Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde | Page 7

Klabund
sind
theologische Dogmatiker oder rationalistische Moralisten. Sie
bezweifeln das Wunder, wollen Natur- und Kirchengeschichte unter
denselben Pfaffenhut bringen: aber wer das Wunder bezweifelt,
bezweifelt Gott selbst. Luther hat die damalige Christenheit, unterstützt
von der humanistischen Vorrevolution des Geistes, von der römischen
Knechtschaft befreit, aber er hat den Deutschen den schlechtesten
Dienst erwiesen, als er in den Bauernkriegen Partei für die Fürsten
ergriff und durch seine sophistische Auslegung der Bibel im
monarchistischen Sinne (»Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ... es ist
euch eine Obrigkeit gesetzt von Gott, der sollt ihr untertan sein ...«) die
Deutschen unter die absolute Tyrannei der Fürsten brachte und
Tyrannei und Sklaverei nun gar noch ethisch zu fundieren trachtete.
Hier trieb der einst in seiner Jugend vom Vater in ihm gezüchtete und
herangeprügelte Autoritätswahn häßliche Blüten. Daß der »Untertan«
den Deutschen noch heute so tief im Blute steckt, daß selbst die
Revolution 1918 ihn nicht auszuroden vermochte, das ist nicht zum
wenigsten auf die Philosophen des Staatsrechts und des Machtwahns:
Bismarck, Hegel, Luther zurückzuführen. Luther aber war ihr
bedeutendster und also verderblichster Vertreter. Erscheint seine
historische Stellung in mindestens zweifelhaftem Lichte, so ist seine
Stellung in der deutschen Literatur eindeutig fest und steil gefügt. Die

Bedeutung der Lutherschen, 1534 vollendeten Bibelübersetzung kann
nicht überschätzt werden. Es ist, als hätte Luther die neue deutsche
Sprache überhaupt erst geschaffen. Aus so mangelhaften Vorlagen wie
der sächsischen Kanzleisprache und der obersächsischen Mundart
zimmerte er wie ein Geigenbauer jenes klingende Instrument, auf dem
entzückt und berauscht wir heute noch spielen dürfen. Er aber war der
Töne Meister wie Arion: und wenn er sprach, dann schwieg die
Nachtigall, dann hob der Esel lauschend den behaarten Kopf -- dann
verstummten selbst die Humanisten mit ihrem lateinischen Geplauder,
und Ulrich von Hutten konnte auf einmal deutsch statt lateinisch
denken und dichten. »Ich hab's gewagt.« Die deutsche Sprache war den
gelehrten Herren bisher zu grobschlächtig gewesen für ihre
Spitzfindigkeiten. Sie wollten nichts mit dem Pöbel gemein haben, und
es war ihnen gerade recht, daß man sie in der Menge nicht verstand.
Nun aber hörten sie erstaunt, gleichsam zum erstenmal, den Klang der
deutschen Sprache. Das war wie Möwenschrei über der Elbe, wie
Amselsang im Frühling, wie Herbstwind in den Sandsteinfelsen, wie
Quellengeriesel im Eichenwald. Und einer nach dem andern tat sein in
Schweinsleder gebundenes lateinisches und griechisches Lexikon in
den Bücherschrank zurück und legte die Luthersche Bibel auf den
Schreibtisch und fand darin sein Morgen- und sein Abendgebet. Auch
Luthers Flugschriften, wie »Von der Freiheit eines Christenmenschen«,
flogen durch das Land, und in Kirchen und auf Straßen sang es:
»Komm, heiliger Geist, kehr bei uns ein«. Und sie, die tumben Bauern,
die im Vertrauen auf seine Lehre und ihren Lehrer sie in die Tat
umzusetzen versuchten (denn was ist die Idee ohne die Tat? Das ist wie
Seele ohne Leib, wie Duft ohne Blume): sie starben, als sie von ihm
verlassen wurden, hingeschlachtet von den Schwerthieben der Söldner,
mit dem Ruf: »Ein feste Burg ist unser Gott ...« Luthers kernige und
fröhliche Tischreden, die von seinen Freunden aufgezeichnet wurden,
beweisen, was für ein großer Redner er war. Er steckte damit wohl alle
heutigen Volkstribunen in die Tasche: nur schade, daß er selber kein
Volks-, sondern ein Fürstentribun war.
* * * * *
Luther starb 1546 in Eisleben. Von seiner geistlichen Lyrik nahm das

evangelische Kirchenlied seinen Anfang. Ihre schönsten geistlichen
Lieder verdankt die evangelische Kirche Paul Gerhard (1607-1676,
starb in Lübben als Prediger). Ein einfaches Gemüt paart sich mit
einem streitbaren Gotteseifer und einem unbeirrbaren poetischen
Formgefühl. Wir alle, die wir Evangelische (ach! keine Evangelisten
mehr ...) sind, haben als Kinder diese Gedichte in der
Konfirmationsstunde auswendig gelernt und in der kahlen Dorfkirche
gesungen. In ihnen durfte sich das kindliche Gemüt Gott wahrhaft nah
fühlen. Die Musik dieser Verse strich uns, wenn der lahme Küster die
Orgel spielte, wie mit Vaterhänden über die Stirn, und unsere
kindlichen Sorgen beschwichtigte das singende Geständnis, das unsere
Lippen hauchten: Ich weiß, daß ein Erlöser lebt ... Abends aber, wenn
nach des Tages Arbeit wir mit Vater und Mutter und mit den Knechten
und Mägden vor der Tür in der lauen Sommerluft saßen, eine Kuh
verschlafen im Stalle muhte, die Hühner auf der Stange hockten, den
Kopf im Gefieder, dann stimmte mein Großvater an, und wir fielen alle
leise ein:
Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städt' und Felder ...
Von der lutherischen zur katholischen Kirche trat Angelus Silesius (aus
Breslau, 1624-1677), der cherubinische Wandersmann, über. Er schrieb
nach seiner Bekehrung jene mystischen Zweizeiler, in denen die
»ägyptische Plage« des Dreißigjährigen Krieges einen so prägnanten,
überaktuellen Ausdruck fand.
Um diese Zeit begann Magister Opitz (aus Bunzlau, 1597 bis 1639)
seine lehrhafte Tätigkeit. Es ist heute leicht, sich über eine Menge
seiner Unarten und Albernheiten lustig zu machen: sein Verdienst um
die Hebung des allgemeinen Niveaus kann nicht bestritten
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