Der Spiegel Des Cyprianus | Page 6

Theodor W. Storm
Graf aber wußte nicht, weshalb es ihm so
schwer aufs Herz fiel, als der kleine Kuno ihm mit dieser Nachricht
entgegensprang. Zwar ließ er auch jetzt sein Roß aus dem Stall führen,
um mit seinen Gedanken in die Heide hinaus zu reiten; aber nicht, um
sie jubelnd über Flur und See zu rufen. Als er eben im Bügel saß, hob
der alte Hausmeister den kleinen Kuno zu ihm auf den Sattel und sagte:
'Vergeßt den Sohn der guten Gräfin nicht!' Der Vater schloß die Arme
um sein Kind und ritt mit ihm Berg auf und ab, bis die Sonne
hinabgesunken war; als sie aber bei der Heimkehr unter den Fenstem
der Kapelle vorüber ritten, in der die gräflichen Grabgewölbe waren, da
ließ er sein Roß langsamer gehen und raunte in das Ohr des Knaben:
'Vergiß ihrer nicht; denn Mutterliebe ist nur einmal der auf Welt!'--Als
bei seinem Eintritt in das Zimmer der Wöchnerin die Wartefrau den
Neugeborenen in seine Arme legte, überfiel ihn aufs neue das Heimweh
nach der Toten, und er wußte es plötzlich, daß sie doch allein die Frau
seines Herzens gewesen war; der Knabe, obwohl sein eigen Blut, war
ihm wie fremd, weil er nicht auch aus ihrem Blut war.--Die Augen der
Gräfin, welche bald schöner als je aus ihren Wochen erstanden war,

übten fürder keinen Zauber mehr auf ihn. Einsam ritt er durch die
Felder; ein Wort des Meisters Cyprianus stand wie in dunkler Schrift
vor seinen Augen: 'Rückwärts zu leben ist auch durch Gottes Hilfe
nicht vergönnt!'
Indessen wuchsen die beiden Knaben zusammen auf, und bald zeigte
sich eine große Liebe zwischen ihnen. Als der kleine Wolf erst mit ins
Freie konnte, wurde Kuno sein Lehrer in allen Künsten, die von den
Knaben geübt werden. Er ließ ihn über Felsen und auf Bäume klettern,
er schnitzte ihm die Bolzen für seine kleine Armbrust und schoß mit
ihm nach der Scheibe oder wohl gar nach dem unerreichbaren
Raubvogel, der über ihnen im Sonnenglanz revierte.
So war wieder einmal der Winter herangekommen, als eines abends ein
Mann in der Uniform eines kaiserlichen Feldobristen mit seinem
Diener in den Schloßhof geritten kam.--Hager hat er geheißen, und ein
hagerer knochiger Mann soll es gewesen sein, mit eckiger Stim und
kleinen grimmigen Augen; der struppige strohgelbe Bart--so heißt
es--habe ihm wie Strahlen vom Kinn und von den Nasenflügeln
abgestanden. Er nannte sich einen Vetter von dem ersten Gemahl der
Gräfin und war, wie er sagte, nur auf Besuch gekommen; aber er blieb
von einer Woche in die andere und wurde allmählich als ein ständiger
Hausgenosse angesehen.--Der Graf hatte sich anfänglich um den
Besuch gar nicht gekümmert; aber der Obrist zeigte sich bald als einen
Meister des edlen Waidwerks, und als der erste Schnee gefallen war,
zogen die beiden Männer zusammen in das Tannendickicht, und von
nun an hörte man fast täglich das Toben der Rüden und das 'Ho Ridoh'
der Jäger durch den stillen Wald. Da eines Nachmittags bei einer
Sauhatz tönte das Hifthorn des Obristen aus einem entlegenen Talgrund,
wohin er ohne Gefolge mit dem Grafen sich verloren hatte; und als der
Rüdenmann und die Jäger, dem Ruf folgend, dort zusammentrafen,
sahen sie das Wildschein verendet zwischen den Tannen liegen;
daneben aber lag auch der Graf in seinem Blut. Der Obrist stand auf
seinen Jagdspeer gelehnt, das Hifthorn in der Hand. 'Eure Saufedern
taugen nichts', sagte er kurz, 'der Keiler hat sie abgeschlagen'; und als
alle von Schreck gelähmt dastanden, blitzte er sie mit seinen kleinen
grimmen Augen an: 'Was steht ihr noch! Brecht Zweige zu einer Bahre

und tragt euren Herrn ins Schloß!' Und die Leute taten, wie er befohlen
hatte.
Der Graf aber ist nicht wieder mit dem Oberst auf die Jagd gezogen.
Denn als der alte Hausmeister den Reitknecht nach einem Arzt
entsenden wollte, damit die Wunde untersucht würde, erhielt er den
Bescheid, der Arzt sei nimmer nötig, der Graf sei schon verschieden.
Und bald ruhte er im Grabgewölbe bei seiner guten Gräfin, und der
kleine Kuno war ein vater- und mutterloses Kind. Der Obrist aber blieb
nach wie vor im Schlosse, und die Gräfin duldete es, daß unmerklich
ein Stück des Hausregiments nach dem andern in seine Hand ging. Das
Gesinde murrte zwar, wenn er sie mit seiner scharfen Stimme
anherrschte; aber sie wagten es gleichwohl nicht, sich dem grimmen
Manne zu widersetzen.--Auch mit den beiden Knaben machte er sich
zu schaffen. Eines Morgens, als Kuno in den Stall hinabkam, stand
neben dem Rappen des Obersten ein kleines schwarzes Nordlandsroß
mit roter goldgestickter Schabracke. 'Das ist dein eigen', sagte der
Oberst, der mit hineingetreten war, 'klettere hinauf, so zeig ich dir, wie
ein Mann zu Pferde sitzen muß.' Bald sorgte er, daß auch der kleine
Wolf ein Roß bekam, und nun lehrte er die beiden Reiten nach den
Regeln der Kunst. Nicht lange, so sah man den
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 13
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.