Der Mann von vierzig Jahren | Page 2

Jakob Wasserman
legte, gesellte sich Dankbarkeit. Sie war nur um zwei Jahre j��nger als er; dieser Umstand machte sie um so mehr zu seiner Freundin; bei jedem vortretenden Anla? achtete er sie f��r gleichberechtigt. Es gab auch Zank, denn er war j?hzornig und nicht ohne Launen, und Agathe war nicht die Person, die sich sklavisch unterwarf, aber jedesmal f��hlte sie sich entz��ckt durch sein williges Bem��hen, ein Unrecht vergessen zu machen, das er ihr zugef��gt. Manchmal konnte er sie mit seinen Neckereien bis zu Tr?nen bringen; dann nahm er am Abend irgendein Buch mit sch?nen Gedichten und las ihr vor. Im dritten Jahre ihrer Ehe war ihnen ein Kind geboren worden, ein M?dchen; es hie? Silvia, war jetzt sieben Jahre alt und sehr sch?n. Am Vater wie an der Mutter hing es mit der ��berschwenglichen Kraft, die der fr��hen Jugend eigen ist, und mit seiner geschmeidigen Gestalt und seinem heitern Antlitz wandelte er durch die Tr?ume des Kindes wie ein Gott.
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Von irgendeinem Tage ab, niemand konnte genau sagen von welchem, ver?nderte sich Sylvesters Wesen ganz und gar. Eine unentschiedene, schwankende, zweifelvolle Stimmung war ihm anzumerken, eine Unlust, die sich bis zur Verdrossenheit steigerte und die Agathe mehr und mehr Besorgnis einfl??te. Bisweilen versuchte sie es, ihn aus sich herauszulocken, aber er antwortete nur mit einem Achselzucken und einem fremden Blick. Er h?rte auf, sich mit Silvia zu besch?ftigen; was er mit dem Kind redete, klang gezwungen und zerstreut.
Umsonst gr��belte Agathe ��ber die Ursache der Verwandlung nach. Umsonst lie? sie Leckerbissen f��r ihn kochen; umsonst machte sie ihm einen englischen H��hnerhund und ein neues Jagdgewehr zum Geschenk; umsonst waren ihre Anstrengungen, ihn aufzuheitern; er schien wie eingemauert. Eines Tages trat sie in sein Zimmer und beobachtete ihn, wie er, den R��cken gegen sie gekehrt, unbeweglich vor dem Spiegel sa?. Sie erschrak ��ber den Ausdruck seines Gesichts, den ihr der Spiegel zeigte. Sie n?herte sich ihm; er h?rte sie nicht. Er hatte den Kopf auf die Hand gest��tzt, und sein Blick war verloren auf das Ebenbild gerichtet. Sein Auge war voll Schw?rze; um die Brauen hatten sich dunkle Entschl��sse geballt wie Wolken um ein Gebirge; aus den Lippen schien eine qu?lende Frage unh?rbar zu dringen. Agathe schlich davon, und als sie den Flur erreicht hatte, rang sie stumm die H?nde.
Ein anderes Mal geschah es, da? sie ihn, es war mitten in der Nacht, in der Bibliothek unerm��dlich auf- und abgehen h?rte. Sie lag im Bett, aber schlafen konnte sie nicht. Je l?nger sie dem Ger?usch seiner Schritte lauschte, je wacher wurden ihre Sinne. Endlich erhob sie sich, umh��llte die Schultern, verlie? das Zimmer und ging nacktf��?ig die Treppe hinauf. Leise pochte sie, denn sie wollte ihn nicht ��berfallen, aber als sie die Klinke herabdr��ckte, merkte sie, da? die T��r verriegelt war. Im selben Augenblick erlosch der Schein in den Ritzen und Spalten, und drinnen wurde es still. Kein Zweifel, da? er das Klopfen geh?rt, und da? er wu?te, Agathe sei es, die vor der Schwelle stand. So gen��gt also, dachte Agathe, das Bewu?tsein meiner N?he, um ihn mit Furcht zu erf��llen, mit Furcht und mit solchem Abscheu, da? er die Lampe ausbl?st, um mich zu verscheuchen.
Am andern Morgen ��bergab sie das Kind der Pflege ihrer Wartefrau und fuhr zu ihrer Schwester nach Eggenberg. Ihrem Gatten hinterlie? sie ein paar Zeilen, des Inhalts, da? sie Sehnsucht nach der Schwester empfinde und sich f��r die Reise um so leichter entschlossen habe, als sie annehme, da? er ihrer nicht bed��rfe und eine Trennung von acht oder zehn Tagen ihm in seiner gegenw?rtigen Verfassung vielleicht willkommen sei. Sie lebte bei Schwester und Schwager wie in einem peinvollen Exil, doch stellte sie sich v?llig harmlos, und kein Wunsch, drohende Gefahren zu er?rtern, war ihr anzusehen; es widersprach dem Grundgef��hl ihrer Natur, eine Sache vor andere Ohren zu bringen, die einer nur mit sich selbst und seinem Partner ausmachen kann. Indessen wartete sie von Tag zu Tag auf Nachricht; eine ihr eigent��mliche Halsstarrigkeit hinderte sie daran, die Frist zu brechen, die sie sich selbst gesetzt, und als sie nach Verlauf von eineinhalb Wochen wieder in Erfft eintraf, erfuhr sie, da? Sylvester schon vier Tage vorher abgereist war. Er hatte Adam Hund mitgenommen, seinen Diener aus fr��heren Jahren, den er nach seiner Verheiratung mit einer Aschaffenburger Bierbrauerstochter als Verwalter in Dudsloch angestellt hatte.
Kein Brief, kein Zeichen meldete ihr, wohin er sich gewandt. Frau ?sterlein, Silvias Pflegerin, erz?hlte, er sei in der Nacht zuvor an das Bett des Kindes getreten, habe es aus den Polstern gerissen und an seine Brust gedr��ckt; Silvia habe jedoch fest geschlafen und von dem Zwischenfall nichts in Erinnerung behalten. Fast gleichzeitig bekam Agathe eine Post des W��rzburger Bankhauses, worin ihr ordnungsgem?? mitgeteilt wurde, da? Herr von Erfft die Summe von zweitausend Talern behoben habe.
Agathe begab sich in ihr Zimmer, setzte sich hin und
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