Des Meeres Und Der Liebe Wellen | Page 6

Franz Grillparzer
die Sonne, Doch auch wie jene einen Abend:
Reue.
Tempelhüter (hinter der Szene). Nein, sag ich, nein.
Naukleros (ebenso). So hört doch, lieber Herr!
Priester. Tut eure Pflicht, du Bruder aber komm!
(Beide nach der rechten Seite ab.)
Der Tempelhüter (auftretend).
Hier steh ich, hier. Und wagst du's, kühner Knabe, Und setzest über
mich hin deinen Fuß?
Naukleros (der gleichfalls sichtbar geworden ist). Nicht über euch,
doch, seht ihr, neben euch. Und also bin ich hier. Leander komm!
(Leander tritt auf.)
Tempelhüter O Jugendübermut! Ward euch nicht kund--?
Naukleros. Nichts ward uns kund; denn Fremde sind wir, Herr, Und
kommen von Abydos' naher Küste Nach Sestos her, um euer Fest zu
schaun.
Tempelhüter. Doch lehrt man Sittsamkeit nicht auch bei euch?
Naukleros. Wohl lehrt man sie, zugleich mit andern Sprüchen, Als: sei
nicht blöd! sonst kehrst du hungrig heim.
Tempelhüter. Ich aber--
Naukleros. Seht, indes ihr hier euch abmüht Um uns, die zwei, strömt
dort das Volk in Haufen.
Tempelhüter. Zurück da! Hört ihr wohl?
(Er wendet sich nach dem Hintergrunde und ordnet das Volk, das von
der linken Seite, nahe den Stufen des Tempels, hereindringt.)
Naukleros (zu Leander). Was zerrst du mich? Wir sind nun einmal da.
Wer wagt gewinnt. Hier ist der beste Platz. Fest auf den Sockel Setz ich
den Fuß. Laß sehn, wer mich vertreibt. Und sieh mir um nach all der
Herrlichkeit! Das Gotteshäuslein dort, das Tor, die Säulen; So was
erblickst du nimmermehr daheim. Schau! einen Altar setzt man in die
Mitte, Wohl um zu opfern drauf.--Doch wornach schaust du? Blickt er
zu Boden nicht! Nu, bei den Göttern! Befällt er hier dich auch, der alte
Trübsinn? Ich aber sage dir--
(Das Volk hat sich nach und nach, der linken Seite entlang, geordnet,
bis dahin wo die beiden Freunde stehen.)
Naukleros (umschauend). Nun guter Freund, Ihr drängt gar scharf.
(Zu Leander.)

Hörst du? ich sage dir: Weißt du nicht heute abend klein und groß Mir
zu erzählen was sich hier begab, Und trinkst nicht einen großen Becher
Wein Lautjubelnd drauf, sind wir geschiedne Leute. Denn all der düstre
Sinn--Allein, sieh dort! Die beiden Mädchen. Schau! es sind dieselben
Die heute früh wir sahn am Gittertor. Sie blinzeln her. Gefällt dir eine?
Sprich!
(Janthe und eine zweite Dienerin haben einen tragbaren Altar gebracht
und stellen ihn, rechts im Vorgrunde, vor der Bildsäule Amors nieder.)
Janthe (während des Zurechtstellens ihrer Gefährtin zuflüsternd). Dort
sind sie. Rechts der Blonde, Größere. Der Braune scheint betrübt. Was
fehlt ihm nur?
Naukleros. Absichtlich zögern sie. Hui, welch ein Blick!
Tempelhüter (nach vorn kommend, zu den Mädchen). Ei ja, und nun
auch ihr! Das findet sich.
(Die Mädchen gehen.)
(Zu den Jünglingen.)
Ihr scheint mir rasch zu allem was verwehrt.
Naukleros. Je, wie's nun kommt. Wer zweifelt, der verliert.
(Man hat einen zweiten Altar gebracht, der links vor Hymenäus'
Bildsäule hingestellt wird. Ein dritter stand schon früher an den Stufen
in der Mitte.)
Tempelhüter. Ihr gebt nur Raum! Der Altar soll dort hin.
Naukleros. Hab ich erst Raum, so teil ich gerne mit.
Tempelhüter. Und seid nur sittig und vermeßt euch nichts.
(Musik von Flöten beginnt.)
Der Zug beginnt. Zurück! Laßt frei die Mitte!
(Das Volk ordnend, das auf der linken Seite sich in Reihen stellt.)
Naukleros. Sie kommen, schau! Betrachte mir's mit Fleiß! Und naht die
Priesterin, streif an ihr Kleid, Das soll den Trübsinn heilen, sagt man.
Hörst du?
(Unter Musik von Flöten kommt der Zug von der rechten Seite her auf
die Bühne. Opferknaben mit Gefäßen. Die Oberhäupter von Sestos.
Tempeldienerinnen, darunter Janthe. Priester. Hero mit Mantel und
Kopfbinde an der Seite ihres Oheims. Ihre Eltern folgen.)
Gesang. Mutter der Sterblichen, Himmelsbewohnerin, Neig uns ein
günstiges, Schirmendes Aug'!
(Die Begleiter des Zuges stellen sich zur rechten Seite auf, den Reihen

des Volkes gegenüber. Der mittlere Teil der Bühne ist leer.)
Die Priester (indem sie sich aufstellen). Den Göttern Ehrfurcht!
Das Volk (antwortend). Glück mit uns!
Naukleros. Dort kommt die Priesterin. Ein schönes Weib. Komm, laß
uns knien. Doch nein, vorher noch schau mir Querüber hier dem
Fußgestell nach rückwärts, Wie sie die Weihen üben, was sie tun.
Hero (im Hintergrunde, bei dem dort stehenden tragbaren Altare
stehend. Vor ihr knien zwei Opferknaben, Rauchwerk in reichen
Gefäßen haltend). Ein neuer Sprößling deines alten Hauses. Sei ihm
geneigt, und mehr als er verdient.
(Sie gießt Rauchwerk in die Flamme und geht dann nach vorn, der
Priester zu ihrer Linken, hinter ihm die Eltern. Der Tempelhüter in
einiger Entfernung.)
Die Priester. Den Göttern Ehrfurcht!
Das Volk. Glück mit uns!
Naukleros. Sie kommen näher. Nun, Leander, knie!
(Sie knien. Leander hart an der Bildsäule des Hymenäus, Naukleros
etwas zurück. Auch das übrige Volk kniet.)
(Hero ist zu Amors Bildsäule gekommen und gießt Rauchwerk in die
Flamme des danebenstehenden Altars, der Priester ihr zur Seite.)
Hero. Der du die Liebe gibst, nimm all die meine.
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