Der Spiegel Des Cyprianus

Theodor W. Storm
Der Spiegel Des Cyprianus

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Title: Der Spiegel Des Cyprianus
Author: Theodor Storm
Release Date: September, 2005 [EBook #8925] [This file was first
posted on August 25, 2003]
Edition: 10

Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER
SPIEGEL DES CYPRIANUS ***

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Der Spiegel des Cyprianus
Theodor Storm

Das Grafenschloß--eigentlich war es eine Burg--lag frei auf der Höhe;
uralte Föhren und Eichen ragten mit ihren Wipfeln aus der Tiefe; und
über ihnen und den Wäldem und Wiesen, die sich unterhalb des Berges
ausbreiteten, lag der Sonnenglanz des Frühlings. Drinnen aber waltete
Trauer; denn das einzige Söhnlein des Grafen war von unerklärlichem
Siechtum befallen; und die vornehmsten Ärzte, die herbeigerufen
wurden, vermochten den Ursprung des Übels nicht zu erkennen.

Im verhangenen Gemache lag der Knabe schlafend mit blutlosem
Antlitz. Zwei Frauen saßen je zu einer Seite des Bettes, mit dem
gespannten Blick der Sorge ihn betrachtend; die eine alt, in der
Kleidung einer vornehmeren Dienerin, die andere, unverkennbar die
Dame des Hauses, fast jung noch, aber die Spuren vergangenen Leides
in dem blassen, gütevollen Angesicht.
In den schönsten Tagen ihrer Jugend hatte der Graf um sie, das wenig
begüterte Fräulein, geworben; aber da schon nichts mehr fehlte als das
ausgesprochene Wort, hatte er sich abgewandt. Eine reiche, schöne
Dame, die dem armen Fräulein dem stattlichen Gemahl und dessen
Herrschaft neidete, hatte den leichtblütigen Mann in ihrem Liebesnetz
verstrickt; und während diese als Herrin in das Grafenschloß einzog,
blieb die Verlassene in dem Witwenstübchen ihrer Mutter.
Aber das Glück der jungen Gräfin hatte keinen Bestand. Als sie nach
Jahresfrist dem kleinen Kuno das Leben gegeben, wurde sie von einem
bösen Kindbettfieber hingerafft; und als wiederum ein Jahr vorbei war,
da wußte der Graf für sein verwaistes Söhnlein keine bessere
Mutterhand als die, welche er einst verschmäht hatte. Und sie mit
ihrem stillen Herzen vergab ihm alle Kränkung und wurde jetzt sein
Weib.
So saß sie nun sorgend und wachend bei dem Kind ihrer einstigen
Nebenbuhlerin.
"Er schläft jetzt ruhig", sagte die Alte; "Frau Gräfin sollten auch ein
wenig ruhen."
"Nicht doch, Amme", erwiderte die sanfte Frau; "ich bedarf's noch
nicht; ich sitze hier ja gut in meinem weichen Sessel."
"Aber die vielen Nächte durch! Es ist doch nimmer ein Schlaf, wenn
der Mensch nicht aus den Kleidern kommt." Und nach einer Weile
setzte sie hinzu: "Es hat nicht immer solche Stiefmütter gegeben hier
im Schloß."
"Du mußt mich nicht so loben, Amme!"

"Kennt Ihr denn nicht die Geschichte von dem Spiegel des Cyprianus?"
sagte wiederum die Alte; und als die Gräfin es verneinte, fuhr sie fort:
"So will ich sie Euch erzählen; es hilft die Gedanken zerstreuen. Und
seht nur, wie das Kind schläft, der Atem geht ganz ruhig aus dem
kleinen Mund! --Nehmt noch dies Kissen unterm Kreuz, und nun die
Füßchen auf den Schemel hier!--Und nun wartet ein Weilchen, daß ich
mich recht besinne."
Dann, als die Gräfin sich in die Kissen gesetzt und ihr freundlich
zugenickt hatte, begann die erfahrene Dienerin des Hauses ihre
Erzählung:
"Vor über hundert Jahren hat einmal eine Gräfin in diesem Schloß
gelebt; die ist von allen Leuten nur die gute Gräfin genannt worden.
Der Name hat auch rechtgehabt; denn sie ist demütig in ihrem Herzen
gewesen und hat die Armen und
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