Der Schuss von der Kanzel | Page 4

Conrad Ferdinand Meyer
raschelnde Laub einer nahen Lichtung zu. Das einem b?sen Traume verwandte Gef��hl, den fremden Besitz auf so ungew?hnlichem Wege zu betreten, gab ihm Fl��gel, doch begann auch das Element des Abenteuerlichen, das in jedem Menschenherzen schlummert, seinen geheimen Reiz auf ihn auszu��ben. So wirft sich ein Badender in die Flut, die er zuerst leise schauernd mit der Zehe gepr��ft hat.
Die bald erreichte Lichtung war nur eine beschr?nkte, von oben wie durch eine Kuppel?ffnung erhellte Moosstelle. Ein darauf spielendes Eichhorn setzte ��ber den Kopf des Kandidaten weg auf einen niederhangenden Zweig, der erst ins Schwanken geriet, als das schnelle Tierchen schon einen zweiten erreicht hatte.
Wieder f��hrte der Pfad eine Weile durch das gr��ne Dunkel, bis er sich pl?tzlich wandte und der Kandidat das Landhaus in der Entfernung von wenigen Schritten vor sich erblickte.
Diese Schritte aber tat er sehr langsam. Er geh?rte zu jenen sch��chternen Leuten, f��r welche das Auftreten und das Abgehen mit Schwierigkeiten verbunden ist, und der General stand im Rufe, seinen G?sten nur dieses, nicht aber jenes zu erleichtern. So kam es, da? er hinter der ?u?ersten Eiche, einem gewaltigen Stamme, unschl��ssig stehenblieb. Was er indessen aus seinem Verstecke hervor erlauschte, war ein idyllisches Bild, das ihn in keiner Weise h?tte einsch��chtern k?nnen.
Der General plauderte in der hallenartig gebauten und zur jetzigen Herbstzeit nur allzu luftigen Veranda, deren sechs hohe S?ulen ein pr?chtiges ausl?ndisches Weinlaub umwand, gem��tlich mit seinem Nachbar, dem Krachhalder, einem der Kirchen?ltesten von Mythikon, die der Kandidat w?hrend seines Vikariats allsonnt?glich im Chore hatte sitzen sehen und die ihm bekannt waren wie die zw?lf Apostel. Mit aufgest��tzten Ellenbogen ritt Wertm��ller auf einem leichten Sessel und zeigte seine scharfe Habichtsnase und das stechende Kinn im Profil, w?hrend der sch?ne, alte, schlaue Kopf des Krachhalders einen ungemein milden Ausdruck hatte.
"Wir sind wie die Blume des Feldes", f��hrte der Alte in erbaulicher Weise das Gespr?ch, "und es trifft sich, Herr Wertm��ller, da? wir beide in diesen Tagen unser Haus bestellen. Ich mache Euch kein Geheimnis daraus: Drei Pfund vergabe ich zur neuen Beschindelung unserer Kirchturmspitze."
"Ich will mich auch nicht als Lump erweisen", versetzte der General, "und werfe testamentarisch ebensoviel aus zur Vergoldung unsers Gockels, da? sich das Tier nicht sch?men mu?, auf der neubeschindelten Spitze zu sitzen."
Der Krachhalder schlurfte bed?chtig aus dem vor ihm stehenden Glase, dann sprach er: "Ihr seid kein kirchlicher Mann, aber Ihr seid ein gemeinn��tziger Mann. Erfahret: Die Gemeinde erwartet etwas von Euch."
"Und was erwartet die Gemeinde von mir?" fragte der General neugierig.
"Wollt Ihr es wissen? Und werdet Ihr es nicht z��rnen?"
"Durchaus nicht."
Der Krachhalder machte eine zweite Pause. "Vielleicht ist Euch eine andere Stunde gelegener", sagte er.
"Es gibt keine andere Stunde als die gegenw?rtige. Ben��tzt sie!"
"Ihr w��rdet Euch ein sch?nes Andenken stiften, Herr General, bei Kind und Kindeskind..."
"Ich untersch?tze den Nachruhm nicht", sagte der General.
Dem Krachhalder, der den wunderlichen Herrn so aufger?umt sah, schien der g��nstige Augenblick gekommen, dem lange gen?hrten Wunsche der Mythikoner in vorsichtigen Worten Gestalt zu geben.
"Euer Forst im Wolfgang, Herr Wertm��ller", begann er z?gernd. Der General verfinsterte sich pl?tzlich, und der alte Bauer sah es wie eine Donnerwolke aufsteigen, "st??t seine Spitze..."
"Wohin st??t er seine Spitze?" fragte Wertm��ller grimmig.
Der Krachhalder ��berlegte, ob er vor- oder r��ckw?rts wolle, ungef?hr wie ein mitten auf dem See vom Sturm ��berraschter. Er entschied sich f��r das Vorr��cken. "... mitten durch unsere Gemeindewaldung..."
Jetzt sprang der General mit einem Satze von seinem Sessel auf, fa?te ihn an einem Bein, schwang ihn durch die L��fte und setzte sich in Fechtpositur.
"Wollen mich die Mythikoner pl��ndern?" schrie er w��tend, "bin ich unter die R?uber gefallen?" Dann fuhr er, seine h?lzerne Waffe senkend, gelassener fort: "Daraus wird nichts, Krachhalder. Redet das den Leuten aus. Ich will Euch nicht noch von jenseits des Grabes eine Nase drehen!"
"Nichts f��r ungut", versetzte der Alte mit Ruhe, "Ihr werdet es bedenken, Herr Wertm��ller."
Auch er hatte sich erhoben und nahm von dem Generale mit einem treuherzigen H?ndedruck den landes��blichen Abschied.
Wertm��ller geleitete ihn ein paar Schritte, dann wandte er sich, und vor ihm stand sein Leibmohr Hassan. Der Schwarze machte eine flehentliche Geb?rde und bat, das Deutsche wunderlich radbrechend, um einen Urlaub f��r morgen nachmittag; denn seine Seele zog ihn zu seinen neuen Freunden in Meilen.
"Bist du ganz des Teufels, Hassan!" schalt ihn der General. "Sie haben dir letzten Sonntag dr��ben arg genug mitgespielt."
"Mitgespielt!" wiederholte der Mohr, der das Wort mi?verstand. "Sch?n, wundervoll Spiel!"
"Hast du denn gar kein Ehrgef��hl? Die Ber��hrung mit der Zivilisation richtet dich zugrunde--du s?ufst wie ein Christ!"
"Nicht saufen, Gnaden! Sch?n Spiel, einzig Spiel! J-a?!" Er ri? eine solche Grimasse und verdrehte die Augen mit so leidenschaftlicher Inbrunst, da? Pfannenstiel, der, wie oft die unschuldigen Menschen, viel Sinn f��r das Komische und ��berdies jetzt etwas gespannte Nerven hatte, in ein vernehmliches Gekicher ausbrach, welches er mit aller Gewalt nicht unterdr��cken konnte.
Seine Gegenwart verraten sehend, trat der Kandidat, da er nicht wie eine ��berraschte Dryade
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