Dank,--dafür habe ich ganz gesunde
Nerven."
"Herr Vilbort," sagte der Legationsrath Bucher, "scheint mir durch die
Offenheit, mit welcher Eure Excellenz sich ihm gegenüber
ausgesprochen haben, etwas eitel geworden zu sein;--er hält sich für
einen Geschichtschreiber,--und das ist er in der That nicht,--auch geht
durch sein ganzes Werk ein gewisses sentimentales Jammern über den
Krieg, der doch, da die Conflicte einmal unlösbar geworden, eine
Nothwendigkeit war."
"Diese Richtung des Buches," fiel Graf Bismarck ein, "das jedenfalls in
Frankreich viel gelesen werden wird, ist mir am wenigsten
unangenehm,--die Franzosen können in der That eine Warnung vor den
traurigen Folgen eines großen Krieges brauchen,--es scheint, daß dort
wieder der Chauvinismus erhitzt wird, und daß man die Geister für
einen Krieg vorbereitet, für den Fall, daß man der inneren
Schwierigkeiten nicht Herr werden sollte."
"Glauben Eure Excellenz wirklich," fragte der Legationsrath, "daß man
in Paris ernstlich an einen Krieg denken könnte,--gerade jetzt in dem
Augenblicke, in welchem die Zügel des persönlichen Regiments
gelockert sind, in dem Augenblick, in welchem Ollivier, der Mann des
Friedens, Minister geworden ist?"
"Die Berichte aus Paris," sagte Graf Bismarck mit leichtem
Achselzucken, "sprechen von den friedlichen Dispositionen der
Regierung,--ich glaube auch, daß der Kaiser, der arme kranke Mann,
sich nach dem Frieden sehnt,--schon um persönlich Ruhe zu
haben,--aber Alles," fuhr er fort, "was dort geschieht, kann zu irgend
einem plötzlichen Ausbruch führen, auf den wir heute mehr als je
gefaßt sein müssen.
"Sehen Sie," sprach er nach kurzem Nachdenken, während er die
Augen sinnend emporschlug, "dieser unglückliche Pistolenschuß, der
Victor Noir tödtete, diese lauten Anklagen von Flourens, die
ungeschickte Verhaftung Rocheforts, ein Bonaparte vor Gericht, des
Mordes angeklagt, das Alles bricht über das Kaiserreich herein,--das ist
ein furchtbares Verhängniß,--und das constitutionelle Regiment kann
die immer höher aufwallenden Wogen nicht beschwören. Die Coterie
des Krieges, welche durch einen ruhmvollen Feldzug den Glanz des
Kaiserreichs wieder herstellen will, gewinnt an Boden,--der Kaiser ist
schwach,--wird man ihn nicht eines Tages dahin bringen, das Aeußerste
zu wagen, um den festen Boden wieder zu gewinnen, der ihm täglich
mehr unter den Füßen verschwindet. Er wird vielleicht den Krieg
machen aus Schwäche, denn die Schwäche ist tollkühner als die Kraft.
"Für uns," fuhr der Graf fort, "ist der Krieg um so weniger zu fürchten,
je mehr die innere Kraft Frankreichs täglich zersetzt wird,--aber der
arme Kaiser thut mir leid,--es ist doch eine groß angelegte und im
Grunde gute Natur,--und für Europa ist das Kaiserreich eine
Wohlthat,--denken Sie, wenn alle diese in den Tiefen gährenden
Elemente in Frankreich wieder entfesselt würden!
"Man hat mir da," fuhr er fort, indem er ein Blatt Papier von seinem
Schreibtisch nahm, "einen Brief Eugen Duponts mitgetheilt, in
welchem dieser thätige Agent der Internationale und Secretair von Carl
Marx in London dem Comité in Genf auseinandersetzt, daß die Zeit
gekommen sei, in welcher der action sécrète et souterraine die
allgemeine revolutionaire Schilderhebung in Europa folgen müsse.
Merkwürdigerweise," sagte er, einen Blick in das Schriftstück werfend,
"will Dupont den Ausgangspunkt dieser großen Revolution nach
England verlegen, weil in Frankreich die Regierung noch zu stark sei."
"England sei das einzige Land," fuhr er fort, "in welchem eine
wirkliche socialistische Revolution gemacht werden könnte, das
englische Volk aber könne diese Revolution nicht machen, Fremde
müßten sie ihm machen und der Punkt, wo man zuerst losbrechen solle,
sei Irland."
Der Legationsrath Bucher lächelte. "Das sind Träumereien," sagte er,
"wie sie von Zeit zu Zeit sich immer wiederholen, ohne zu praktischen
Resultaten zu führen."
"Die Ideen dieses Dupont sind Träumereien,--das ist ganz richtig," fiel
Graf Bismarck ein,--"aber in Frankreich ist die Sache ernster,--dort
haben die gemäßigten Mitglieder der Internationale vollständig die
Führung verloren und die extremsten Doctrinen dringen immer mehr in
die Arbeiterbevölkerung,--bei jeder unruhigen Bewegung kann die
Commune proclamirt werden.--Das Alles gährt um den Kaiser herauf
und kann ihn eines Tages dazu drängen, einen Verzweiflungscoup zu
machen;--wir müssen von dort her immer auf etwas Unerwartetes
gefaßt sein."
"Die Elemente der Gährung," sagte der Legationsrath, "von denen Eure
Excellenz sprechen, sind aber nicht nur in Frankreich vorhanden,
sondern erfüllen die ganze Welt,--auch unter den deutschen Arbeitern
macht die Internationale Fortschritte,--ich glaube, daß die Regierungen
zu dieser Frage Stellung nehmen müssen."
"Das sagt mir auch Wagner," rief Graf Bismarck,--"aber welche
Stellung soll man dazu nehmen?--Die alten Parteibildungen beginnen
sich zu zersetzen, keine der vorhandenen Parteien kann sich dazu
erheben, den neuen Zeitfragen mit freiem und klarem Blick entgegen
zu treten,--und gerade dieser socialen Frage gegenüber müßte doch die
Regierung sich auf eine im Volke selbst wurzelnde Partei stützen.--Das
wäre eine Aufgabe für die Conservativen," sagte er sinnend,--"aber
leider verlieren gerade diese sich immer mehr in unmögliche und
unpraktische Theorien."
"Nun," fuhr er fort,--"wir müssen darüber nachdenken,--jetzt will ich
ein wenig hören, was die auswärtige Politik macht."
Er reichte mit freundlichem Kopfnicken dem Legationsrath die Hand
und dieser zog sich mit einer kurzen stummen Verbeugung zurück.
"Ist Jemand im Vorzimmer?"

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