Nachdem angetreten war, gab einer der Pr?fekten das Zeichen zum Start. Zehn Paar Fü?e raschelten flink über den Asphalt; es war, wie wenn Tauben auffliegen. Anfangs war Kurt Fink voraus; dicht neben ihm hielt sich Georg Mathys, der prachtvoll lief, federnd, schleifend, wie mühelos. In der Mitte der Bahn gewann Oberlin die Spitze, um Armesl?nge, um Meterl?nge dann, behauptete sich so, den Blick trunken gegen die Zielstange gebohrt, innerlich jauchzend schon, denn er hatte sichs geschworen zu siegen. Aber da sauste ein brauner Schatten vorüber; es mu?te Lucian sein; er hatte eine raffinierte Technik und versparte alle Kraft auf die letzten Sekunden.
Oberlin bi? die Z?hne aufeinander; der Atem sott; straffer den Nacken, lockrer die Gelenke, noch wars m?glich, ihn zu schlagen; zu sp?t nun! Lucian war am Ziel. Dietrich stie? einen heiseren Zornschrei aus, stolperte im selben Moment und w?re gestürzt, wenn ihn Lucian nicht in seinen Armen aufgefangen h?tte.
Sie schauten sich an, in stürmischer Blutwallung beide; Oberlin keuchend, die Wangen glühend; der alternde Mann bla? von der Anstrengung, doch seiner überlegenheit und St?rke sich bewu?t. Als er Dietrich umfangen hatte, l?chelte er; es war jenes finster-z?rtliche L?cheln, das wie eine Bresche seiner Einsamkeit war und sein Gesicht leidend und leidenschaftlich machte. Aber der Blick hatte etwas Mütterliches, Froh-Ergriffenes; in einer r?tselvollen Regung kü?te er den Jüngling auf den Mund.
Mitten in der jagenden Hitze überrieselte es Oberlin kühl. Ma?loses Glück und schreckenvolles Erstaunen war in einem; das Herz stand einen Augenblick still. Als ihn Lucians Arme freigaben, taumelte er, lehnte sich an die Mauer; die Kameraden sammelten sich um ihn mit ratlosen, mit neugierigen Mienen, Kurt Fink mit einem schlimmen Zug im Gesicht.
* * * * *
Den Tag über bemerkte Oberlin nicht die ver?nderte Stimmung in der Schulgemeinde. Er war versponnen und ging allen aus dem Weg. In seinen Augen war Verkl?rung, aber von dunkler Tiefe her. Am Abend h?rte er, es sei zwischen Doktor von der Leyen und Rottmann nach einem h??lichen Auftritt zum Bruch gekommen; der Pr?fekt verlasse die Anstalt. Beim Aufstehen vom Essen trat Justus Richter zu Oberlin und raunte ihm zu: ?Nimm dich in acht, es geht was vor.? Lucian blieb unsichtbar; nachdem ihn Dietrich gesucht und vergeblich auf ihn gewartet hatte, trieb es ihn ins Freie; er legte sich unter einen Baum und schaute mit gl?nzenden Blicken himmelan.
Als es finster geworden war, kehrte er zurück und mischte sich unter die Gruppen vor dem Haus. Es war in allen eine gehemmtere Bewegung als sonst; der schwül-farblose Abend drückte vielleicht, eine von den Sommern?chten, in denen Jugend zur Bürde wird und Gedanken wie Wunden sind. Unversehens war Kurt Fink an Oberlins Seite, schob vertraulich den Arm unter seinen und zog ihn von den andern fort. Er plauderte von den bevorstehenden Ferien, von Berlin, für das er schw?rmte, von Theatern, Zirkus, Kabaretts, sch?nen Weibern; von Lucian unvermutet, an den er in einem Atem Lob und Zweifel hing; von einem jungen M?dchen dann, das er seine Verlobte nannte; Oberlin war überrascht und horchte auf, aber es ging so eilig, schon wieder sprach er von Lucian, beugte sich vor und starrte Dietrich lachend ins Gesicht; er konnte liebenswürdig sein, in einer durchtriebenen Art; er fragte, ob es wahr sei, da? ihn Lucian gekü?t; er, Fink, sei zu fern gestanden, die Jungens h?tten es erz?hlt. Doch traf es ja nicht zu, Dietrich erinnerte sich aus der fiebrig-schamhaften Verwirrung, da? er gerade Finks Gesicht unangenehm nah gesehen. Er machte sich los. Warum er so rot werde? rief Fink schadenfroh, warum er wie eine Jungfrau err?te? Darauf trat er dicht herzu, fa?te seine Hand und sagte, sie wollten Freunde sein, Oberlin gefalle ihm, die Rüpelei neulich am Klavier sei nur aus Wut geschehen, weil ihn Dietrich vor der Kameradschaft immer geschnitten habe.
Wie zuf?llig begegnete ihnen Rottmann, grü?te, gesellte sich zu ihnen, sagte, er freue sich, von Oberlin noch Abschied nehmen zu k?nnen, da er morgen früh nach Freiburg fahre. Er habe gro?e Stücke auf Oberlin gehalten, und dies und anderes sagte er eigentümlich beziehungsreich und lauernd. Mit Bitterkeit gedachte er der Behandlung, die er von Doktor von der Leyen erfahren, lenkte jedoch ein, als er den befremdeten Blick Dietrichs gewahrte. Kurt Fink schmiegte sich wieder an ihn an, und bemerkte kichernd zu Rottmann, er h?tte dabei sein sollen, wie Oberlin rot geworden sei, als er von der Ku?geschichte gesprochen. Rottmann tat unwissend, Fink mu?te ihm den Vorfall in Erinnerung rufen; es klang sogar für Dietrichs Unerfahrenheit wie ein abgekarteter Dialog. Das halte er für unm?glich, sagte Rottmann abweisend, so etwas tue von der Leyen nicht, noch dazu in einer so verf?nglichen Situation; Unsinn; solches Geschw?tz dürfe man nicht aufkommen lassen; von der Leyen sei viel zu herzenskalt übrigens, um sich in der geschilderten Weise hinrei?en zu lassen; er, Rottmann, fürchte, Oberlin habe sich blo? wichtig machen wollen, aber dergleichen Prahlerei stehe ihm übel
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