Agathe
unterstützte ihn dabei, soweit sie es vermochte, und zu der
Ritterlichkeit, die er gegen sie an den Tag legte, gesellte sich
Dankbarkeit. Sie war nur um zwei Jahre jünger als er; dieser Umstand
machte sie um so mehr zu seiner Freundin; bei jedem vortretenden
Anlaß achtete er sie für gleichberechtigt. Es gab auch Zank, denn er
war jähzornig und nicht ohne Launen, und Agathe war nicht die Person,
die sich sklavisch unterwarf, aber jedesmal fühlte sie sich entzückt
durch sein williges Bemühen, ein Unrecht vergessen zu machen, das er
ihr zugefügt. Manchmal konnte er sie mit seinen Neckereien bis zu
Tränen bringen; dann nahm er am Abend irgendein Buch mit schönen
Gedichten und las ihr vor. Im dritten Jahre ihrer Ehe war ihnen ein
Kind geboren worden, ein Mädchen; es hieß Silvia, war jetzt sieben
Jahre alt und sehr schön. Am Vater wie an der Mutter hing es mit der
überschwenglichen Kraft, die der frühen Jugend eigen ist, und mit
seiner geschmeidigen Gestalt und seinem heitern Antlitz wandelte er
durch die Träume des Kindes wie ein Gott.
* * * * *
Von irgendeinem Tage ab, niemand konnte genau sagen von welchem,
veränderte sich Sylvesters Wesen ganz und gar. Eine unentschiedene,
schwankende, zweifelvolle Stimmung war ihm anzumerken, eine
Unlust, die sich bis zur Verdrossenheit steigerte und die Agathe mehr
und mehr Besorgnis einflößte. Bisweilen versuchte sie es, ihn aus sich
herauszulocken, aber er antwortete nur mit einem Achselzucken und
einem fremden Blick. Er hörte auf, sich mit Silvia zu beschäftigen; was
er mit dem Kind redete, klang gezwungen und zerstreut.
Umsonst grübelte Agathe über die Ursache der Verwandlung nach.
Umsonst ließ sie Leckerbissen für ihn kochen; umsonst machte sie ihm
einen englischen Hühnerhund und ein neues Jagdgewehr zum
Geschenk; umsonst waren ihre Anstrengungen, ihn aufzuheitern; er
schien wie eingemauert. Eines Tages trat sie in sein Zimmer und
beobachtete ihn, wie er, den Rücken gegen sie gekehrt, unbeweglich
vor dem Spiegel saß. Sie erschrak über den Ausdruck seines Gesichts,
den ihr der Spiegel zeigte. Sie näherte sich ihm; er hörte sie nicht. Er
hatte den Kopf auf die Hand gestützt, und sein Blick war verloren auf
das Ebenbild gerichtet. Sein Auge war voll Schwärze; um die Brauen
hatten sich dunkle Entschlüsse geballt wie Wolken um ein Gebirge; aus
den Lippen schien eine quälende Frage unhörbar zu dringen. Agathe
schlich davon, und als sie den Flur erreicht hatte, rang sie stumm die
Hände.
Ein anderes Mal geschah es, daß sie ihn, es war mitten in der Nacht, in
der Bibliothek unermüdlich auf- und abgehen hörte. Sie lag im Bett,
aber schlafen konnte sie nicht. Je länger sie dem Geräusch seiner
Schritte lauschte, je wacher wurden ihre Sinne. Endlich erhob sie sich,
umhüllte die Schultern, verließ das Zimmer und ging nacktfüßig die
Treppe hinauf. Leise pochte sie, denn sie wollte ihn nicht überfallen,
aber als sie die Klinke herabdrückte, merkte sie, daß die Tür verriegelt
war. Im selben Augenblick erlosch der Schein in den Ritzen und
Spalten, und drinnen wurde es still. Kein Zweifel, daß er das Klopfen
gehört, und daß er wußte, Agathe sei es, die vor der Schwelle stand. So
genügt also, dachte Agathe, das Bewußtsein meiner Nähe, um ihn mit
Furcht zu erfüllen, mit Furcht und mit solchem Abscheu, daß er die
Lampe ausbläst, um mich zu verscheuchen.
Am andern Morgen übergab sie das Kind der Pflege ihrer Wartefrau
und fuhr zu ihrer Schwester nach Eggenberg. Ihrem Gatten hinterließ
sie ein paar Zeilen, des Inhalts, daß sie Sehnsucht nach der Schwester
empfinde und sich für die Reise um so leichter entschlossen habe, als
sie annehme, daß er ihrer nicht bedürfe und eine Trennung von acht
oder zehn Tagen ihm in seiner gegenwärtigen Verfassung vielleicht
willkommen sei. Sie lebte bei Schwester und Schwager wie in einem
peinvollen Exil, doch stellte sie sich völlig harmlos, und kein Wunsch,
drohende Gefahren zu erörtern, war ihr anzusehen; es widersprach dem
Grundgefühl ihrer Natur, eine Sache vor andere Ohren zu bringen, die
einer nur mit sich selbst und seinem Partner ausmachen kann. Indessen
wartete sie von Tag zu Tag auf Nachricht; eine ihr eigentümliche
Halsstarrigkeit hinderte sie daran, die Frist zu brechen, die sie sich
selbst gesetzt, und als sie nach Verlauf von eineinhalb Wochen wieder
in Erfft eintraf, erfuhr sie, daß Sylvester schon vier Tage vorher
abgereist war. Er hatte Adam Hund mitgenommen, seinen Diener aus
früheren Jahren, den er nach seiner Verheiratung mit einer
Aschaffenburger Bierbrauerstochter als Verwalter in Dudsloch
angestellt hatte.
Kein Brief, kein Zeichen meldete ihr, wohin er sich gewandt. Frau
Österlein, Silvias Pflegerin, erzählte, er sei in der Nacht zuvor an das
Bett des Kindes getreten, habe es aus den Polstern gerissen und an
seine Brust gedrückt; Silvia habe jedoch fest geschlafen und von dem
Zwischenfall nichts in Erinnerung behalten. Fast gleichzeitig bekam
Agathe eine Post des Würzburger Bankhauses, worin ihr
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