Der Nachsommer | Page 2

Adalbert Stifter
Kindern und erzählte uns allerlei Dinge,
mitunter auch scherzhafte Geschichten und Märchen. Das Buch, in dem
er gelesen hatte, stellte er genau immer wieder in den Schrein, aus dem
er es genommen hatte, und wenn man gleich nach seinem Heraustritte
in das Bücherzimmer ging, konnte man nicht im geringsten
wahrnehmen, daß eben jemand hier gewesen sei und gelesen habe.
Überhaupt durfte bei dem Vater kein Zimmer die Spuren des
unmittelbaren Gebrauches zeigen, sondern mußte immer aufgeräumt
sein, als wäre es ein Prunkzimmer. Es sollte dafür aber aussprechen, zu
was es besonders bestimmt sei. Die gemischten Zimmer, wie er sich
ausdrückte, die mehreres zugleich sein können, Schlafzimmer,
Spielzimmer und dergleichen, konnte er nicht leiden. Jedes Ding und
jeder Mensch, pflegte er zu sagen, könne nur eines sein, dieses aber
muß er ganz sein. Dieser Zug strenger Genauigkeit prägte sich uns ein
und ließ uns auf die Befehle der Eltern achten, wenn wir sie auch nicht
verstanden. So zum Beispiele durften nicht einmal wir Kinder das
Schlafzimmer der Eltern betreten. Eine alte Magd war mit Ordnung und
Aufräumung desselben betraut.
In den Zimmern hingen hie und da Bilder, und es standen in manchen
Geräte, die aus alten Zeiten stammten und an denen wunderliche
Gestalten ausgeschnitten waren, oder in welchen sich aus
verschiedenen Hölzern eingelegte Laubwerke und Kreise und Linien
befanden.
Der Vater hatte auch einen Kasten, in welchem Münzen waren, von
denen er uns zuweilen einige zeigte. Da befanden sich vorzüglich
schöne Taler, auf welchen geharnischte Männer standen oder die
Angesichter mit unendlich vielen Locken zeigten, dann waren einige
aus sehr alten Zeiten mit wunderschönen Köpfen von Jünglingen oder
Frauen, und eine mit einem Manne, der Flügel an den Füßen hatte. Er
besaß auch Steine, in welche Dinge geschnitten waren. Er hielt diese
Steine sehr hoch und sagte, sie stammen aus dem kunstgeübtesten
Volke alter Zeiten, nehmlich aus dem alten Griechenlande her.
Manchmal zeigte er sie Freunden; diese standen lange an dem Kästchen
derselben, hielten den einen oder den andern in ihren Händen und
sprachen darüber.
Zuweilen kamen Menschen zu uns, aber nicht oft. Manches Mal
wurden Kinder zu uns eingeladen, mit denen wir spielen durften, und

öfter gingen wir auch mit den Eltern zu Leuten, welche Kinder hatten,
und uns Spiele veranstalteten. Den Unterricht erhielten wir in dem
Hause von Lehrern, und dieser Unterricht und die sogenannten
Arbeitsstunden, in denen von uns Kindern das verrichtet werden mußte,
was uns als Geschäft aufgetragen war, bildeten den regelmäßigen
Verlauf der Zeit, von welchem nicht abgewichen werden durfte.
Die Mutter war eine freundliche Frau, die uns Kinder ungemein liebte,
und die weit eher ein Abweichen von dem angegebenen Zeitenlaufe
zugunsten einer Lust gestattet hätte, wenn sie nicht von der Furcht vor
dem Vater davon abgehalten worden wäre. Sie ging in dem Hause
emsig herum, besorgte alles, ordnete alles, ließ aus der obgenannten
Furcht keine Ausnahme zu und war uns ein ebenso ehrwürdiges Bildnis
des Guten wie der Vater, von welchem Bildnisse gar nichts abgeändert
werden konnte. Zu Hause hatte sie gewöhnlich sehr einfache Kleider an.
Nur zuweilen, wenn sie mit dem Vater irgend wohin gehen mußte, tat
sie ihre stattlichen seidenen Kleider an und nahm ihren Schmuck, daß
wir meinten, sie sei wie eine Fee, welche in unsern Bilderbüchern
abgebildet war. Dabei fiel uns auf, daß sie immer ganz einfache,
obwohl sehr glänzende Steine hatte, und daß ihr der Vater nie die
geschnittenen umhing, von denen er doch sagte, daß sie so schöne
Gestalten in sich hätten.
Da wir Kinder noch sehr jung waren, brachte die Mutter den Sommer
immer mit uns auf dem Lande zu. Der Vater konnte uns nicht
Gesellschaft leisten, weil ihn seine Geschäfte in der Stadt festhielten;
aber an jedem Sonntage und an jedem Festtage kam er, blieb den
ganzen Tag bei uns und ließ sich von uns beherbergen. Im Laufe der
Woche besuchten wir ihn einmal, bisweilen auch zweimal in der Stadt,
in welchem Falle er uns dann bewirtete und beherbergte.
Dies hörte endlich auf, anfänglich weil der Vater älter wurde und die
Mutter, die er sehr verehrte, nicht mehr leicht entbehren konnte; später
aber aus dem Grunde, weil es ihm gelungen war, in der Vorstadt ein
Haus mit einem Garten zu erwerben, wo wir freie Luft genießen, uns
bewegen und gleichsam das ganze Jahr hindurch auf dem Lande
wohnen konnten.
Die Erwerbung des Vorstadthauses war eine große Freude. Es wurde
nun von dem alten, finstern Stadthause in das freundliche und
geräumige der Vorstadt gezogen. Der Vater hatte es vorher im

allgemeinen zusammen richten lassen, und selbst, da wir schon darin
wohnten, waren noch immer in verschiedenen Räumen desselben
Handwerksleute beschäftigt. Das Haus war nur für unsere Familie
bestimmt. Es wohnten nur noch unsere Handlungsdiener in demselben
und gleichsam als Pförtner und Gärtner ein ältlicher Mann mit seiner
Frau und seiner Tochter.
In diesem Hause richtete sich der Vater ein viel
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