Der Mann von vierzig Jahren

Jakob Wasserman
Mann von vierzig Jahren, by
Jakob Wassermann

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Title: Der Mann von vierzig Jahren
Author: Jakob Wassermann
Release Date: April 30, 2005 [EBook #15736]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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MANN VON VIERZIG JAHREN ***

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Der Mann von vierzig Jahren
Ein kleiner Roman

von
Jakob Wassermann
S. Fischer, Verlag, Berlin 1913 Erste bis zehnte Auflage.
* * * * *
Man weiß von Sternen, die ohne ergründbare Ursache ihr Licht
verlieren, um entweder für kurze Frist oder für immer in die Finsternis
des unendlichen Raums zu entschwinden; so gibt es auch Menschen,
deren Schicksal von einem gewissen Zeitpunkt ab in Dämmerung und
Dunkelheit gleitet.
Ein solcher Mann war der Herr von Erfft und Dudsloch, der gegen das
Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zwischen Würzburg
und Kitzingen im unterfränkischen Kreis lebte. Seine Wirtschaft und
seine häuslichen Angelegenheiten befanden sich in gutem Stand;
obwohl es ihm versagt war, einen Luxus zu entfalten, nach dem er sich
bisweilen in müßigen Stunden sehnen mochte, erlaubten ihm seine
Vermögensverhältnisse doch, alle Wünsche zu befriedigen, die durch
phantasievolle Neigung oder eingefleischte Gewohnheit in ihm
lebendig erhalten wurden. Die beiden Güter warfen ein ansehnliches
Erträgnis ab, die hypothekarische Belastung einzelner Grundstücke und
Neubauten wurde mit jeder Ernte geringer, und ein Kapital, das aus der
Mitgift der Frau und den allmählich angewachsenen Ersparnissen
bestand, war in einem Würzburger Bankhaus niedergelegt. Sylvester
von Erfft konnte mehrere Reitpferde und einen Kutschierwagen halten,
konnte ein ziemlich ausgedehntes Waldland pachten, um sich dem
Vergnügen der Jagd hinzugeben, konnte mit Agathe, seiner
Lebensgefährtin, kleine Reisen nach einer nördlich oder südlich
gelegenen Residenz unternehmen, weil hier ein Konzert, ein Theater,
dort ein geselliger Zirkel lockte, und war vor allem nicht daran
gehindert, seine Bibliothek zu bereichern, denn er war ein Mann von
Kenntnissen und lebhaften Interessen.
Doch an alledem fand sein heftiger Tätigkeitstrieb kein Genügen. In
seiner Jugend hatte er mehrere Jahre in England verbracht, und

nachdem er geheiratet hatte und landsässig geworden war,
beschäftigten ihn lange Zeit hindurch allerlei Reformpläne; er wollte
das Pachtwesen und die Ökonomieverwaltung nach englischem Muster
einrichten; er regte Versammlungen der Bauern an, in denen er
vorschlug, daß sie sich gegen den drohenden Industrialismus und die
wirtschaftliche Ausbeutung als starke Gemeinschaft zur Wehr setzen
möchten; er ging sogar damit um, die Erbfolge in den deutschen
Adelsfamilien nach dem Vorbild der englischen Aristokratie
umzugestalten und richtete eine Eingabe an den König, die von weitem
Blick und Sachkenntnis zeugte, aber nicht im mindesten beachtet
wurde, sondern ihm, als etwas davon verlautete, unter seinen
Standesgenossen Feindseligkeiten und Spöttereien zuzog. Sein
Schwager, der Major von Eggenberg auf Eggenberg, stellte ihn sogar
wegen dieser närrischen Schrift, wie er sich ausdrückte, zur Rede;
Sylvester schlug es ab, sich zu rechtfertigen, und lächelte nur, als der
Major ihm sagte, wenn er einen so unbändigen Tatendrang verspüre,
möge er sich doch wählen lassen und als Abgeordneter nach Frankfurt
gehen. Der Herr von Bismarck sei ja im Begriff, Deutschlands
leibhaftiges Unglück zu werden, und man brauche Männer im Kampf
gegen diesen Drachen.
Von so beschaffener Politik wollte Sylvester nichts wissen. Mehr als
eine höfliche Teilnahme konnte er denen nicht widmen, die das
Räderwerk der Staatsmaschine in Gang setzten; wer gut regierte, war
ihm schätzbar, den schlechten Herrn machten eifrige Diener nicht
besser. »Ich liebe meine Heimat,« pflegte er zu sagen, »die Erde, die
mich trägt und nährt, aber es ist mir gleichgültig, was diese Erde auf
den Landkarten für einen Farbenrand hat, und kein Minister kann von
mir verlangen, daß ich ihm meine Steuern mit einem patriotischen
Jubelgesang bezahle.« Wie so viele aufgeklärte und überlegene Geister
verstand er seine Zeit nicht recht. Es schien ihm eine tote Zeit zu sein;
eine leere und nüchterne Zeit, eine Zeit der Spießbürger, der schlechten
Musik, der schlechten Bücher, der geschmacklosen Möbel und des
unfruchtbaren Geschwätzes. Ihm dünkte, man mache nur deshalb soviel
Lärm, weil man die Dinge verwirren und die Ideen verfinstern wollte;
er glaubte nicht an eine gedeihliche Zukunft, ohne Hoffnung blickte er
auf sein Vaterland und ohne Anteil auf die trügerische Erregung seiner

Mitbürger, denn alles, was er selbst zu ihrem Besten hatte vornehmen
wollen, war schmählich mißlungen.
Dadurch wurden aber sein Lebensmut und seine Heiterkeit keineswegs
getrübt. In den letzten Jahren hatte er eine große Vorliebe für
Gartenkünste gefaßt, er hatte eine Orangerie gebaut und einen Gärtner
aus Richmond kommen lassen; mit diesem beriet er stundenlang über
die Anlage neuer Wege, über Pfropfungen und Verpflanzungen.
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