ein großes Stück Spree am Ufer durch
einen hohen Zaun abgetrennt. Auf seiner Innenseite zog sich ein Gang
an allen Seiten hin, und es liefen Bänke an ihm entlang, über denen
Nägel zum Aufhängen der Kleider eingeschlagen waren. Außerdem
gab es noch ein wackeliges Sprungbett auf einer Art Turm, von dem
man "bei Strafe" hinunterspringen mußte, wenn man ihn betreten hatte,
und im Wasser lag ein Kreuz aus Balken zur Belustigung der
Badenden.
Das war die große Schwimm- und Badeanstalt "Osten", die größte
Berlins. Die Balken und Bretter waren schwarz und morsch vor Alter
und die Nägel verrostet, und nie wurde ein neuer eingeschlagen, denn
das hätte ja Kosten und Mühe verursacht. Alles war verwahrlost, aber
Raum gab es hier in Fülle, und an allen heißen Sommertagen waren die
Gänge vom Morgen bis zum Abend dicht besetzt mit vielen Hunderten
von nackten, schwitzenden Körpern, und der Lärm in und außer dem
Wasser nahm kein Ende, ob am Nachmittag die barfüßige Jugend des
Ostens oder am Abend die schwarze Arbeiterschaft nach ihrem
Tagewerk anrückte. Das Bad kostete einen Groschen, und den ganzen
Sommer konnte man hier für einen Taler baden. Was aber Franz Felder
vor allem reizte, das war, daß man hier nie oder doch nur ganz selten
hinausgeschmissen wurde, auch wenn man die formell vorgeschriebene
Badezeit von einer Stunde längst überschritten hatte. Bei der
ungeheuren Menge von Badenden war es den Bademeistern ganz
unmöglich, irgendeine Kontrolle auszuüben, und es war ihnen auch
ganz gleichgültig, mochten sich die Körper in und außer dem Wasser
stoßen und drängen und die Kleider über- und die Stiefel durcheinander
geworfen werden--solange man sich nur nicht prügelte oder einer am
Ertrinken war und herausgeholt werden mußte, rührte sich keiner vom
Flecke.
Franz beschloß, hierher die Stätte seiner sommerlichen Tätigkeit zu
verlegen und daher mußte er den Taler haben. Das war sehr viel Geld
auf einmal, aber unmöglich schien es ihm nicht, ihn für sich
zusammenzubringen, ohne daß die Mutter es merkte; denn die hätte
natürlich gesagt, einmal in der Woche zu baden sei genug--(soviel
verstand die davon!)--und hätte ihm das Geld abgenommen. Im März
fing er an zu sparen: Sechser für Sechser und Groschen für Groschen,
und er hatte ein wundervolles Versteck auf dem Dachboden des Hauses
in einem alten Strumpf und in einer Ecke, wo nie jemand hinkam, da
kein anderer im ganzen Hause so geschmeidig war, sich bis dahin
durch Bretter, Balken und Gerumpel durchzuwinden. Aber im Mai
wurde der Vater krank, und eines Abends kroch Franz voll Edelmut,
aber nicht ohne Bitterkeit hin zu seinem Schatz und trug ihn in die
Apotheke.
Jetzt mußte er von neuem anfangen, und er tat es: er trug des Morgens
Frühstück aus, bevor er zur Schule ging, und lauerte am Nachmittag auf
die Reisenden am Schlesischen Bahnhof, denen er hier und da ein
Stück Gepäck trug, und als im Juni nach einem kalten Frühling der
herrliche, geliebte Sommer und seine Sonne kam, lag er im Wasser und
schwamm, daß es eine Art hatte. Diese Sommernachmittage waren
noch sein--in diesen und in den nächsten Jahren--solange er auf der
Schule war. Er ließ sie sich nicht verkürzen. Nach dem Essen rückte er
aus und kam am Abend wieder, mochten sie daheim sagen, was sie
wollten. Zwischen diesen vier schwarzen, häßlichen Bretterwänden, die
alles, nur nicht den Himmel versperrten, verbrachte er die langen
Stunden ungezählter Nachmittage. Hier war die Welt, in der er lebte.
Hier lernte er seine ersten, kunstgerechten Sprünge, und hier bildete er
seinen kleinen Körper in unausgesetzter Übung zu der Kraft aus, die
ihn später zu den Leistungen seiner Siege befähigen sollte.
Solange er noch nicht eingesegnet war, brachte er es fertig, sich für
jeden Sommer seinen Taler zusammenzusparen, und diese Sommer
vergingen ihm fast wie ein einziger, langer, warmer Sonnentag, den
er--durchschwamm.--
Aber auch die Winter dieser Jahre seiner frühen Kindheit waren nicht
ohne alle Freuden. Die Stadt Berlin hatte nach langem Zögern im Osten
ein großes, rotes Gebäude errichtet: eine Volksbadeanstalt mit
musterhafter Einrichtung, die neben den mancherlei Arten von
Wannen- und Brausebädern als Mittelpunkt auch eine große
Schwimmhalle umfaßte, die Sommer wie Winter geöffnet war und das
Schwimmen zu jeder Jahreszeit ermöglichte.
Es war die zweite städtische Anstalt dieser Art. Bisher hatten sich in
Berlin nur zwei oder drei andere Privat-Anstalten mit Schwimmbassins
mühsam zu halten vermocht, da die wenigsten Menschen überhaupt
von der Möglichkeit, "im Winter zu schwimmen", eine Vorstellung
hatten und die Existenz solcher Schwimmhallen ihnen daher einfach
unbekannt und unverständlich war.
Für Franz Felder waren diese privaten Anstalten deshalb nicht in
Betracht gekommen, einmal weil sie viel zu entfernt lagen, und dann,
weil das Baden in ihnen viel zu teuer war. So war die neue Anstalt der
Stadt wie für ihn gebaut, und wenn er auch im Sommer an dem
schmucken Gebäude mit Verachtung vorbei und in den großen Kasten
an der Spree
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