ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, daß Herr von Erfft die Summe von
zweitausend Talern behoben habe.
Agathe begab sich in ihr Zimmer, setzte sich hin und wühlte die Stirn
in die Winkel beider Arme wie in ein Versteck. Sie schämte sich vor
dem Mittagslicht, und die erste Frage an ihr Inneres war, welchen
Makel sie auf sich geladen, welche Sünde sie unwissentlich begangen
haben könne. Sie war bereit, jeden Fehler in sich selbst zu suchen und
hätte sich eines Verbrechens bezichtigt, wenn sie es nur zu entdecken
vermocht und dadurch Klarheit erlangt hätte. Das Herz, das ihr am
teuersten war, in geheimnisvoller Weise umschleiert zu wissen, dünkte
ihr unerträglich. Desungeachtet bewahrte sie vor den Leuten ihre
Haltung, und kein Späherauge war imstande, hinter den wohlwollend
ernsten Zügen den nagenden Kummer zu bemerken.
So verging eine Woche. An einem Nachmittag stand Agathe im Hof
und sprach mit dem Inspektor, da kam der Bote und reichte ihr einen
Brief. Ohne zu sehen, spürte sie, daß der Brief von Sylvester war.
Diesmal versagte die Selbstbeherrschung: ihre Hand zitterte, ihr
Gesicht erbleichte. Sie eilte ins Haus; im Wohnzimmer mußte sie sich
an die zugeworfene Türe lehnen und die erregte Brust erst ausatmen
lassen, ehe sie die Briefhülle aufriß. Dann las sie, und ihre angespannte
Miene wurde mit jeder Sekunde ruhiger, aber auch verwunderter.
Der sonderbare Mann schrieb ihr, als ob es die natürlichste Sache von
der Welt sei, daß er sich fern von Haus und Hof befand und als ahne er
nichts von Agathes Herzensunruhe. Er wußte seine Mitteilungen in
einen anmutigen Stil zu kleiden; es war seine vorzügliche Gabe von
jeher gewesen, aber nie früher und nie mit solchem Recht hatte Agathe
dieser Gewandtheit so tiefes Mißtrauen entgegengesetzt; die glatten
und schmuckhaften Wendungen erschienen ihr wie Lügen, und sie
bedurfte der Mühe großer Selbstüberredung, damit die festgegründete
Achtung sich nicht verringerte, die sie gegen Sylvester hegte. Er
schrieb ihr von gleichgültigen Bekannten, die er getroffen, von der
Familie des Präsidenten, wo er diniert, von der Einladung des
Großherzogs, nach Karlsruhe zu kommen, von seiner Reiselust, von
einem schlechten Theaterstück das er gesehen; dann fuhr er fort: »Ich
bewohne zwei elende Zimmer im Gasthof, hoch oben im dritten Stock,
denn wegen der Nürnberger Messe ist alles überfüllt. Doch hat mir
dieses Ungemach zu einem kleinen Abenteuer verholfen. In dem
Fenster gegenüber ist eines Abends ein junges Mädchen aufgetaucht.
Wir haben einander in die Augen gesehen wie zwei Wesen von
verschiedenen Sternen. Sie ist mehr als jung, das Blut in ihren Adern
singt vor Jugend; dabei ist sie melancholisch wie alle Aufwachenden,
mit ihren schwarzen Judenaugen klagt sie mir das Leiden von vielen
Geschlechtern, und ihre Gebärden sind unbeholfen wie bei Gefangenen.
Wenn ich mit de Vriendts Schach spiele, denke ich an sie, wenn ich
durch die öden Säle der Residenz gehe, um meine geliebten Tiepolos
anzusehen, begleitet sie mich wie eine flehende Sklavin. Rätst du mir,
sie zu verführen, Agathe? Sie zu verführen, nur um sie loszuwerden?
Ich weiß, du legst auf eine Treue kein Gewicht, die sich nur um des
Scheines willen behauptet. Du hältst ja wenig von den Sinnenfreuden,
zu wenig vielleicht, um mich ganz zu verstehen. So weit ich Tier bin,
duldest du mich, deine Nachsicht ist zu überirdisch, als daß sie mich
nicht demütigen sollte.«
Agathe ließ das Blatt sinken und ihre Augen trübten sich gedankenvoll.
Das klang wie Ironie; für Ironie fehlte ihr das Verständnis. Nach einer
Weile las sie weiter: »Ich war nie der Ansicht, daß Blutstrieb ein
Brandmal der Kreatur sei. Soll ich meinen Gelüsten eine Larve
aufstecken, mit der sie heuchlerisch in mein Leben grinsen? Liebe ist
etwas sehr Weihevolles, aber auch etwas sehr Irdisches, und wir
müssen nicht fürchten, gemein zu werden, wenn wir unschuldig genug
sind, unsern Körper zu achten. Ich mache mir nichts aus der
schmachtenden Orientalin, ich mache mir aus keiner was, es ist nur
Begehrlichkeit, und nur lahme Seelen sind begehrlich. Meine Seele ist
lahm, Agathe, sie muß geheilt werden. Ich werde meinen Aufenthalt
verändern. Wohin ich gehe, kann ich noch nicht sagen; wann ich
zurückkehre, kann ich auch nicht sagen. Hab Geduld und vergiß für
einige Zeit deinen Sylvester.«
Es war Agathe zumute, als fließe Quecksilber über ihre Finger. Sie
faßte nicht die Worte; aus einem vertrauten Antlitz sprach eine
unbekannte Stimme; ein böser Geist täuschte die Gestalt eines
Freundes vor. Er ist krank, fuhr es ihr durch den Sinn, und da nun
Silvia mit groß fragenden Augen vor sie hintrat, als ahne das Kind den
Schmerz und Zwiespalt der Mutter und fordere stumm eine
entscheidende Handlung, beschloß sie zu ihm zu gehen. Es war Abend
geworden, als sie diesen Vorsatz gefaßt hatte, sie schickte zum
Inspektor hinüber und bestellte den Wagen. Am andern Tag, in
ziemlich früher Morgenstunde, fuhr sie in die Stadt.
Es war um eine Stunde zu spät.
* * *
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