Der Wendekreis - Zweite Folge | Page 6

Jakob Wasserman
passiert sein, bevor ihre Freundschaft ein so j?hes Ende genommen. Wer das wü?te, der wü?te viel von verborgenen Dingen. War dir nicht nachher in der Phantasie der Moment der schrecklichste, wo du die Katze wehrlos unter den Z?hnen des Hundes gedacht hast? So weit reicht bei den meisten die Vorstellungskraft nicht, und deshalb steht es mit ihnen so übel.?
Im Ton niemals eine Mahnung an die Kluft der Jahre. Brüder redeten. Einer, der den Kreis der Welt durchlaufen und atemholend zurückschaut; einer am Beginn. Fülle des Schicksals hier, Unbekanntschaft mit ihm dort; das machte die Brücke fester, das Hinübergehen lockender, die Tiefe unten, den flie?enden Strom. Auch von der Leyen erz?hlte; selten Begebenheiten in einer Folge, noch seltener Erlittenes; im Vorüberstreifen, seinem verschlossenen Wesen abgestohlen, ri? er eine Stunde aus der Erinnerung, in der Entscheidung gefallen war; ein Antlitz tauchte auf; ein Freund, ein Gehilfe; ein Feind, ein Verderber; der Tod, Trennung; Irrfahrten; Bittwege; Canossawege; wieder das Juwel eines gefundenen Herzens: ein Freund.
Oberlin lauschte entzückt. Lucian hielt ihn also nicht für zu gering, um sich mitzuteilen; darauf war Verla?. Eid war nicht bindender als einbezogen sein in das Vertrauen. Allm?hlich schmolz ihm Zug um Zug in dem Bild des Mannes zusammen, das er verkl?rte über jeden Begriff. Er erriet die Einsamkeit dieses Lebens; er wollte ihr ein Ende bereiten; er spürte die Entbehrungen; er wollte sie vergessen machen. Es dünkte ihm ein Ziel, er sah eine Aufgabe.
Lucian von der Leyen kannte nur Ein Verknüpfendes zwischen Menschen, das war Freundschaft. Der Freund war ihm die reife Frucht des Schaffens und Seins. Er hatte kein Gefühl für Familienbeziehungen, Neigung zwischen Eltern und Kindern, z?rtliche Rücksicht auf Blutsverwandte und Pflichten der Piet?t; nicht einmal Verst?ndnis, nur Spott und absch?tziges Bedauern. Es waren ihm animalische Instinkte oder klug benutzte, unter dem Mantel der Heuchelei gepflegte Mittel zur Aufrechterhaltung der Leibeigenschaft. Vor vielen Jahren hatte er in einer Schrift, die sogar die Entrüstung der Umsturzlüsternen erregt hatte, die Gründung staatlicher Institute vorgeschlagen, Findelh?user gro?en Stils, in denen alle Neugeborenen m?nnlichen Geschlechts als Namenlose und des Namens Entkleidete bis zum zwanzigsten Jahr erzogen werden sollten. Er hatte verhei?en, eine derart umgeformte Menschheit würde nach einem halben Jahrhundert Siechtum und Verfall überwunden haben.
So erblickte er auch in der Liebe zwischen Mann und Weib nichts anderes als eine Form der Leibeigenschaft. Seine ?u?erungen darüber geschahen unter merklichem Widerwillen. Eine Frau war ihm ein Gesch?pf aus einer fremden, untergeordneten Region. Da? alle Dichtung auf Erotik gestellt war, begründete er mit dem Hang des Menschen zu Traum und Symbol, die in den hohen Beispielen der Deutung bedürftig waren, in den niederen ihrer umnebelnden und lügenhaften Wirkungen halber zur Abwehr und Verachtung zwangen.
Er war ohne Anh?nglichkeit an Dinge, ohne Streben nach Besitz, ohne sinnliche Verkettung. Genüsse reizten ihn nicht. Begierden beunruhigten ihn nicht, Ansprüche an Wohlbehagen stellte er nicht. Zu empfinden vermochte er nur für den Freund. War es eine ihm innewohnende verfeinerte oder vergeistete Sehnsucht? Aber an den Gleiches Wollenden, Gleichgearteten schlo? er sich nicht an. Es war auch keiner da, man erfuhr von keinem. Er stand so sichtbar allein, da? man ihn verbündet und mit Gef?hrten kaum denken konnte. Doch wenn von den Z?glingen einer nur ihm an der Seite ging, es brauchte nicht ein Erw?hlter zu sein, war er pl?tzlich nicht mehr der Abgekehrte, der Unverbundene; dann war in seinem Aug zu lesen: du und ich. Dies du und ich war keuscheste Hoffnung, furchtsamster Wunsch; Wollust von einem, der Seelen an sich pre?t und ihr epheuhaftes Ranken mit der eigenen n?hrt.
Er sagte zu seinen Schülern, seit die Freundschaft aufgeh?rt habe, ein Element des sozialen Lebens zu sein, sei die abendl?ndische Welt mit unaufhaltsamer Gesetzm??igkeit gesunken, und der brüderliche Geist des Humanismus wandle sich in verfolgungssüchtige Barbarei. Er erz?hlte ihnen von berühmten Freundschaften, und die karge Reinheit seiner Darstellung gab den Nüchternsten Bild und Begriff; wie nur Freundschaft das Einzelschicksal aus dem tragischen Grauen zu heben verm?ge, das der Kreatur als solcher angeboren. Die Griechen h?tten es gewu?t und den Altar der Freundschaft zum heiligsten gemacht; daher die Gr??e des Volks und die fast unbegreifliche Zahl sch?pferischer Menschen. ?Heute aber,? sagte er, ?ist die Entzückung nicht mehr da von Mann zu Mann, der Glaube nicht, die Macht von Gemüt zu Gemüt nicht. Der Freund ist zum Gespielen geworden, zum Mitwisser, zum Zeitverderber, und sp?ter ist er Herr oder Sklave oder Feind. La?t doch lieber die Erde absterben und die Nationen vergehen, als da? ihr so weiter lebt, so arm, so halb.?
Bei solchen Worten liebten ihn die jungen Herzen noch mehr als sonst.
* * * * *
Es konnte ihm aber nicht entgehen, da? er in Oberlin einen gewonnen hatte, der ihm wesentlicher anhing und beharrlicher folgte als je einer zuvor. Den hatte er aus dem Innersten entfaltet und in die Flamme hineingetrieben, wo er nun mit Adorantenh?nden stand. Es bewegte ihn
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