Der Schuss von der Kanzel | Page 5

Conrad Ferdinand Meyer
in die Eiche hineinschl��pfen konnte, versch?mt hinter derselben hervor und n?herte sich dem General mit wiederholten verlegenen B��cklingen.
"Was will denn Er hier?" fragte dieser gedehnt und ma? ihn vom Wirbel bis zur Zehe: "Wer ist Er?"
"Ich bin der Vetter... des Vetters... vom Vetter..." stotterte der Angeredete.
Der General runzelte die Stirne.
"Mein Vater war ein Pfannenstiel und meine Mutter ist eine selige Kollenbutz..."
"Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was Vetter? Mein Bruder ist Er--alle Menschen sind Br��der! Scher Er sich zum Teufel!" und Wertm��ller wandte ihm den R��cken.
Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn versteinert.
"Fannen-stiel--", buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern.
"Pfannenstiel?" wiederholte auch der aufmerksam werdende General, "der Name ist mir bekannt--halt, Er ist doch nicht der Autor", und er kehrte sich dem J��ngling wieder zu, "der mir gestern seine Dissertation ��ber die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?"
Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt.
"Dann ist Er ja ein ganz liebensw��rdiger Mensch!" sagte Wertm��ller und ergriff ihn freundlich bei der Hand. "Wir m��ssen uns kennenlernen."

Viertes Kapitel
Er trat mit dem Gaste in die Veranda, dr��ckte ihn auf einen Sitz nieder, go? ihm eines der auf dem Schenktische stehenden Gl?ser voll und lie? ihn sich erholen und erquicken.
"Der Empfang war milit?risch", tr?stete er ihn dann, "aber Ihr werdet im Soldaten keinen unebenen Hauswirt finden. Ihr n?chtigt heute auf der Au--ohne Widerrede!--Wir haben manches zu verhandeln.--Seht, Lieber, Eure Abhandlung hat mich ganz angenehm unterhalten", und Wertm��ller langte nach dem Buche, welches in einer Fensternische des die R��ckwand der Veranda bildenden Erdgeschosses lag und zwischen dessen Bl?tter er die zerlesene Dissertation des Kandidaten eingelegt hatte.
"Zuerst eine Vorfrage. Warum habt Ihr mir Euer Werk nur mit einer Zeile zugeschrieben, statt mir es coram populo auf dem ersten wei?en Blatte mit aufrichtigen, gro?en Druckbuchstaben zu dedizieren? Weil ich mit den Faffen, Euern Kollegen, gespannt bin, he? Ihr habt keinen Charakter, Pfannenstiel; ihr seid ein schwacher Mensch."
Der Kandidat entschuldigte sich, seine unbedeutende Arbeit habe den Namen des ber��hmten Feldherrn und Literaturkenners nicht vor sich her tragen d��rfen.
"Durchaus nicht unbedeutend", lobte Wertm��ller. "Ihr habt Phantasie und seid in die purpurnen Tiefen meines Lieblingsgedichtes untergetaucht, wie nicht leicht ein anderer. Freilich um etwas Absurdes zu beweisen. Aber es ist einmal nicht anders: wir Menschen verwenden unsere h?chsten Kr?fte zu albernen Resultaten. Dachtet Ihr daran, mich rechtzeitig zu Rate zu ziehen, ich gab Eurer Dissertation eine Wendung, die Euch selber, Eure f?ffischen Examinatoren, das ganze Publikum in Erstaunen gesetzt h?tte. Ihr habt es gef��hlt, Pfannenstiel, da? die zweite H?lfte der Odyssee von besonderer Sch?nheit und Gr??e ist. Wie? Der Heimgekehrte wird als ein fahrender Bettler an seinem eigenen Herde mi?handelt. Wie? Die Freier reden sich ein, er kehre niemals wieder, und ahnen doch seine Gegenwart. Sie lachen und ihre Gesichter verzerrt schon der Todeskampf--das ist Poesie.--Aber Ihr habt recht, Pfannenstiel, was n��tzt mir die Poesie, wenn nicht eine Moral dahintersteckt? Es ist eine Devise in das Zuckerwerk hineingebacken--zerbrechen wir es! Da der Odysseus nicht blo? den Odysseus bedeuten darf, wen oder was bedeutet er denn? Unsern Herrn und Heiland--so beweist Ihr und habt Ihr es drucken lassen--, wenn er kommt zu richten Lebendige und Tote. Nein, Kandidat, Odysseus bedeutet jede in Knechtesgestalt mi?handelte Wahrheit mitten unter den ��berm��tigen Freiern, will sagen, Faffen, denen sie einst in sieghafter Gestalt das Herz durchbohren wird.
"He, Kandidat, wie gef?llt Euch das?--So h?ttet Ihr es wenden sollen, und seid gewi?, Eure Dissertation h?tte gerechtes Aufsehen erregt!"
Pfannenstiel erbebte bei dem Gedanken, da? sich seiner Symbolik diese gottesl?sterliche und verwegene Wendung h?tte geben lassen. Sein einfaches Wesen lie? ihn den Pferdefu? des alten Sp?tters nicht oder doch nur in unbestimmten Umrissen erkennen.
Um sich der Verlegenheit zu entziehen, dem alten Freigeiste eine Antwort geben zu m��ssen, nahm der Kandidat den Pergamentband in die H?nde, mit welchem Wertm��ller w?hrend seiner Rede gestikuliert hatte. Es war die aldinische Ausgabe der Odyssee. Pfannenstiel betrachtete and?chtig das Titelblatt des seltenen Buches. Pl?tzlich fuhr er zur��ck wie vor einer z��ngelnden Natter. Er hatte auf dem freien Raume links neben dem Wappen des venezianischen Buchh?ndlers etwas verblichene, k��hnflie?ende Federz��ge entdeckt, die folgende Zeilen bildeten:
Georgius Jenatius me jure possidet Constat R. 4. Kz. 12.
Er warf das Buch weg, als atme es einen Blutgeruch aus.
Damals moderte der fragw��rdige B��ndner schon seit Dezennien in der Domkirche von Chur, w?hrend sein Bild in zahmen und unpatriotischen Zeiten sich zu einem widerw?rtigen verzerrt hatte, so da? nur der Apostat und der Blutmensch ��brigblieb. Pfannenstiel betrachtete ihn einfach als ein Ungeheuer, an dessen Dagewesensein er kaum glauben, das er sich nicht realisieren konnte.
Der General weidete sich an seinem Schrecken, dann sagte er leichthin: "Der liebe Mann, Euer gewesener Kollege, hat mich damit beschenkt, wie wir noch auf gutem Fu?e standen und ich ihn auf seinem Malepartus in Davos besuchte."
"Also hat er doch gelebt!" sprach der Kandidat halblaut vor sich hin, "er
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