Der Spiegel Des Cyprianus | Page 2

Theodor W. Storm
Niedrigen nicht gering geachtet. Aber
eine frohe Gräfin ist sie nicht gewesen. Wenn sie unten im Dorf
hilfebringend in die Wohnungen der Käthner gegangen, so hat sie mit
Leid auf die Häuflein der Kinder geblickt, die ihr oft den Eingang in
die niedrigen Türen versperrten, und dabei gedacht: 'Was gäbst du nicht
hin um ein einziges solcher pausbäckiger Englein!' Denn schon zehn
Jahre lebte sie mit ihrem Gemahl; aber ihre Ehe blieb ungesegnet; auch
war ihr nicht, wie Euer Gnaden, ein mutterlos Kind vom Herrgott in
den Arm gelegt, dem sie den Schatz ihrer Liebe hätte schenken können.
Der Graf, sonst ein gerechter Mann und der guten Gräfin in Treue
zugetan, hatte begonnen mitunter finster drein zu sehen, daß ihm der
Erbe seiner großen Herrschaft noch immer nicht geboren wurde.--Du
lieber Gott!"--unterbrach sich die Erzählerin--"den Reichen fehlt's; und
die Armen wünschen oft vergebens, daß sie von ihrem Häuflein ein
Englein oder zwei im Himmel hätten, die droben für sie beten
könnten."
"Erzähle weiter!" bat ihre Herrin; und die Alte fuhr fort:
Es ist in der letzten Zeit des großen Krieges gewesen, und das Schloß
hier noch oft von Feindes und Freundes Truppen überzogen worden, da
hat es sich eines Tages begeben, daß ein alter Arzt, der mit den
Schweden ins Land gekommen, bei einem Gefecht, dort hinten an dem

Wald, von einer kaiserlichen Kugel verwundet worden, während er des
Ausgangs harrend bei seinen Theriatskasten Wache hielt. Der Mann,
welcher Cyprianus geheißen, ist hier ins Schloß getragen und, obwohl
die Herrschaft gut kaiserlich gewesen, von der guten Gräfin mit großer
Hingebung gepflegt worden. Sie hat eine glückliche Hand gehabt; doch
ist viel Zeit darüber hingegangen. Der Friede ist schon geschlossen
gewesen, als sie noch oft in dem kleinen Würzgärtlein hinter dem
Schloß an der Seite des genesenden Greises auf und ab gewandelt ist
und seinen Reden von den Kräften und Geheimnissen der Natur
gelauscht hat. Manchen Wink und manches Heilmittel aus den
Kräutern der Berge hat er ihr angegeben, das später ihren Kranken
zugute kommen konnte. Und so ist allmählich zwischen der schönen
Frau und dem alten weisen Meister eine gegenseitige dankbare
Freundschaft entstanden.
Um diese Zeit ist auch der Graf, welcher seit einem Jahr in der Armee
des Kaisers mit zu Feld gelegen, auf sein Schloß zurückgekehrt. Als
nun die erste Freude des Wiedersehens vorüber war, glaubte der Arzt
mit seinen forschenden Augen den Zug eines stillen Kummers in dem
Gesicht der guten Gräfin zu erkennen; doch die Bescheidenheit des
Alters hatte immer noch eine Frage darüber auf seinen Lippen
zurückgehalten. Als er aber eines Tages ein Weib von den schwarzen
fahrenden Leuten, die derzeit unter ihrem Herzog Michel durch das
ganze Reich zogen, aus ihrer Kammer schlüpfen sah, da hat er abends
beim Lustwandeln in dem Gärtlein ihre Hand genommen und ihr
eindringlich zugeredet: "Ihr wißt, gnädige Gräfin, ich trage ein
väterlich Herz zu Euch; so sagt mir auch, was ließet Ihr um Mittag, da
Euer Herr sein Schläfchen tat, die arge Heidin in Eure Kammer?"
Die gute Gräfin erschrak; aber als sie in das milde Gesicht des Greises
sah, da sprach sie: "Ich habe ein großes Leid, Meister Cyprianus, und
möchte wissen, ob noch eine Zeit kommt, wo es von mir genommen
wäre."
"So öffnet mir Euer Herz!" entgegnete er; "vielleicht, daß ich bessern
Rat weiß als jene fahrenden Leute, die wohl den Betrug der
Leichtgläubigen, aber keineswegs die Zukunft verstehen!"

Auf diese Worte hat die Gräfin dem alten Meister ihren Kummer
vertraut, und wie sie durch ihre Kinderlosigkeit sogar das Herz ihres
Gemahls zu verlieren fürchte.
Sie gingen währenddessen an der Umfassungsmauer des Gärtleins
entlang, und Cyprianus schaute über die unten liegenden Wälder hinaus,
auf die schon der rote Abendschein sich legte. "Die Sonne scheidet",
sprach er; "und wenn sie morgen emporsteigt, so muß sie mich auf der
Reise nach meinem Heimatland sehen. Aber ich schulde Euch Leben
und Gesundheit, und so will ich denn gebeten haben, wollet eine
Dankesgabe, die ich durch sichere Hand aus der Heimat an Euch
senden werde, nicht verschmähen."
"So müßt Ihr wirklich fort, Meister Cyprianus?" rief die trauemde Frau.
"Da wird mein liebreichster Tröster mich verlassen!"
"Klagt darüber nicht, Frau Gräfin!" entgegnete er; "die Gabe, von der
ich sprach, ist ein speculum, zu deutsch ein Spiegel, unter sondrer
Kreuzung der Gestirne und in der heilbringendsten Zeit des Jahres
gefertigt. Wollt ihn in Eure Kammer stellen und dort nach Frauen Art
gebrauchen, so dürfte er Euch bald bessere Kunde bringen als die
trügerischen Leute der Haide. --Man hält mich", setzte der Greis
geheimnisvoll lächelnd hinzu, "in meiner Heimat für nicht unkundig
der Dinge der Natur." Die Erzählerin unterbrach sich.--"Ihr wißt wohl,
gnädige Gräfin, daß der Name Cyprianus später im ganzen Norden als
eines mächtigen Zauberers bekannt geworden ist. Die Bücher, die er
geschrieben, hat man nach seinem Tod in dem unterirdischen Gewölbe
eines Schlosses
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