zu nehmen, wenn in diesem Mund
schon das Wasser zusammenlief nach dem Braten, und der dampfende
Kohl die Nase kitzelte.
Aber anfangs hatte es ihn doch angeheimelt, das erste Mal und einige
Tage lang, als sie hier alle die Köpfe senkten und andachtsvoll auf die
gefalteten Hände in den Schoss sahen, bevor sie mit dem Löffel in die
Suppe fuhren. Das war so patriarchalisch, schlicht und einfältig. Er
tauchte in diese einfältige Frömmigkeit mit unter, es kam ein Gefühl
des Geborgenseins und des Vertrauens über ihn, wie im Elternhaus,
und er empfand einen grossen Respekt vor diesen einfachen Leuten.
Aber zuletzt war es ihm doch wieder komisch vorgekommen, dieses
beinahe marionettenhafte stumme Beten.
Er hatte verstohlen beobachtet. Der Schullehrer machte es einfach, still,
fast demütig. Es lag eine gewisse Würde in seinem Tun. Aber Mutter
Petersen machte es mit einer gewissen Ostentation, ruckweise, mit
strammen, kurzen Bewegungen, gleichsam taktmässig, im Paradeschritt
vor ihrem Herrn und Heiland. War sie fertig, griff sie sofort munter
zum Löffel, während ihr Eheherr auch darin eine gemessene Würde
bewahrte, langsam, zögernd nach dem Löffel langte, als schäme er sich,
Profanes und Heiliges so unvermittelt an einander zu koppeln.
Christine machte es nach Kinderart, gründlich, als sagte sie alle Gebete
her, die sie wusste. Aber ihre Augen gingen dabei verstohlen von einem
zum andern, und nie hörte sie vor den Eltern zu beten auf.
Heute sass sie verlegen vor ihrem Teller.
Randers wusste warum.
"Es war sehr jungshaft von dir," dachte er. "Wie konntest du dieses
Gänschen da küssen." Er schämte sich.
Nach Tisch lag er wieder auf der Bank unter den Buchen. Da lag er
lange, erst im Halbschlaf, die Stimmen der Schulkinder hörend und das
Geklapper ihrer Holzpantoffeln. Der Lehrer klatschte in die Hände, das
Signal, womit er den Anfang der Schulstunde verkündete und die
Säumigen von der Landstrasse und dem Spielplatz hinter dem
Schulhause in die Klasse rief. Randers versuchte etwas zu lesen, fiel
aber wieder in den dumpfen Zustand zwischen Wachen und Träumen
zurück, bis er sich gewaltsam aufraffte und die Müdigkeit abschüttelte.
Er steckte sich eine Cigarre an und begann in sein Notizbuch zu
kritzeln, Verse, die er den ganzen Morgen mit sich herumgetragen:
Umzwitschert rings von muntern Vogelscharen, Steht mir vor Augen
einer Laube Blühen, Und vor dem Tische unter goldnen Haaren Seh
flutentief ein Auge ich erglühen. Was trieb es mich, mit Glück und
Stern zu sparen Und mich zu weihen törichtem Bemühen? Nun schüre
ich in Aschen, die vor Jahren Geglüht, und seh sie in die Winde
sprühen.
Er hatte wieder die Sicilianenwut. Eine ganze Reihe von diesen
Dingern hatte er in der letzten Woche hingekritzelt, mit Blei, in kaum
lesbarer Schrift. Es stand alles bunt durcheinander! Einfälle über Kunst
und Literatur, Schuldenberechnungen, Wäschenotizen, und allerlei
gleichgültige Aufzeichnungen für den Tag. Manchmal war ein kräftiges
Urteil quer darüber geschrieben, wie: Unsinn! Blödsinn! Gewäsch!
Randers hatte eigentlich Notizen für Gerd Gerdsen machen wollen an
diesem Nachmittag. Aufzeichnungen aus seiner Jugendzeit. Aber er
wollte es nun lieber bis morgen lassen. Es träumte sich so nett hier.
Vom SchülhauseSchulhauselangen abgerissene Töne eines
Kirchenliedes, helle Kinderstimmen, und ab und an der harte, heisere
Bass des Lehrers.
8.
Abends kam ein Gewitter. Es war schnell heraufgezogen. Aus der alten
Wetterecke hinter dem Schulhause und dem Lehreracker, wo die
Wildkoppel und das Fürstenholz in einem stumpfen Winkel
zusammenstiessen, kam es her, eine schwarze Wand, die sich
gleichmässig vorschob. Eben hatte noch die Sonne hinter dem
Fürstenberg ein rotes Feuer angezündet, und jetzt war alles finster. Eine
unheimliche Stille. Kein Blatt rührte sich. Alles war wie verstummt und
erstarrt vor Angst. Dann ein dumpfes Grollen, einmal, langhinrollend,
dann Tropfen, zögernd, schwer auffallend, gleichsam versuchsweise.
Randers lag in seinem Zimmer auf dem Sofa und sah durch das offene
Fenster auf die dunkle Landstrasse. Draussen zerrte der Schullehrer
seine beiden Kühe hinter sich her. Die Ketten klirrten und die schweren
Holzpflöcke schleiften über den Kies des Gartens.
Dann kam der erste Blitz und ein heller, knatternder Donner. Und die
Holunderbüsche im Garten legten sich fast ganz auf die Seite und die
Fensterflügel rüttelten in den Angeln und eine Tür schlug zu.
Und dann rauschte der Regen herab. War das ein Platschen und
Klatschen, und Spritzen und Tropfen, von allen Zweigen, von der
Dachrinne, vom Gesimse. Drüben warf der Wind die Kronen der hohen
Buchen hin und her.
"Wie ein Schiff im Sturm," sagte Randers. Und er sah dieses Schiff, sah
es ganz deutlich. Es war ein grosser Dampfer. Die Wellen stürzten aufs
Deck. Die Masten krachten, er sah die entsetzten Passagiere, hörte ihr
Schreien. Und er sah den Kampf um die Rettungsgürtel.
Aber das alles verlor sich, verwirrte sich ihm in ein undeutliches
Gewimmel. Klar sah er nur den Kapitän auf der Brücke. Der ist blass
bis unter die Mütze, die mit dem Sturmband unterm Kinn befestigt ist.
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.