Der Waldbruder | Page 8

Jacob Michael Reinhold Lenz
nicht, ob ich noch lebe, ob ich noch da bin oder ob alles dies nur ein be?ngstigender Traum ist. Auch Du ein Verr?ter--nein, es kann nicht sein. Mein Herz weigert Sich, die schrecklichen Vorspiegelungen meiner Einbildungskraft zu glauben und doch kann ich mich deren nicht erwehren. Auch Du, Rothe--nimmermehr!
Schick mir das Bild zurück, oder ich endige schrecklich. Du mu?t es nun haben, dieses Bild, und mit blutiger Faust werde ich's?zurückzufodern wissen, wenn Du mir's nicht in gutem gibst.
Dein Stillschweigen, Dein geheimnisvolles Wesen gegen mich--gegen mich, Rothe--bedenke, was das sagen will--nein doch, ich kann es, kann es nicht glauben. Du kannst Dich eines so schwarzen Complots nicht schuldig gemacht haben.
Ich will Dir alles erz?hlen, aber ich fodere von Dir, da? Du mir Aufrichtigkeit mit Aufrichtigkeit belohnst.
Ich flog den Nachmittag, sobald meine Informationen vorbei waren, zur Witwe Hohl hinauf--kannst Du Dir vorstellen, mit welchen?Empfindungen? Ich wollte ihre beide H?nde unbeweglich an meine Lippen drücken, mich auf die Knie vor ihr werfen, und ihr mit Blicken und Tr?nen für alle das Vergnügen danken, das sie mir den Vormittag verschafft hatte. Aber Gott! wie ward mir das versalzen? Ich fand sie--zu Bette. Mit der wahren Stimme einer Verzweifelnden redte sie mich an: "Unglücklicher, fort von mir! was wollt Ihr bei mir"--"Was ist Ihnen, beste Witwe Hohl"--"Seht da Euer Werk, Verr?ter"--"Ich schuld an Ihrer Krankheit"--"Ja schuld an meinem?Tode"--"Wodurch"--"Fragt Euer Herz, B?sewicht!"
Ich war für Wut au?er mir, ich fing an zu bitten, ich fing an zu schmeicheln, zu weinen, zu schw?ren--Welche grausame Verwirrungen hatte unser Mi?verstand angerichtet, oder vielmehr meine?Nachl?ssigkeit, sie eher aus ihrem Irrtum zu rei?en. Sie war über mein Betragen den Vormittag eifersüchtig geworden--sie?eifersüchtig--nie hatte ich mir das tr?umen lassen. H?tte sie doch nur einmal w?hrend der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft in den Spiegel gesehen, wieviel Leiden h?tte sie sich ersparen k?nnen! Indessen, der Mensch sucht seine ganze Glückseligkeit im Selbstbetrug. Vielleicht betrüge ich mich auch. Sei es was es wolle, ich will das Bild wieder haben, oder ich bringe mich um.--Nun kommt das Schlimmste erst. Ich hatte ihr gesagt, ich würde Dir das Bild zuschicken, weil ich wirklich glaubte, die Gr?fin h?tte vielleicht gewünscht, da? Du es auch vorher sehen solltest, eh' ich's nach Amerika mitn?hme. Jetzt sagte sie mir, da? ich die Gr?fin aufs grausamste und unverzeihlichste beleidigen würde, wenn ich ihr nicht mit einem Eide verspr?che, Dir das Bild zuzuschicken und es nimmer wiederzufodern--"Es nimmer wiederzufodern", sagte ich, "wie k?nnen Sie das verlangen"--"Ja das verlange ich", sagte sie, "und zwar auf Ordre der Gr?fin, denn das erste ist schon geschehen."
Nun stelle Dir vor, sie hatte w?hrend meiner Abwesenheit mein Zimmer vom Hausherrn aufmachen lassen, und das Bild herausgenommen. Ich hatte mir vorgesetzt, davon eine Kopei nehmen zu lassen und sie Dir zuzusenden, das Original aber für mich zu behalten, weil des Malers Hand dabei sichtbarlich von einer unsichtbaren Macht geleitet ward und ich das, was die Künstler die g?ttliche Begeisterung nennen, wirklich da arbeiten gesehen habe--und nun--ich h?tte sie mit Z?hnen zerrei?en m?gen--alles fort--Rothe, das Bild wieder, oder den Tod!
Dazu kommt noch, da? ich übermorgen reisen soll. Ich wünschte, ich k?nnte Dich abwarten. Schick nur, wenn Du selbst nicht kommen kannst, das Bild an Fernand, der wei? meine Adresse. O mein Herz ist in einem Aufruhr, der sich nicht beschreiben l??t.
Was für Ursachen konnte die Gr?fin haben, das Bild Dir malen zu lassen?--Nein, es ist ein Einfall der Witwe Hohl. Antworte mir doch.
_Herz._
Dritter Teil
Erster Brief
Honesta an den Pfarrer Claudius
Sie wollen das Schicksal des armen Herz wissen und was ihn zu einem so schleunigen und seltsamen Entschlu?, als der ist, nach Amerika zu gehen, hat bewegen k?nnen. Lieber Pfarrer, um das zu beantworten, mu? ich wieder zurückgehn und eine ziemlich weitl?uftige Erz?hlung anfangen, die mir, da ich so gern Briefe schreibe, ein sehr angenehmer Zeitvertreib ist.
Ich habe seitdem vollst?ndigere Nachrichten eingezogen von Herzens erster Bekanntschaft mit der Witwe Hohl, von der unglücklichen Leidenschaft, die er für die Gr?fin Stella fa?te, von den Ursachen, die alle zusammentrafen, diese Leidenschaft zu unterhalten, welches bei jedem vernünftigen Menschen sonst unbegreiflich sein würde, da die Gr?fin nicht allein so weit über seinen Stand erhaben, sondern auch seit fünf Jahren schon eine Braut mit einem gewissen Obersten Plettenberg ist, der schon eine Campagne wider die Kolonisten in Amerika mitgemacht hat, blo? damit er Gelegenheit habe, sich bis zum General oder Generallieutnant zu bringen, weil er sonst nicht wagen darf, bei dem Vater der Gr?fin um sie anzuhalten. Heimlich ist aber unter ihr und ihren Verwandten alles mit ihm schon ausgemacht.--Alle diese Nachrichten sollen Ihnen den Schlüssel zu Herzens wunderbarem Charakter und Handlungen geben.
Diese Geschichte ist aber so wie das ganze Leben Herzens ein solch unertr?gliches Gemisch von Helldunkel, da? ich sie Ihnen ohne innige ?rgernis nicht schreiben kann. Kein Zustand der Seele ist mir fataler, als wenn ich lachen und weinen zugleich mu?, Sie wissen, ich will
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