Der Spiegel Des Cyprianus | Page 5

Theodor W. Storm
Erzählerin hielt einige Augenblicke inne; denn der kleine
Kranke hatte im Schlaf das Deckbett abgestoßen. Dann aber, als sie ihn
sorgfältig wieder zugedeckt, und da der Knabe fort schlief, begann sie
wieder:
"Ihr kennt sie, gnädige Gräfin; das lebensgroße Frauenbild, das im
Rittersaal oben neben dem Kamin hängt, soll ihr ähnliches Konterfei
sein. Es ist ein Füchschen mit goldrötlichem Haar, wie sie den
Männern, besonders den älteren, so gefährlich sind. Ich habe sie mir oft
drauf angesehen; wie sie den Kopf so leicht zurückwirft, und wie der
Mund so süß und hinterhältig lächelt und das goldfarbige Haar in freien
Liebeslocken über den weißen Nacken weht, da hätte vielleicht auch
ein kühleres Blut als das des guten Grafen nicht zu widerstehen
vermocht.--Ich will nur das noch sagen, sie ist eine junge Wittib
gewesen; und soll ein Kind aus dieser ersten Ehe, ein Töchterlein, bei
den Verwandten ihres verstorbenen Gemahls in der Kaiserstadt
zurückgelassen haben. So viel ist gewiß, auf das Schloß hier ist diese
Tochter nie gekommen."
Nun aber! Endlich rasselten die Wagen in den Schloßhof; und das
versammelte Gesinde sah staunend zu, wie der Graf und eine
fremdredende Kammerjungfer der Dame aus dem Wagen halfen. Und
als sie nun in ihrem mandelfarbenen Seidenkleid mit leichtem
Kopfneigen die Treppe emporschritt, da hörte ihr feines Ohr manch leis
gerauntes Wort über die Schönheit der neuen Herrin.

Erst als die Dame in der Tür verschwunden war, kam aus dem
nachfolgenden Gesindewagen der kleine Kuno hervorgeklettert. "Ei,
Junker", rief eine rotwangige Magd ihm zu, "habt Ihr eine schöne
Mutter jetzt!" Aber der Knabe runzelte die Stirn und sagte trotzig: "Es
ist nicht meine Mutter!" Und der alte Hausmeister, der eben von der
Begleitung der Herrschaft zurückkam, sagte finster zu der Dirne:
"Siehst du denn nicht, daß das der Sohn der guten Gräfin ist!" Und dem
Knaben zärtlich in die blauen Augen sehend, nahm er ihn auf seinen
Arm und trug ihn in sein väterliches Haus.
Dort wartete denn von nun an die fremde Frau. Das Gesinde pries ihre
Leutseligkeit, und die Armen im Dorf meinten bald, sie habe eine noch
freigebigere Hand als die Verstorbene; nur auf die Kinder sehe sie gar
nicht, und auch seine Not könne man ihr so nicht klagen wie einst der
guten Gräfin.--Während sie aber die meisten der Schloßbewohner mit
ihrer Schönheit bestrickte, hatte der Hausmeister nur kalte Blicke für
sie; es mißfiel ihm, daß sie auch an Werktagen, wie er sagte,
'geschmückt wie eine Jesabel' einherging. Er traute den Liebkosungen
nicht, womit sie zuweilen in seiner und des Grafen Gegenwart den
kleinen Kuno überschüttete. Und auch den Knaben selbst gewann sie
nicht damit; er hatte für sie nichts als ein schweigendes Anstarren; und
wenn ihre Arme und Augen ihn losließen, so rannte er hinaus ins Freie,
holte seine kleine Armbrust und schoß nach einem Holzvogel, den der
Hausmeister ihm geschnitzt hatte; oder er saß abends in der Stube
seines alten Freundes und bilderte in einem großen Buch von den
Freuden des edlen Waidwerks.--Der gute Graf aber sah nichts als die
Schönheit seines Weibes. Wenn er in das Zimmer und ihr entgegen trat,
so stand sie lächelnd, bis er sie umfing; hatte sie der Tür den schönen
Nacken zugewandt, so hob sie wohl das Handspieglein, das ihr an
goldner Kette vom Gürtel herabhing, aus den Falten ihres Seidenrockes
und nickte dem Eintretenden daraus entgegen.
Als aber das Frühjahr wiederkam, da befiel den Knaben ein Fieber, das
er sich im feuchten Moose des Waldes geholt hatte, und er lag in
unruhigem Krankenschlummer in seinen Kissen. Neben dem Bett stand
der Stuhl der guten Gräfin mit der geschnitzten Lehne und dem blauen
Samtpolster, auf dem sie so oft vor dem Spiegel des Meisters

Cyprianus gesessen hatte, einst als in der Frühlingsluft die
Veilchendüfte zu ihr ins offene Fenster wehten. Jetzt blühten draußen
wieder einmal die Veilchen; aber der Stuhl stand leer. Die schöne
Stiefmutter war zwar auch zugegen und saß neben dem Grafen zu
Füßen des kleinen Bettes; denn sie sah es wohl, wie der Vater um sein
Kind sorgte, und wollte es an sich nicht fehlen lassen. Da rief der
Knabe aus seinem Fieber: 'Mutter, Mutter!' und hob sich mit offenen
Augen aus seinen Kissen. 'Hörst du, mein Gemahl!' sagte die schöne
Frau, 'unser Sohn verlangt nach mir!' Als sie aber auf stand und sich zu
ihm neigte, da streckte das Kind an ihr vorbei seine Arme nach dem
leeren Stuhl der guten Gräfin.
Der Graf erblaßte, und von dem Leid plötzlicher Erinnerung
bezwungen, fiel er neben dem Bett seines Sohnes in die Knie. Die
stolze Frau trat zurück, und indem sie heimlich die kleine Faust um
ihren Gürtel ballte, verließ sie das Gemach, um es nicht wieder zu
betreten. Doch der Knabe wurde gesund auch ohne ihre Pflege.
Bald darauf, als draußen die Rosenknospen ausschlugen, genaß die
Gräfin eines Söhnleins. Der
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