Der Nachsommer | Page 4

Adalbert Stifter
zeigte uns seine Bilder und
erklärte uns manches in denselben. Er sagte, daß er nur alte habe, die
einen gewissen Wert besitzen, den man immer haben könne, wenn man
einmal genötigt sein sollte, die Bilder zu verkaufen. Er zeigte uns,
wenn wir spazieren gingen, die Wirkungen von Licht und Schatten, er
nannte uns die Farben, welche sich an den Gegenständen befanden, und
erklärte uns die Linien, welche Bewegung verursachten, in welcher
Bewegung doch wieder eine Ruhe herrsche, und Ruhe in Bewegung sei
die Bedingung eines jeden Kunstwerkes. Er sprach mit uns auch von
seinen Büchern. Er erzählte uns, daß manche da seien, in welchen das
enthalten wäre, was sich mit dem menschlichen Geschlechte seit
seinem Beginne bis auf unsere Zeiten zugetragen habe, daß da die
Geschichten von Männern und Frauen erzählt werden, die einmal sehr
berühmt gewesen seien und vor langer Zeit, oft vor mehr als tausend
Jahren gelebt haben. Er sagte, daß in anderen das enthalten sei, was die
Menschen in vielen Jahren von der Welt und anderen Dingen, von ihrer
Einrichtung und Beschaffenheit in Erfahrung gebracht hätten. In
manchen sei zwar nicht enthalten, was geschehen sei, oder wie sich
manches befinde, sondern was die Menschen sich gedacht haben, was
sich hätte zutragen können, oder was sie für Meinungen über irdische
und überirdische Dinge hegen.
In dieser Zeit starb ein Großoheim von der Seite der Mutter. Die Mutter
erbte den Schmuck seiner vor ihm gestorbenen Frau, wir Kinder aber
sein übriges Vermögen. Der Vater legte es als unser natürlicher
Vormund unter mündelgemäßer Sicherheit an und tat alle Jahre die
Zinsen dazu.

Endlich waren wir so weit herangewachsen, daß der gewöhnliche
Unterricht, den wir bisher genossen hatten, nach und nach aufhören
mußte. Zuerst traten diejenigen Lehrer ab, die uns in den
Anfangsgründen der Kenntnisse unterwiesen hatten, die man
heutzutage für alle Menschen für notwendig hält, dann verminderten
sich auch die, welche uns in den Gegenständen Unterricht gegeben
hatten, die man Kindern beibringen läßt, welche zu den gebildeteren
oder ausgezeichneteren Ständen gehören sollen. Die Schwester mußte
nebst einigen Fächern, in denen sie sich noch weiter ausbilden sollte,
nach und nach in die Häuslichkeit eingeführt werden und die
wichtigsten Dinge derselben erlernen, daß sie einmal würdig in die
Fußstapfen der Mutter treten könnte. Ich trieb noch, nachdem ich die
Fächer erlernt hatte, die man in unseren Schulen als Vorkenntnisse und
Vorbereitungen zu den sogenannten Brotkenntnissen betrachtet,
einzelne Zweige fort, die schwieriger waren und in denen eine
Nachhilfe nicht entbehrt werden konnte. Endlich trat in Bezug auf mich
die Frage heran, was denn in der Zukunft mit mir zu geschehen habe,
und da tat der Vater etwas, was ihm von vielen Leuten sehr übel
genommen wurde. Er bestimmte mich nehmlich zu einem
Wissenschafter im Allgemeinen. Ich hatte bisher sehr fleißig gelernt
und jeden neuen Gegenstand, der von den Lehrern vorgenommen
wurde, mit großem Eifer ergriffen, so daß, wenn die Frage war, wie ich
in einem Unterrichtszweige genügt habe, das Urteil der Lehrer immer
auf großes Lob lautete. Ich hatte den angedeuteten Lebensberuf von
dem Vater selber verlangt und er dem Verlangten zugestimmt. Ich hatte
ihn verlangt, weil mich ein gewisser Drang meines Herzens dazu trieb.
Das sah ich wohl trotz meiner Jugend schon ein, daß ich nicht alle
Wissenschaften würde erlernen können; aber was und wie viel ich
lernen würde, das war mir eben so unbestimmt, als mein Gefühl
unbestimmt war, welches mich zu diesen Dingen trieb. Mir schwebte
auch nicht ein besonderer Nutzen vor, den ich durch mein Bestreben
erreichen wollte, sondern es war mir nur, als müßte ich so tun, als liege
etwas innerlich Gültiges und Wichtiges in der Zukunft. Was ich aber
im Einzelnen beginnen und an welchem Ende ich die Sache anfassen
sollte, das wußte weder ich, noch wußten es die Meinigen. Ich hatte
nicht die geringste Vorliebe für das eine oder das andere Fach, sondern
es schienen alle anstrebenswert, und ich hatte keinen Anhaltspunkt, aus

dem ich hätte schließen können, daß ich zu irgend einem Gegenstande
eine hervorragende Fähigkeit besäße, sondern es erschienen mir alle
nicht unüberwindlich. Auch meine Angehörigen konnten kein Merkmal
finden, aus dem sie einen ausschließlichen Beruf für eine Sache in mir
hätten wahrnehmen können.
Nicht die Ungeheuerlichkeit, welche in diesem Beginnen lag, war es,
was die Leute meinem Vater übelnahmen, sondern sie sagten, er hätte
mir einen Stand, der der bürgerlichen Gesellschaft nützlich ist, befehlen
sollen, damit ich demselben meine Zeit und mein Leben widme, und
einmal mit dem Bewußtsein scheiden könne, meine Schuldigkeit getan
zu haben.
Gegen diesen Einwurf sagte mein Vater, der Mensch sei nicht zuerst
der menschlichen Gesellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen.
Und wenn jeder seiner selbst willen auf die beste Art da sei, so sei er es
auch für die menschliche Gesellschaft. Wen Gott zum besten Maler auf
dieser Welt geschaffen hätte, der würde der Menschheit einen
schlechten Dienst tun,
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