Der Pilger Kamanita | Page 3

Karl Adolph Gjellerup
Tanz; als kindisch gilt im Orden der Heiligen
das Zähnezeigen zur Unzeit, das Lachen: Genüg' euch in Wahrheit
Entzückten das Lächeln des lächelnden Blickes."
Das Nachbarhaus war nicht weit entfernt, aber der Lärm der Zecher
und der Vinaspieler drang bis dahin, und so ging der Buddha weiter bis
zum nächsten Hause. Neben diesem waren aber zwei Metzgergesellen
beim letzten Schimmer des Tageslichtes eifrig am Werk, eine soeben
geschlachtete Kuh mit scharfen Messern zu zerlegen.
Und der Erhabene schritt an der Wohnung des Schlächters vorüber.
Vor dem nächsten Hause standen viele Schüsseln und Näpfe aus
frischem Ton, die Ausbeute einer rechtschaffenen Tagesarbeit; unter
einer Tamarinde befand sich das Töpferrad, und der Hafner löste
gerade eine Schüssel davon ab und trug sie zu den anderen.
Der Erhabene trat zum Hafner hin, begrüßte ihn höflich und sagte:
"Wenn es dir, Abkömmling Bhagas, nicht ungelegen ist, bleibe ich über
Nacht in deinem Vorsaale."
"Es ist mir, o Herr, nicht ungelegen. Doch ist soeben ein Pilger
angekommen, müde von einer langen Wanderung. Und er hat schon
sein Lager hier aufgeschlagen. Wenn es ihm recht ist, mögest du
bleiben, o Herr, nach Belieben."
Und der Erhabene überlegte sich: "Einsamkeit freilich ist der beste
Gefährte. Aber dieser liebe Pilger ist hier spät angekommen, wie ich
selber, müde von einer langen Wanderung. Und er ist an den Häusern
unreiner, blutiger Gewerbe vorbeigegangen, ist an dem Hause des
Zankes und des gehässigen Streits und an dem Hause des Lärms und
der unwürdigen Freuden vorübergeschritten, um erst hier beim Hafner

einzukehren. Mit einem solchen Manne zusammen kann man die Nacht
verbringen."
So trat denn der Erhabene in die Vorhalle ein, wo er einen jungen
Mann von edlen Gesichtszügen gewahr wurde, der in der einen Ecke
auf einer Matte saß.
"Wenn es dir, Pilger, nicht ungelegen ist," sprach der Erhabene zu ihm,
"bleibe ich über Nacht hier im Vorsaale."
"Geräumig, Bruder, ist der Vorsaal des Hafners; bleibe der Ehrwürdige
nach Belieben."
Da breitete nun der Erhabene an der einen Wand die Strohmatte hin
und setzte sich nieder, die Beine gekreuzt, den Körper gerade
aufgerichtet, in heiliges Sinnen versunken. Und der Erhabene brachte
die ersten Stunden der Nacht sitzend zu. Und auch der junge Pilger
brachte die ersten Stunden der Nacht sitzend zu.
Da gedachte denn der Erhabene bei sich: "Ob wohl dieser edle Sohn
fröhlich beflissen ist?--Wie, wenn ich ihn nun darum fragte?"
Und der Erhabene wandte sich also an den jungen Pilger:
"Weshalb, o Pilger, bist du in die Heimatlosigkeit gegangen?"
Der junge Pilger antwortete:
"Nur ein paar Nachtstunden sind vergangen. Wohlan, wenn mir der
Ehrwürdige seine Aufmerksamkeit schenken will, werde ich erzählen,
weshalb ich in die Heimatlosigkeit gegangen bin."
Der Erhabene gab durch freundliches Kopfnicken sein Einverständnis
zu erkennen, und der junge Pilger hub zu erzählen an.

III. NACH DEM UFER DER GANGA

Ich heisse Kamanita mit Namen und bin in Ujjeni geboren, einer weit
im Süden gelegenen Stadt, im Lande Avanti, im Gebirge. Dort kam ich
in einer begüterten, wenn auch nicht sehr vornehmen
Kaufmannsfamilie zur Welt. Mein Vater ließ mir eine gute Erziehung
zuteil werden, und als ich die Opferschnur anlegte, war ich schon
ziemlich im Besitze der meisten Fertigkeiten, die sich für einen jungen
Mann von Stand passen, so daß man allgemein glaubte, ich müßte in
Takkasila[1] erzogen worden sein. Im Ringkampf und im Degenfechten
war ich einer der ersten; ich hatte eine schöne, wohlgeübte Singstimme
und verstand die Vina kunstreich zu schlagen; ich konnte alle Gedichte
Bharatas und noch viele andere auswendig hersagen; mit den
Geheimnissen der Metrik war ich aufs innigste vertraut, und verstand
auch selber gefühlvolle und sinnreiche Verse zu schreiben. Im
Zeichnen und Malen übertrafen mich nur Wenige, und meine Art
Blumen zu streuen wurde allgemein bewundert. Groß war mein
Geschick im Färben der Kristalle und meine Kenntnis von der Herkunft
der Juwelen; keine Papageien oder Predigerkrähen sprachen so gut wie
diejenigen, die ich abgerichtet hatte. Auch verstand ich von Grund aus
das vierundsechzigfeldige Brettspiel, das Stäbchenspiel, das Bogenspiel
und das Ballspiel in allen seinen Abarten, sowie allerlei Rätsel- und
Blumenspiele. Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche
Redensart in Ujjeni: "Vielbefähigt wie der junge Kamanita."
[1] Das Oxford des alten Indien (in Pendschab gelegen).
Als ich zwanzig Jahre alt war, ließ mein Vater mich eines Tages rufen
und sprach also zu mir:
"Mein Sohn, deine Erziehung ist jetzt vollendet, und es ist Zeit, daß du
dich in der Welt umsiehst und dein Kaufmannsleben beginnst, auch
habe ich dafür jetzt eine gute Gelegenheit gefunden. In diesen Tagen
schickt unser König eine Gesandtschaft an den König Udena in
Kosambi, weit von hier, im Norden. Dort habe ich aber einen
Gastfreund Panada. Der hat mir längst gesagt, in Kosambi wäre mit
Produkten unseres Landes, besonders mit Bergkristallen und
Sandelpulver, sowie mit unseren kunstvollen Rohrgeflechten und
Weberwaren ein gutes Geschäft zu machen. Ich habe aber immer
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