üben, und ihrer naturgemäßen Entfaltung entgegen zu
führen. Diese Anstalt durfte ich besuchen, nachdem der Vater den Rat
erfahrener Männer eingeholt und sich selber durch den Augenschein
von den Dingen überzeugt hatte, die da vorgenommen wurden. Für
Mädchen bestand damals eine solche Anstalt nicht, daher ließ der Vater
für die Schwester in einem Zimmer unserer Wohnung so viele
Vorrichtungen machen, als er und unser Hausarzt, der ein Begünstiger
dieser Dinge war, für notwendig erachteten, und die Schwester mußte
sich den Übungen unterziehen, die durch die Vorrichtungen möglich
waren. Durch die Erwerbung des Vorstadthauses wurde die Sache noch
mehr erleichtert. Nicht nur hatten wir mehr Raum im Innern des Hauses,
um alle Vorrichtungen zu Körperübungen in besserem und
ausgedehnterem Maße anlegen zu können. sondern es war auch der
Hofraum und der Garten da, in denen an sich körperliche Übungen
vorgenommen werden konnten und die auch weitere Anlagen möglich
machten. Daß wir diese Sachen sehr gerne taten, begreift sich aus der
Feurigkeit und Beweglichkeit der Jugend von selber. Wir hatten schon
in der Kindheit schwimmen gelernt und gingen im Sommer fast täglich,
selbst da wir in der Vorstadt wohnten, von wo aus der Weg weiter war,
in die Anstalt, in welcher man schwimmen konnte. Selbst für Mädchen
waren damals schon eigene Schwimmanstalten errichtet. Auch
außerdem machten wir gerne weite Wege, besonders im Sommer.
Wenn wir im Freien außer der Stadt waren, erlaubten die Eltern, daß
ich mit der Schwester einen besonderen Umgang halten durfte. Wir
übten uns da im Zurücklegen bedeutender Wege oder in Besteigung
eines Berges. Dann kamen wir wieder an den Ort zurück, an welchem
uns die Eltern erwarteten. Anfangs ging meistens ein Diener mit uns,
später aber, da wir erwachsen waren, ließ man uns allein gehen. Um
besser und mit mehr Bequemlichkeit für die Eltern an jede beliebige
Stelle des Landes außerhalb der Stadt gelangen zu können, schaffte der
Vater in der Folge zwei Pferde an, und der Knecht, der bisher Gärtner
und gelegentlich unser Aufseher gewesen war, wurde jetzt auch
Kutscher. In einer Reitschule, in welcher zu verschiedenen Zeiten
Knaben und Mädchen lernen konnten, hatten wir reiten gelernt und
hatten später unsere bestimmten Wochentage, an denen wir uns zu
gewissen Stunden im Reiten üben konnten. Im Garten hatte ich
Gelegenheit, nach einem Ziele zu springen, auf schmalen Planken zu
gehen, auf Vorrichtungen zu klettern und mit steinernen Scheiben nach
einem Ziele oder nach größtmöglicher Entfernung zu werfen. Die
Schwester, so sehr sie von der Umgebung als Fräulein behandelt wurde,
liebte es doch sehr, bei sogenannten gröberen häuslichen Arbeiten
zuzugreifen, um zu zeigen, daß sie diese Dinge nicht nur verstehe,
sondern an Kraft auch die noch übertreffe, welche von Kindheit an bei
diesen Arbeiten gewesen sind. Die Eltern legten ihr bei diesem
Beginnen nicht nur keine Hindernisse in den Weg, sondern billigten es
sogar. Außerdem trieb sie noch das Lesen ihrer Bücher, machte Musik,
besonders auf dem Klaviere und auf der Harfe, zu der sie auch sang,
und malte mit Wasserfarben.
Als ich den letzten Lehrer verlor, der mich in Sprachen unterrichtet
hatte, als ich in denjenigen wissenschaftlichen Zweigen, in welchen
man einen längeren Unterricht für nötig gehalten hatte, weil sie
schwieriger oder wichtiger waren, solche Fortschritte gemacht hatte,
daß man einen Lehrer nicht mehr für notwendig erachtete, entstand die
Frage, wie es in Bezug auf meine erwählte wissenschaftliche Laufbahn
zu halten sei, ob man da einen gewissen Plan entwerfen und zu dessen
Ausführung Lehrer annehmen sollte. Ich bat, man möchte mir gar
keinen Lehrer mehr nehmen, ich würde die Sachen schon selber zu
betreiben suchen. Der Vater ging auf meinen Wunsch ein, und ich war
nun sehr freudig, keinen Lehrer mehr zu haben und auf mich allein
angewiesen zu sein.
Ich fragte Männer um Rat, welche einen großen wissenschaftlichen
Namen hatten und gewöhnlich an der einen oder der andern Anstalt der
Stadt beschäftigt waren. Ich näherte mich ihnen nur, wenn es ohne
Verletzung der Bescheidenheit geschehen konnte. Da es meistens nur
eine Anfrage war, die ich in Bezug auf mein Lernen an solche Männer
stellte, und da ich mich nicht in ihren Umgang drängte, so nahmen sie
meine Annäherung nicht übel, und die Antwort war immer sehr
freundlich und liebevoll. Auch waren unter den Männern, die
gelegentlich in unser Haus kamen, manche, die in gelehrten Dingen
bewandert waren. Auch an diese wandte ich mich. Meistens betrafen
die Anfragen Bücher und die Folge, in welcher sie vorgenommen
werden sollten. Ich trieb Anfangs jene Zweige fort, in denen ich schon
Unterricht erhalten hatte, weil man sie zu jener Zeit eben als Grundlage
einer allgemeinen menschlichen Bildung betrachtete, nur suchte ich
zum Teile mehr Ordnung in dieselben zu bringen, als bisher befolgt
worden war, zum Teile suchte ich mich auch in jenem Fache
auszudehnen, das mir mehr zuzusagen begann. Auf diese Weise
geschah es, daß in dem Ganzen doch noch eine ziemliche Ordnung
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