(Die Taube streichelnd.)
Bist du erschrocken?
(Sie setzt sich auf den Stufen der Bildsäule links im Vorgrunde nieder,
das Körbchen in den Händen; indem sie bald durch Emporheben die
Taube zum Fortfliegen anlockt, bald betrachtend und untersuchend sich
mit ihr beschäftigt.)
Priester (zum Diener). Was ist? Befahl ich nicht?
(Der Diener weist entschuldigend auf Hero.)
Priester (zu ihr tretend). Bist du so neu im Dienst, Daß du nicht weißt
was Brauches hier und Sitte?
Mutter (rechts im Vorgrunde stehend). Mein Herz vergeht. O
jammervoller Anblick!
Priester (zu ihr hinübersprechend). Nun also denn zu dir.
Schwachmütig Weib, Was kommst du her, zu stören diese Stunde? Und
staunst ob dem was du doch längst gewußt, Der heil'gen Ordnung
dieses Götterhauses. Kein Vogel baut beim Tempel hier sein Nest,
Nicht girren ungestraft im Hain die Tauben, Die Rebe kriecht um
Ulmen nicht hinan, All was sich paart bleibt ferne diesem Hause, Und
jene dort fügt heut sich gleichem Los.
Hero (die Taube streichelnd). Du armes Tier, wie streiten sie um uns!
Priester. Scheint dir das schwer, und zitterst du darob? Was willst du?
soll sie heim? Komm hier, und nimm sie! Was braucht die Göttin dein
und deines Kinds? Nicht ehrt man hier die ird'sche Aphrodite, Die
Mensch an Menschen knüpft wie Tier an Tier, Die Himmlische, dem
Meeresschaum entstiegen, Einend den Sinn, allein die Sinne nicht, Der
Eintracht alles Wesens hohe Mutter, Geschlechtlos, weil sie selber das
Geschlecht, Und himmlisch, weil sie stammt vom Himmel oben. Was
braucht die Göttin dein und deines Kinds? Geh hin und bette sie in
Niedrigkeit, In der du selbst, dir selbst zur Qual, dich abmühst. Sie sei
die Magd des Knechtes der sie freit, Statt hier auf lichter Bahn, nach
eignem Ziel, Die einz'ge sie des dürftigen Geschlechts, Ein Selbst zu
sein, ein Wesen, eine Welt. Allein du willst es, sie ist frei, hier nimm
sie! Bist du die Mutter doch! Du, Hero, folge! Die Torheit ruft. Folg ihr
als Mensch, als Weib!
Hero (aufstehend, zur Taube). Da gilt es denn zu reden, kleines Ding!
(Das Körbchen dem Diener gebend.)
Du nimm's und trag es hin, und gib ihm Freiheit, Die Freiheit wie das
Tier sie kennt und wünscht.
(Diener ab.)
Du aber Ohm, schilt meine Mutter nicht, Denn fromm ist ihre Meinung
und sie liebt mich. Uns andre laß nur schweigen, Stille, Gute! Hat er
doch recht und tut nur was ihm Pflicht. Ich soll mit dir? Bleib du bei
mir! O Mutter! Wenn dich die Deinen quälen, komm zu mir. Hier ist
kein Krieg, hier schlägt man keine Wunden, Die Göttin grollet nicht,
und dieser Tempel Sieht immerdar mich an mit gleichem Blick. Kennst
du das Glück des stillen Selbstbesitzes? Du hast es nie gekannt; drum
sei nicht neidisch! Nein frohen Mutes folge mir zum Fest! Heut stolz
im Siegerschritt, und kommt der Morgen, Einförmig still, den
Wasserkrug zur Hand, Beschäftigt, wie bisher, an den Altären; Und fort
so Tag um Tag. Willst du, so komm! Sieh nur: sonst trag ich dich, denn
ich bin stark. Allein sie weicht. Sie lächelt. Siehst du Ohm?
(Halblaut.)
Gib nur das Zeichen nun. Du aber folge, Die Zeit verrinnt, man rüstet
schon das Fest.
(Im Gehen, tändelnd.)
Und siehst du erst den Schmuck, die reichen Kleider, Und was man all
mir Herrliches bereitet, Du sollst wohl selbst--
(Ein paar Schritte voraus und dann zurückkehrend.)
Und eile mir ein wenig!
(Beide nach der rechten Seite ab.)
Vater. Nun Bruder aber rasch--
Priester. Rasch, und warum? Was lange dauern soll sei lang erwogen.
Wüßt' ich sie schwach, noch jetzt entließ' ich sie.
Vater. Allein bedenk!
Priester. Zugleich bedenk ich wirklich, Daß heilsam feste Nötigung der
Abschluß Von jedem irdisch wankem, wirrem Tun. Du wähltest ewig
unter Möglichkeiten Wär' nicht die Wirklichkeit als Grenzstein
hingesetzt. Die freie Wahl ist schwacher Toren Spielzeug. Der Tücht'ge
sieht in jedem Soll ein Muß Und Zwang, als erste Pflicht, ist ihm die
Wahrheit.
(Zu den Dienern gewendet.)
Das Fest beginnt.
Naukleros' Stimme (hinter der Szene). Hierher nur, hier!
Priester. Was ist?
Tempelhüter. Zwei Fremdlinge, des langen Harrens müde, Sie bahnen
selbst durch Büsche sich den Weg. - Kehrt ihr zurück?--Dieselben sind
es, Herr, Die heute morgens schon am Gittertor-- Auch dort von
rückwärts wächst des Volkes Drang, Das murrend nur erträgt die
Zögerung.
Priester. Weis jene dort zurück.
(Der Tempelhüter nach der linken Seite ab.)
Ihr andern öffnet
(Zu mehreren Dienern, die nach und nach vom Hintergrunde her
eingetreten sind.)
Die äußern Pforten nach dem Weg zur Stadt.
(Zu seinem Bruder.)
Gönn nur indes ein Wort des Danks den Göttern, Die Nachruhm dir in
deinem Kind erweckt.
(Der Alte steht an seinem Stabe gegen den Tempel geneigt.)
Laßt ein das Volk und haltet Ordnung, hört ihr? Daß Roheit nicht die
schöne Feier störe. Auch über euch wacht sorglich, eben heut; Die Lust
hat ihren Tag, so wie
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