Der Spiegel Des Cyprianus | Page 3

Theodor W. Storm
an Ketten gelegt, weil man geglaubt hat, es seien böse,
das Heil der Seele gefährdende Dinge darin enthalten. Aber die das
getan, haben sich geirrt, oder sie sind selbst nicht reinen Herzens
gewesen; denn--wie Cyprianus während seines Aufenthalts in diesem
Haus oft gesagt haben soll--'die Kräfte der Natur sind niemals böse in
gerechter Hand.'"
Aber ich will in meiner Geschichte fortfahren.--Einige Monde später,
nachdem der Meister unter trostvollem Zuspruch an die beiden
Ehegatten das Schloß verlassen hatte, hielt eines Tages ein Wägelchen
mit einer großen Holzkiste auf dem Hof; und da der Graf und seine

Gemahlin, welche in der Nachmittagsstunde müßig am Fenster standen,
von Neugierde getrieben hinabgegangen waren, war ihnen von dem
Fuhrmann ein auf Pergament geschriebener Brief des Cyprianus
überreicht. Die Kiste aber enthielt die bei seinem Abschied verheißene
Dankesgabe. "Möge"--so lautete das Schreiben--"dieser Spiegel so
viele Tage der Freude eurem Leben zulegen, als er mich Stunden
heiligster Arbeit gekostet hat. Wollt aber nicht vergessen, das Letzte in
allen Dingen steht allezeit in der Hand des unergründlichen
Gottes.--Nur eines ist zu verhüten. Niemals darf das Bild einer argen
Tat in diesen Spiegel fallen; die heilsamen Kräfte, welche bei seiner
Anfertigung mitgewirkt haben, würden sich sonst in ihr Widerspiel
verkehren; insonders möchte den Kindern, so--das walte Gott!--euch
bald umgeben werden, daraus eine tödliche Gefahr erwachsen, und nur
eine Sühne, aus des Übeltäters eigenem Blut entsprossen, vermochte
die Heilkraft des Spiegels wieder herzustellen. Allein die Güte eures
Hauses ist so groß, daß solches nicht geschehen kann; und somit wollt
in Hoffnung und Vertrauen diese Gabe aus der Hand eines dankbaren
Freundes empfangen."
Und wie der Meister es gewollt, in Hoffnung und Vertrauen empfingen
die Ehegatten sein Geschenk. Als die Kiste in den Flur getragen und
geöffnet war, zeigte sich zuerst ein Gestell, künstlich in Bronze
gearbeitet. Dann hob man den Spiegel heraus; ein hohes schmales Glas
von einem wunderbar bläulichen Lichtglanz. "Ist es nicht, mein
Gemahl", rief die Gräfin, die einen Blick hineingeworfen, "als liege die
drinnen abgespiegelte Welt in sanftem Mondenschein?" Der Rahmen
war von geschliffenem Stahl, in dessen tausenden Facetten der
gefangene und gebrochene Lichtstrahl wie in farbigem Feuer blitzte.
Bald war das schöne Werk in dem Schlafgemach der Eheleute
aufgestellt; und an jedem Morgen, während die Dienerin ihr das blonde
Haar strählte oder die seidene Flechte in einen Knoten legte, saß die
gute Gräfin mit gefalteten Händen vor dem Spiegel des Cyprianus und
schaute andächtig und voll Hoffnung in ihr eigenes liebes Antlitz.
Wenn aber die Frühsonne auf die Facetten des Rahmens leuchtete, dann
saß das Bild der schönen Frau wie in einem Kranz von Sternenfunken.
Oft nach seinem ersten Gang durch Feld und Wald trat ihr Gemahl

wieder in das Schlafgemach und lehnte schweigend hinter ihrem Stuhl;
und wenn sie ihn dann im Spiegel sah, so meinte sie jedes Mal, daß
seine Augen weniger finster blickten.
Eine geraume Zeit war vergangen, als die Gräfin eines Morgens, da die
Kammerzofe sie schon verlassen, im Vorübergehen noch einen Blick in
den Spiegel tun wollte. Aber es schien ein Hauch auf dem Glas, so daß
sie ihr Antlitz nicht deutlich zu sehen vermochte. Sie nahm ihr
Schweißtüchlein und suchte es fortzuwischen; aber es half nicht; und
sie sah nun wohl, daß es nicht ober-, sondem innerhalb des Glases war.
Näherte sie sich dem Spiegel, so trat ihr Antlitz klar daraus hervor;
wenn sie aber weiter zurücktrat, so schwamm es wie ein rosiger Duft
zwischen ihr und ihrem Spiegelbild.--Sinnend steckte sie ihr Tüchlein
ein und ging den Tag über schweigend und voll stiller Ahnung im Haus
umher, so daß ihr Gemahl, der ihr im Korridor begegnete, ausrief:
"Was lächelst du denn so selig, Herzensfrau?"--Sie schwieg noch
immer und legte nur die Arme um seinen Hals und küßte ihn.
Tag für Tag aber, wenn ihr Gemahl und die Dienerin sie verlassen,
stand sie in der Einsamkeit vor dem Spiegel des guten Meisters, und
mit jedem Morgen sah sie das Rosenwölkchen deutlicher hinter dem
Glas schwimmen.
So war der Mai gekommen, und von draußen aus dem Gärtlein wehte
der Veilchenduft durchs offene Fenster; da trat die gute Gräfin eines
Morgens wieder vor den Spiegel. Kaum hatte sie hineingeblickt, da
brach ein 'Ach!' des Entzückens aus ihren Lippen, und ihre Hände
fuhren nach dem Herzen; denn in der Frühlingssonne, die hell in den
Spiegel leuchtete, erkannte sie deutlich ein schlummerndes
Kinderantlitz, das aus dem Rosenwölkchen blickte. Mit verhaltenem
Atem stand sie; sie konnte sich an dem Anblick nicht ersättigen.
Da hörte sie von draußen vor der Brücke Hörnerschall, und sie entsann
sich, es müsse ihr Gemahl sein, der von der Jagd zurückkehrte. Sie
schloß die Augen und blieb wartend stehen, bis er, gefolgt von seinem
Hund, zu ihr ins Gemach trat. Dann umfing sie ihn mit beiden Armen,
und in den Spiegel zeigend, sprach sie leise: "Dich grüßt der Erbe
deines Hauses! "--Nun hatte der
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