Der Mann von vierzig Jahren | Page 3

Jakob Wasserman
w��hlte die Stirn in die Winkel beider Arme wie in ein Versteck. Sie sch?mte sich vor dem Mittagslicht, und die erste Frage an ihr Inneres war, welchen Makel sie auf sich geladen, welche S��nde sie unwissentlich begangen haben k?nne. Sie war bereit, jeden Fehler in sich selbst zu suchen und h?tte sich eines Verbrechens bezichtigt, wenn sie es nur zu entdecken vermocht und dadurch Klarheit erlangt h?tte. Das Herz, das ihr am teuersten war, in geheimnisvoller Weise umschleiert zu wissen, d��nkte ihr unertr?glich. Desungeachtet bewahrte sie vor den Leuten ihre Haltung, und kein Sp?herauge war imstande, hinter den wohlwollend ernsten Z��gen den nagenden Kummer zu bemerken.
So verging eine Woche. An einem Nachmittag stand Agathe im Hof und sprach mit dem Inspektor, da kam der Bote und reichte ihr einen Brief. Ohne zu sehen, sp��rte sie, da? der Brief von Sylvester war. Diesmal versagte die Selbstbeherrschung: ihre Hand zitterte, ihr Gesicht erbleichte. Sie eilte ins Haus; im Wohnzimmer mu?te sie sich an die zugeworfene T��re lehnen und die erregte Brust erst ausatmen lassen, ehe sie die Briefh��lle aufri?. Dann las sie, und ihre angespannte Miene wurde mit jeder Sekunde ruhiger, aber auch verwunderter.
Der sonderbare Mann schrieb ihr, als ob es die nat��rlichste Sache von der Welt sei, da? er sich fern von Haus und Hof befand und als ahne er nichts von Agathes Herzensunruhe. Er wu?te seine Mitteilungen in einen anmutigen Stil zu kleiden; es war seine vorz��gliche Gabe von jeher gewesen, aber nie fr��her und nie mit solchem Recht hatte Agathe dieser Gewandtheit so tiefes Mi?trauen entgegengesetzt; die glatten und schmuckhaften Wendungen erschienen ihr wie L��gen, und sie bedurfte der M��he gro?er Selbst��berredung, damit die festgegr��ndete Achtung sich nicht verringerte, die sie gegen Sylvester hegte. Er schrieb ihr von gleichg��ltigen Bekannten, die er getroffen, von der Familie des Pr?sidenten, wo er diniert, von der Einladung des Gro?herzogs, nach Karlsruhe zu kommen, von seiner Reiselust, von einem schlechten Theaterst��ck das er gesehen; dann fuhr er fort: ?Ich bewohne zwei elende Zimmer im Gasthof, hoch oben im dritten Stock, denn wegen der N��rnberger Messe ist alles ��berf��llt. Doch hat mir dieses Ungemach zu einem kleinen Abenteuer verholfen. In dem Fenster gegen��ber ist eines Abends ein junges M?dchen aufgetaucht. Wir haben einander in die Augen gesehen wie zwei Wesen von verschiedenen Sternen. Sie ist mehr als jung, das Blut in ihren Adern singt vor Jugend; dabei ist sie melancholisch wie alle Aufwachenden, mit ihren schwarzen Judenaugen klagt sie mir das Leiden von vielen Geschlechtern, und ihre Geb?rden sind unbeholfen wie bei Gefangenen. Wenn ich mit de Vriendts Schach spiele, denke ich an sie, wenn ich durch die ?den S?le der Residenz gehe, um meine geliebten Tiepolos anzusehen, begleitet sie mich wie eine flehende Sklavin. R?tst du mir, sie zu verf��hren, Agathe? Sie zu verf��hren, nur um sie loszuwerden? Ich wei?, du legst auf eine Treue kein Gewicht, die sich nur um des Scheines willen behauptet. Du h?ltst ja wenig von den Sinnenfreuden, zu wenig vielleicht, um mich ganz zu verstehen. So weit ich Tier bin, duldest du mich, deine Nachsicht ist zu ��berirdisch, als da? sie mich nicht dem��tigen sollte.?
Agathe lie? das Blatt sinken und ihre Augen tr��bten sich gedankenvoll. Das klang wie Ironie; f��r Ironie fehlte ihr das Verst?ndnis. Nach einer Weile las sie weiter: ?Ich war nie der Ansicht, da? Blutstrieb ein Brandmal der Kreatur sei. Soll ich meinen Gel��sten eine Larve aufstecken, mit der sie heuchlerisch in mein Leben grinsen? Liebe ist etwas sehr Weihevolles, aber auch etwas sehr Irdisches, und wir m��ssen nicht f��rchten, gemein zu werden, wenn wir unschuldig genug sind, unsern K?rper zu achten. Ich mache mir nichts aus der schmachtenden Orientalin, ich mache mir aus keiner was, es ist nur Begehrlichkeit, und nur lahme Seelen sind begehrlich. Meine Seele ist lahm, Agathe, sie mu? geheilt werden. Ich werde meinen Aufenthalt ver?ndern. Wohin ich gehe, kann ich noch nicht sagen; wann ich zur��ckkehre, kann ich auch nicht sagen. Hab Geduld und vergi? f��r einige Zeit deinen Sylvester.?
Es war Agathe zumute, als flie?e Quecksilber ��ber ihre Finger. Sie fa?te nicht die Worte; aus einem vertrauten Antlitz sprach eine unbekannte Stimme; ein b?ser Geist t?uschte die Gestalt eines Freundes vor. Er ist krank, fuhr es ihr durch den Sinn, und da nun Silvia mit gro? fragenden Augen vor sie hintrat, als ahne das Kind den Schmerz und Zwiespalt der Mutter und fordere stumm eine entscheidende Handlung, beschlo? sie zu ihm zu gehen. Es war Abend geworden, als sie diesen Vorsatz gefa?t hatte, sie schickte zum Inspektor hin��ber und bestellte den Wagen. Am andern Tag, in ziemlich fr��her Morgenstunde, fuhr sie in die Stadt.
Es war um eine Stunde zu sp?t.
* * * * *
Agathe stammte aus einer angesehenen Adelsfamilie, die im Nassauischen beg��tert war. Ihr Vater hatte lange Zeit in Frankreich gelebt, hatte dann in Deutschland t?tigen Anteil an der
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