schlie?lich, durch Beimischung des mütterlichen, romanischen Blutes dem t?tigen Leben entfremdet, im blo?en Zuschauer, Kritiker und Gestalter des Lebens, im Künstler, endete. Ein Entartungs-, ein Dekadenzproblem! Auf mehr denn tausend Seiten schrieb der Jüngling die Chronik des Niederganges: "Buddenbrooks. Verfall einer Familie." Aber er war viel zu seelenhaft, zu metaphysisch, zu musikalisch, als da? er im naturalistischen Roman steckengeblieben w?re. St?rker als Zola bestimmte ihn Richard Wagner, dessen überwiegend epische Elemente ihm deutlich und nah waren, st?rker als die Rougon-Macquart-Reihe der "Ring der Nibelungen". So wurde ihm die Entartung zur Verinnerlichung: Vier Generationen schreiten den Weg aus klarer, derber Lebenstüchtigkeit in die allaufl?sende, geheimnisdunkle, "unendliche Melodie". Durch die naturalistische Darstellung bricht das Lebensgefühl der deutschen Romantik: "Sympathie mit dem Tode".
Die vier Generationen schreiten den Weg nicht nur kraft einer naturgesetzlich berechenbaren Zersetzung ihres Blutes und ihrer Nerven, nicht nur Kern einer metaphysisch unbedingten Wesensgegebenheit, sie schreiten ihn auch, weil die alten bürgerlichen Lebensformen ihrer Umwelt sie nicht mehr zu halten und binden verm?gen. Auch hier sind, im weiten epischen Sinne, "Schicksal und Gemüt Namen Eines Begriffes" (Novalis). Im
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