Der Nachsommer | Page 3

Adalbert Stifter
größeres Zimmer zum
Bücherzimmer ein, als er in der Stadtwohnung gehabt hatte, auch
bestimmte er ein eigenes Zimmer zum Bilderzimmer; denn in der Stadt
mußten die Bilder wegen Mangels an Raum in verschiedenen Zimmern
zerstreut sein. Die Wände dieses neuen Bilderzimmers wurden mit
dunkelrotbraunen Tapeten überzogen, von denen sich die Goldrahmen
sehr schön abhoben. Der Fußboden war mit einem mattfarbigen
Teppiche belegt, damit er die Farben der Bilder nicht beirre. Der Vater
hatte sich eine Staffelei aus braunem Holze machen lassen, und diese
stand in dem Zimmer, damit man bald das eine, bald das andere Bild
darauf stellen und es genau in dem rechten Lichte betrachten konnte.
Für die alten geschnitzten und eingelegten Geräte wurde auch ein
eigenes Zimmer hergerichtet. Der Vater hatte einmal aus dem Gebirge
eine Zimmerdecke mitgebracht, welche aus Lindenholz und aus dem
Holze der Zirbelkiefer geschnitzt war. Diese Decke ließ er zusammen
legen und ließ sie mit einigen Zutaten versehen, die man nicht merkte,
so daß sie als Decke in dieses Zimmer paßte. Das freute uns Kinder
sehr, und wir saßen nun doppelt gerne in dem alten Zimmer, wenn uns
an Abenden der Vater und die Mutter dahin führten, und arbeiteten dort
etwas, und ließen uns von den Zeiten erzählen, in denen solche Sachen
gemacht worden sind.
Am Ende eines hölzernen Ganges, der in dem ersten Geschosse des
Hauses gegen den Garten hinaus lief, ließ er ein gläsernes Stübchen
machen, das heißt, ein Stübchen, dessen zwei Wände, die gegen den
Garten schauten, aus lauter Glastafeln bestanden; denn die Hinterwände
waren Holz. In dieses Stübchen tat er alte Waffen aus verschiedenen
Zeiten und mit verschiedenen Gestalten. Er ließ an den Stäben, in die
das Glas gefügt war, viel Efeu aus dem Garten herauswachsen, auch im
Innern ließ er Efeu an dem Gerippe ranken, daß derselbe um die alten
Waffen rauschte, wenn einzelne Glastafeln geöffnet wurden, und der
Wind durch dieselben herein zog. Eine große hölzerne Keule, welche in

dem Stübchen war und welche mit gräulichen Nägeln prangte, nannte
er Morgenstern, was uns Kindern gar nicht einleuchten wollte, da der
Morgenstern viel schöner war.
Noch war ein Zimmerchen, das er mit kunstreich abgenähten
rotseidenen Stoffen, die er gekauft hatte, überziehen ließ. Sonst aber
wußte man noch nicht, was in das Zimmer kommen würde.
In dem Garten war Zwergobst, es waren Gemüse- und Blumenbeete,
und an dem Ende desselben, von dem man auf die Berge sehen konnte,
welche die Stadt in einer Entfernung von einer halben Meile in einem
großen Bogen umgeben, befanden sich hohe Bäume und Grasplätze.
Das alte Gewächshaus hatte der Vater teils ausbessern, teils durch einen
Zubau vergrößern lassen.
Sonst hatte das Haus auch noch einen großen Hof, der gegen den
Garten zu offen war, in dem wir, wenn das Gartengras naß war, spielen
durften, und gegen welchen die Fenster der Küche, in der die Mutter
sich viel befand, und der Vorratskammern herab sahen.
Der Vater ging täglich morgens in die Stadt in sein Verkaufsgewölbe
und in seine Schreibstube. Die Handelsdiener mußten der Ordnung
halber mit ihm gehen. Um zwölf Uhr kam er zum Speisen so wie auch
jene Diener, welche nicht eben die Reihe traf, während der
Speisestunde in dem Verkaufsgewölbe zu wachen. Nachmittag ging er
größtenteils auch wieder in die Stadt. Die Sonntage und die Festtage
brachte er mit uns zu.
Von der Stadt wurden nun viel öfter Leute mit ihren Kindern zu uns
geladen, da wir mehr Raum hatten, und wir durften im Hofe oder in
dem Garten uns ergötzen. Die Lehrer kamen zu uns jetzt in die Vorstadt,
wie sie sonst in der Stadt zu uns gekommen waren.
Der Vater, welcher durch das viele Sitzen an dem Schreibtische sich
eine Krankheit zuzuziehen drohte, gönnte sich nur auf das Andringen
der Mutter täglich eine freie Zeit, welche er dazu verwendete,
Bewegung zu machen. In dieser Zeit ging er zuweilen in eine
Gemäldegalerie oder zu einem Freunde, bei welchem er ein Bild sehen
konnte, oder er ließ sich bei einem Fremden einführen, bei dem
Merkwürdigkeiten zu treffen waren. An schönen Sommerfesttagen
fuhren wir auch zuweilen ins Freie und brachten den Tag in einem
Dorfe oder auf einem Berge zu.
Die Mutter, welche über die Erwerbung des Vorstadthauses

außerordentlich erfreut war, widmete sich mit gesteigerter Tätigkeit
dem Hauswesen. Alle Samstage prangte das Linnen »weiß wie
Kirschenblüte« auf dem Aufhängeplatze im Garten, und Zimmer für
Zimmer mußte unter ihrer Aufsicht gereinigt werden, außer denen, in
welchen die Kostbarkeiten des Vaters waren, deren Abstäubung und
Reinigung immer unter seinen Augen vor sich gehen mußte. Das Obst,
die Blumen und die Gemüse des Gartens besorgte sie mit dem Vater
gemeinschaftlich. Sie bekam einen Ruf in der Umgebung, daß
Nachbarinnen kamen und von ihr Dienstboten verlangten, die in
unserem Hause gelernt hätten.
Als wir nach und nach heran wuchsen, wurden wir immer mehr in den
Umgang der Eltern gezogen; der Vater
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