Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde | Page 8

Klabund
werden.
Ohne Opitz kein Gottsched, ohne Gottsched kein Herder, ohne Herder
kein Goethe.
Paul Fleming (aus dem sächsischen Erzgebirge, 1609 bis 1640)
wandelte als Planet im Gefolge der Opitzschen Sonne. Aber es sollte
ihm gelingen, eigene Bahnen zu finden und sie zu überstrahlen. Seine
zärtliche Liebe zu Elsabe schenkte der deutschen Dichtung einige ihrer
schönsten Liebesgedichte. Fabrikanten von protestantischen

Gesangbüchern haben es sich nicht nehmen lassen, ihre dogmatische
Giftmischerkunst daran zu versuchen und umgekehrt, wie einst
Christus, Wein in Wasser zu verwandeln. Sie setzten nämlich für
Elsabe Jesus, und wenn im Liede Elsabe ihr Jawort gibt, so modeln sie
das in: »Jesus gibt sein Ja auch drein«. Zu dieser Verballhornung hat
Jesus sicher sein Ja nicht drein gegeben. Er wird im Himmel sanft
gelächelt haben, denn er kennt seine Pfaffenheimer.
* * * * *
In der Lyrik der Schlesier Hofmann von Hofmannswaldau (1617-1679)
und Daniel Caspar von Lohenstein (1635-1683) spielt Venus,
prunkvoll aufgeputzt, eine triumphierende Rolle. Wenn sie, wie
zuweilen bei Hofmannswaldau, vom Venuswagen steigt, ihr
überladenes Geschmeide abtut und ein hübsches Breslauer
Bürgermädchen wird, braunhaarig, braunäugig, rotwangig: da wird sie
uns lieb und vertraut, wir setzen uns gern zu ihr ins Gras und lassen uns
ein ihr zu Ehr und Preis verfertigtes Lied des Herrn von
Hofmannswaldau mit leiser Stimme ins Ohr singen. Caspar von
Lohenstein huldigte seinerseits neben der Venus den Göttern Mars und
Mors. Er schrieb schwulstige Tragödien von schauerlicher
Blutrünstigkeit. Der Entfaltung der Sitten und der Entwicklung der
Tugend war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges nicht gerade günstig.
Im großen und im kleinen wurde geplündert, gemordet und
vergewaltigt. Der Fürst vergewaltigte das Land, der Landsknecht die
Bauernmagd. Zum Besten des Vaterlandes und zu höherer Ehre Gottes
wurden die abscheulichsten Taten getan. Der Wiener Hofkapuziner
Abraham a Santa Clara (1644-1709) wetterte in seinen Reden und
Predigten mit Stentorstimme und einem gewaltigen Aufwand an
schnurrigem Pathos gegen die Sittenlosigkeit, wobei er wenig genug
ausrichtete. Der Elsässer Moscherosch (1601 bis 1669) malte in seinen
»Gesichten Philanders von Sittewald« die Verrottung der Zeit, die ihre
höchste dichterische Formung in Christoph von Grimmelshausens (aus
Hessen, 1625-1676) »Abenteuerlichem Simplizissimus« fand. Neben
dem Grübler Faust, dem weisen Narren Eulenspiegel kann man den
reinen Toren Parsival als die dritte Verkörperung der deutschen Seele
ansprechen. Parsival heißt bei Grimmelshausen Simplizissimus. Alle

die vielfältigen Anfechtungen besiegt und überwindet die einfältige
Seele, die groß und einfach in sich selber ruht, wie eine Perle in der
Muschel. Der Hintergrund des Romans ist das zerrissene und zertretene
Deutschland des Dreißigjährigen Krieges. Andreas Gryphius (aus
Großglogau, 1616-1664) erlebte das allgemeine Elend seiner Zeit am
eigenen Leibe und an eigener Seele nicht typisch wie Grimmelshausen,
sondern individuell: und es gelang ihm, es bis zur reinsten lyrischen
Gestaltung zu verklären. Das Leitmotiv seiner Gedichte ist das
christliche Symbol von der Vergänglichkeit des Menschen und der
Eitelkeit alles Irdischen. Dieses ursprünglich religiöse und fast
kirchlich-dogmatische Gefühl vertieft sich in seinen Sonetten grandios
künstlerisch zur Weltanschauung einer erschütternden Resignation und
eines erhaben schmerzlichen Pessimismus. Die grauenvolle Zeit, die in
dem Krieg und in dem Frieden, in dem wir heute gezwungen sind zu
leben und zu sterben, eine Parallele findet, duldete keines fröhlichen
Weltfreundes rosenroten Optimismus. =Vanitas! Vanitatum vanitas!=
Es ist alles eitel. Daß auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen --
dies ist die bitterste Erfahrung, die uns auch der große Krieg von 1914
bis 1918 gelehrt hat. Lüge, Heuchelei, Mammonismus und
Materialismus haben die Seelen regiert, und wo ist jemand, der da
sprechen kann, daß die seine im Schwertertanz ums goldene Kalb ganz
frei davon geblieben? Stoßt das goldene Kalb vom Sockel und setzt
eine weiße Marmorstatue der Göttin der Liebe, der Welt- und Gott- und
Menschenliebe an seiner statt und nehmt euch bei den Händen und
schlingt um das Denkmal wie mit Rosenketten den Frühlingsreigen
einer besseren Zeit. -- Elegie und Ironie wohnen nahe beieinander. In
Gryphius' Lustspiel =»Horribilicribrifax«= schwingt er spöttischen
Mundes die Geißel über Halbbildung und Phrasentum, die sich als
Folge der Überschätzung alles Militärischen besonders beim
Offiziersstand bemerkbar machten. Der aufschneiderische Maulheld
=Horribilicribrifax= ist eine köstliche Figur, die man heute noch
leibhaftig herumlaufen sehen kann. -- Einen bürgerlichen Maulhelden
nahm sich Christian Reuter, ein Leipziger Student (geboren 1665), eine
unstete Vagantennatur, die irgendwo im Elend verdarb und starb, zum
Vorbild; es ist der Signor Eustachius Schelmuffski, dessen wahrhaftige,
kuriose und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und zu
Lande auf das vollkommenste und akkurateste er an den Tag gab. Diese

lügenhafte Reisegeschichte, die Schelmuffski über Schweden, die
Bretagne, Rom bis nach Indien führt (sie ist dem hochgeborenen
großen Mogul dem Älteren, weltberühmten Könige oder vielmehr
Kaiser in Indien gewidmet ...), ist einer der besten komischen Romane
der Deutschen und nebenbei ein ergötzlicher Zeitspiegel. Auch
Gryphius und Grimmelshausen spiegelten die Zeit. Sehen wir in ihren
Zeitspiegel, steigt die Träne ins Lid.
* * * * *
Wie ein Sturmwind braust Johann Christian Günther
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