Der Schwimmer | Page 4

John Henry Mackay
lief, so wandte sich ihm doch seine ganze
Aufmerksamkeit zu, als der "Osten" sich hinter ihm als dem letzten
Badenden bis zum nächsten Sommer schloß und der alte Bademeister,
als er ihn endlich endgültig hinausschmiß, halb brummend, halb
lachend gemeint hatte: "Na, weeßte, du hast ooch mehr an uns als wir
an dir verdient!"...
Franz brachte es fertig, Eintritt auch in das neue Ziel seiner Wünsche
zu erlangen. Es war allerdings nicht an ein Abonnement für den ganzen
Winter zu denken--eine unerschwingliche Summe, die er weder
zusammengebracht hätte, noch gewagt haben würde, selbst für diesen
Zweck zu verwenden, auch wenn er im Winter die Zeit gehabt hätte zu
täglichem Baden; schon die einzelnen Bäder waren für ihn teuer. Aber
sie waren doch zuweilen erschwingbar, und außerdem wurden von der
Gemeindeschule aus die jüngeren Schüler ein- oder zweimal
wöchentlich vom Lehrer hierher geführt, und bei dieser Gelegenheit
überkam Franz eine Ahnung von dem Zweck und Nutzen der Schule.
Diese Freibäder versöhnten ihn mit mancher anderen langweiligen und
lästigen Stunde.

Das einzige, was ihm diese Freibäder im Winter zu verkümmern
vermochte, war die Kürze der vorgeschriebenen Zeit, in der die Kinder
im Wasser verweilen durften, und ob auch der Lehrer, selbst ein großer
Schwimmer und gütiger Freund seiner Kleinen, bei Franz ein Auge
zudrückte, wenn dieser selbst durch die Schnelligkeit, mit der er sich in
seine Kleider warf, ein paar Augenblicke längeren Verweilens in dem
geliebten Naß zu ergattern vermochte, so war es Franz doch immer, als
sei er kaum einmal untergetaucht, und er hatte im Grunde seines
Herzens für diese Art von Schwimmerei immer nur das eine Wort tiefer
Verachtung: "Det is ja jarnischt!"--Und trotzdem hätte er selbst diese in
seinen Augen so flüchtigen Augenblicke nicht missen können und
wollen, denn immer seltener wurden die Male, in denen er allein diese
wunderbare, warme Halle, die ihm der Inbegriff aller Weite und
Schönheit war, besuchen und mit dem Aufgebot aller Schliche so lange
als irgend möglich in ihr verweilen konnte; und immer seltener und
begehrter zu Hause wurden die Groschen, die er sich durch kleine
Beschäftigungen, wie das Brotaustragen am frühen, kalten Morgen vor
der Schule und den Verkauf von kleinen Straßenwaren in den
Weihnachtstagen, durch stetes Aufpassen auf jede andere mögliche
Gelegenheit zuverdienen wußte.
Früh wurde sein junges Leben mühsam und ernst. Aber unglücklich
war er nicht, denn er konnte ja schwimmen, Sommer wie Winter
schwimmen. Unglücklich wäre er nur geworden, wenn man ihm dies
sein einziges Vergnügen ganz genommen hätte. Aber daran dachte
keiner, denn keiner verstand, wie es ein so großes Vergnügen sein
konnte.
So erreichte Franz Felder sein vierzehntes Lebensjahr.
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Bisher hatte er von seinem Schwimmen nichts gehabt als sein
Vergnügen. "Brotlose Künste!" sagte sein Vater eines Tages, als Franz
wieder einmal sein Fortbleiben an einem ganzen Nachmittag und einem
halben Abend mit nichts anderem zu entschuldigen wußte, und dieser
konnte sich nur mit dem Gedanken über diesen Ausspruch trösten, daß
sein Vater eben auch nichts vom Schwimmen verstehe. Er bedauerte

ihn deshalb tief, denn für ihn gab es nur zwei Arten von Menschen:
solche, die schwimmen, und solche, die nicht schwimmen konnten. Die
letzteren waren für ihn eine untergeordnete Klasse von Menschen,
jedes Mitleids würdig.
Nun aber--er stand in seinem dreizehnten Lebensjahre--brachte ihm
seine Fähigkeit den ersten Erfolg in den Augen der Menschen, und
einen schönen.--
Es war an einem Sonntagnachmittag, und Franz lag im Grase an der
Spree nahe der Kirche in Stralau, die ihren grauen Turm aus alten
Linden und Ulmen heraus neugierig in den wolkenlosen Himmel
streckte. Franz war ganz allein. Seinen Freunden, die ihn zu einer
Wasserpartie nach Sadowa überreden wollten, hatte er einen Korb
gegeben--einmal, weil ein paar mitmachten, die ihm nicht paßten, da
sie ihm zu rüdig waren; und sodann, weil er nur drei Sechser in der
Tasche hatte, über die bereits anderweitig für morgen verfügt war.
Zudem war er ganz gern allein, und die Pätschelei machte ihm nur dann
Vergnügen, wenn sie mit einem regelrechten Bade verbunden war.
Franz also lag in dichtem Grase, sog an ausgerupften Halmen und ließ
in augenblicklicher Ermangelung eines Besseren einen um den anderen
seiner nackten Füße ins Wasser hängen. Erst harte es ihm Spaß
gemacht, nach den Sommergärten von Treptow, die alle schwarz von
Menschen waren, und auf die Spree, wo sich Unmengen von kleinen
Boten, Kähnen und Seglern herumtrieben, hinauszuschauen, und er
hatte sich vorgenommen, einmal aufzupassen, wie lange es wohl
dauern würde, bis eine dieser meist von den ungeübtesten Händen
gelenkten Schalen in den Kurs eines der schwerfälligen Dampfer kam,
die einer nach dem andern menschenüberladen und unter
ohrbetäubenden Geklingel spreeauf- und abwärts an ihm vorbeiführen.
Denn alle Sonntage kamen hier einer oder mehrere Unfälle vor, und das
Gottvertrauen, mit dem der Handlungsgehilfe aus NO und der Friseur
aus SW, denen doch sonst vor jeder Berührung mit dem Wasser inner-
und äußerlich graute,
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