Der Todesgruß der Legionen, 2. Band | Page 8

Johann Ferdinand Martin Oskar Meding
fragte Graf Bismarck den Kammerdiener,
welcher auf seinen starken Glockenzug erschien.
"Der englische Botschafter, Excellenz."
"Ich lasse bitten."
Der Minister-Präsident erhob sich und machte einige Schritte nach der
Thür, durch welche Lord Augustus Loftus, der Botschafter Ihrer
Majestät der Königin Victoria am preußischen Hofe und beim
Norddeutschen Bunde, in das Cabinet trat.
Lord Loftus, eine durchaus englische Erscheinung, hatte in seinen
Gesichtszügen und in seiner ganzen Haltung eine gewisse feierliche
Würde und Zurückhaltung, welche ein wenig gegen das offene, freie
Wesen des Grafen Bismarck abstach. Der Lord setzte sich dem
preußischen Minister-Präsidenten gegenüber vor den großen

Schreibtisch in der Mitte des geräumigen Cabinets, und begann, da der
Graf nach einigen gleichgültigen Begrüßungsworten schweigend seine
Anrede erwartete, nach einem kurzen Räuspern:
"Sie wissen, lieber Graf, wie sehr die Regierung Ihrer Majestät darauf
bedacht ist, in den Beziehungen der Cabinette unter einander alle
Ursachen des Mißtrauens und der Besorgnisse zu beseitigen, welche
dem Frieden Europas gefährlich werden könnten."
Graf Bismarck neigte zustimmend den Kopf und, indem er eine große
Papierscheere ergriff und dieselbe spielend in der Hand bewegte, sagte
er im höflichsten Ton einer gleichgültigen Conversation:
"Die Regierung Ihrer Majestät ist in diesem Bestreben vollkommen von
denselben Wünschen geleitet, welche auch uns beseelen und welche
wohl, wie ich glaube, von allen Cabinetten Europas getheilt werden.
Ich freue mich, von Neuem zu constatiren, daß gerade durch diese
allseitigen Wünsche die beste Garantie für die Erhaltung des
europäischen Friedens gewährt wird."
Lord Loftus schien ein wenig decontenancirt.
"Die guten Wünsche aller europäischen Regierungen," sagte er, "sind
gewiß eine ganz vortreffliche Garantie des Friedens. Indessen," fuhr er
ein wenig zögernd fort, "um eine wirklich praktische und vor allen
Dingen dauernde Basis für die internationale Ruhe und Stabilität zu
schaffen, wird es vor Allem noch nöthig sein, concrete Gründe
gegenseitigen Mißtrauens und gegenseitiger Besorgnisse zu
beseitigen."
"Ich wüßte in der That nicht," sagte Graf Bismarck, den Botschafter
wie erstaunt anblickend, "daß in diesem Augenblick irgend welche
Fragen beständen, welche dem Frieden auch nur die entfernteste Gefahr
zu bringen vermöchten. Ueberall ist die tiefste Ruhe, ich kann Sie
versichern, daß wir wenigstens mit keinem europäischen Cabinet in
Erörterungen stehen, welche bedenkliche und kritische Punkte
berühren."

"Ich hatte bei meiner Bemerkung von vorhin," erwiderte Lord Loftus,
"auch weniger diplomatische Fragen im Sinne, welche gegenwärtig zur
Erörterung ständen und zu Differenzen führen könnten, ich dachte
vielmehr an thatsächliche Verhältnisse, welche vielleicht weniger ein
Grund, als ein Ausdruck gegenseitigen Mißtrauens sind und deren
Beseitigung im Interesse der ruhigen Entwickelung der Zukunft
Europas liegen möchte."
"Und welche thatsächliche Verhältnisse meinen Sie?" fragte Graf
Bismarck mit vollkommener Ruhe und einem leichten Anflug von
Erstaunen in seinem scharfen, fest auf den Botschafter gerichteten
Blick.
"Es ist eine Thatsache," sprach Lord Loftus weiter, "welche offen vor
Europa da liegt, daß die französische Regierung in den letzten Jahren
ganz besondere Anstrengungen gemacht hat, um ihre Militairmacht auf
eine außergewöhnliche Höhe zu erheben. Das Gleiche findet bei Ihnen
statt, und Sie werden mir zugeben, daß es eine gewisse Besorgniß und
Beunruhigung erregen kann, wenn man zwei der bedeutendsten
europäischen Mächte bis an die Zähne bewaffnet einander gegenüber
stehen sieht."
"Es liegt ja aber," fiel Graf Bismarck in demselben ruhigen, fast
gleichgültigen Ton ein, "zwischen Frankreich und uns durchaus keine
Veranlassung zu irgend welchen Mißverständnissen vor; im Gegentheil
kann ich Sie versichern, daß unsere Beziehungen zu Paris die besten
und freundlichsten sind."
"Und doch stehen Sie sich," bemerkte Lord Loftus, "mit so übermäßig
angespannten Militairkräften gegenüber, als ob Sie gegenseitig jeden
Tag den Ausbruch irgend eines Conflictes zu besorgen hätten. Dieser
Zustand," fuhr er etwas lebhafter fort, "wenn er auch den Frieden nicht
unmittelbar gefährdet, läßt doch Europa nicht zu sicherem Bewußtsein
der Ruhe kommen, und ich glaube, daß besser als alle diplomatischen
Versicherungen eine ernste und nachdrückliche Reducirung der unter
den Waffen stehenden militairischen Streitkräfte alle die unruhigen
Besorgnisse zerstreuen würde, welche angesichts des gegenwärtigen
Zustandes sowohl die Cabinette, als die Geschäftswelt erfüllen,--wenn

die Armeen Frankreichs und Preußens sich nicht mehr in voller
Kriegsrüstung gegenüber stehen, dann wird Europa endlich aufathmen
können, befreit von dem Druck, welcher in den letzten Jahren auf ihm
lastet."
Graf Bismarck schwieg einen Augenblick, seine Züge nahmen einen
ernsten Ausdruck an, er richtete den Blick seiner klaren grauen Augen
scharf und durchdringend auf den Botschafter und sagte dann:
"Haben Sie, mein theurer Lord, den Auftrag, die Frage, welche Sie
soeben berührten, zwischen Frankreich und uns Namens Ihrer
Regierung zur Sprache zu bringen?"
"Ich habe nicht den Auftrag," erwiderte der Lord, "bestimmte Anträge
zu stellen, bestimmt formulirte Wünsche auszusprechen,--doch bin ich
allerdings veranlaßt, die allgemeine Besorgniß, welche die
militairischen Rüstungen in Frankreich und Deutschland der Regierung
Ihrer Majestät einflößen, Ihnen nicht zu verhehlen und zugleich auch
dem Gedanken Ausdruck zu geben, daß Sie sowohl als die französische
Regierung dem ganzen civilisirten Europa einen großen Dienst leisten
würden, wenn Sie sich geneigt finden ließen, im gleichen
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