Der Schwimmer | Page 5

John Henry Mackay
die Boote mit ihren Schönen beluden und direkt
auf die Dampfer losfuhren, hatte etwas Rührendes. Aber, wie es immer
ist: wenn wir auf ein Ereignis warten, kommt es nicht, und so wurde

auch Franz bald müde, auf die Wasserfläche hinauszublinzeln, und er
sah zur Abwechselung hinauf in den Himmel, indem er sich auf den
Rücken warf.
Ob es wohl ein Wasser gab, das so tief und so blau war, wie dieser
Himmel dort oben? Was mußte das für eine Lust sein, darin zu baden!--
Er dachte an einen seiner Lehrer, der einmal von einem Märchen
erzählt hatte. In dem kam ein Bergsee vor, der sollte "so tief wie das
Meer und so blau wie der Himmel" sein. Aber Franz konnte sich keine
rechte Vorstellung von einem Bergsee machen, und außerdem war es ja
ein Märchen, das der Lehrer erzählte. Die Spree war immer
dunkelbraun und schmutzig, und auch in dem Volksbad konnte man
nicht auf den Grund sehen, auch dann nicht, wenn das Bassin gereinigt
und mit frischem Wasser gefüllt war. Aber es mußte doch wunderschön
sein, einmal in einem so ganz klaren, durchsichtigen Wasser zu baden...
Und da empfand Franz auch schon mit heftigem Unbehagen, daß er
heute noch gar nicht im Wasser gewesen war. Wenn er es wagte? Aber
das wäre doch wohl eine zu große Frechheit gewesen, am Sonntag, hier
vor allen Leuten--wenn ihn da ein Schutzmann erwischte, würde es
schöne Senge absetzen, und nicht die allein. Nein, er mußte schon
warten, bis es dunkel geworden war, und dann auf dem Heimweg noch
schnell einmal irgendwo hineinspringen. Weshalb waren doch nur alle
Badeanstalten am Sonntagnachmittag geschlossen--das war doch zu
dumm!--Wo alle anderen Vergnugungslokale geöffnet waren, blieben
die, wo es das allergrößte gab, zu!--
Und wenn er nun doch jetzt sein Bad nähme!--Er getraute es sich, seine
Kleider abzuwerfen, so lautlos ins Wasser zu schlupfen, unter ihm hin
eine Strecke zu schwimmen, einmal aufzutauchen, um Atem zu
schöpfen, und dann ebenso lautlos wieder zurückzuschwimmen, daß
kein Mensch ihn bemerken sollte. Aber eine bodenlose Frechheit wäre
es doch gewesen und wenn wirklich ein Schutzmann in der Nähe
war--und immer war ein solcher Kerl irgendwo in der Nähe!--und die
Kinder ein Geschrei erheben würden...
War da schon einer?--Schrieen die Kinder oder wer schrie so?--Franz
sprang in die Höhe. Hatte er es nicht gleich gesagt?--Na ja, gleich der

ganze Kahn um und alles ins Wasser!--Und ein Geschrei und Gerufe
und ein Laufen--jetzt aber raus aus dem Hemde und ins Wasser!--Er
fuhr durch das Wasser wie nie in kurzen, kräftigen Stößen. Er wollte
schon auf den Kahn zu, als er--noch ein Stück von ihm entfernt--etwas
auf dem Wasser kämpfen und untersinken sah: einen Jungen, ein paar
Jahre jünger nur, als er selbst. Er erreichte ihn noch gerade und packte
ihn beim Arm. Aber der klammerte sich auch gleich an ihm fest, und
Franz hatte Mühe wieder loszukommen. Denn so ging das ja nicht. Er
schrie ihm zu, ganz ruhig zu sein, er bringe ihn schon ans Land. Aber
der andere war schon wieder mit dem Kopfe unter Wasser und hörte
nichts mehr.
Da ließ ihn Franz einen Augenblick ganz los, griff ihn dann fest unter
dem Arm und brachte nun den sich nicht mehr Sträubenden.--denn der
hatte einstweilen genug Wasser geschluckt--langsam, aber in sicheren
und kräftigen Stößen ans Land.
Dort streckten sich schon hundert Hände aus--nicht nach dem Retter,
um den kümmerte sich keiner--sondern nach dem andern, und Franz
war froh, daß man ihn in Ruhe ließ. Er suchte nach seinen Kleidern.
Alles lag noch da, aber seine Jacke fehlte. Er suchte und suchte, ohne
sie finden zu können. Erst wollte er Skandal machen. Doch dann hätten
sich alle die Menschen, die sich dort um den Geretteten bemühten oder
ihn neugierig umstanden, nach ihm gewandt und ihn ausgefragt. Fragen
aber war ihm ein Greuel. Und es nützte ja doch nischt!--der seine Jacke
mitgenommen hatte, der Halunke, war jetzt doch schon über alle
Berge!
Er machte besser, daß er fort kam, denn er glaubte, einen Lehrer am
Ufer erkannt zu haben. Nur keine Quatscherei! Er sah noch gerade, daß
der Junge wieder aufrecht stand, den er herausgeholt; dann rannte er,
was er konnte. Und als wirklich der Lehrer sich nach ihm umsah, war
Franz längst verschwunden.
Er trottete in Hemdsärmeln nach Hause. Sein Bad hatte er ja nun gehabt.
Aber als er mit gesenktem Kopf an den Scharen der sonntäglichen
Spaziergänger die lange Straße längs der Spree nach Hause trabte,
mußte er einmal doch die aufsteigenden Tränen hinunterschlucken, als

er daran dachte, daß er nun ohne Jacke nach Hause kam, und an den
Skandal, den es absetzen würde. Denn sagen, wie es wirklich gewesen
war, das konnte er doch nicht.
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Er hatte die ganze Sache längst vergessen, und auch der Lärm um die
Jacke zu Hause war verhallt, als ihm eines Tages in der Schule
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