Der Mann im Nebel - Roman | Page 9

Gustav Falke

Aber wie aus Erz steht der Mann da, festgeklammert mit der Eisenfaust
an dem Geländer der Kommandobrücke. Jetzt beugt er sich nieder. Er
kritzelt etwas auf ein Blatt Papier, reicht es dem Lotsen. Der winkt ihm
mit heftigen, überredenden Gebärden. Er schüttelt den Kopf, er will
nicht weichen. Nicht vom Platz!
"Der Held! Der Held der!"

Randers rief es ganz laut. Er glühte vor Aufregung. Könnte er da oben
stehen. Sein Leben dafür!
Bis zum letzten Atemzuge da oben, einen letzten Gruss an Weib und
Kind, und hinein in den brüllenden, schäumenden, herrlichen
Mannestod.
Randers sass aufrecht auf dem Sofa und starrte wie geistesabwesend in
die Blitze und auf die sturmgepeitschten Bäume, als Mutter Petersen
ins Zimmer stürzte und um Christine jammerte. Sie sei nach
Schönfelde gegangen, um etwas vom Krämer zu holen. Nun sei sie
gewiss bei dem Unwetter unterwegs.
"So'n Gör is ja zu dumm!"
Randers sprang auf, er wollte der Kleinen entgegen. Mutter Petersen
wollte das nicht dulden.
"Nein, mein Mann soll. Aber wo is er nur? Er wird bei's Vieh sein!"
Aber Randers war schon draussen. Sie lief ihm nach, ob er denn keinen
Schirm mitnehmen wolle. Aber er hörte nicht, er lief nur immer darauf
los.
Was hatte er auch da auf dem Sofa zu liegen. Warum war er nicht
gleich hinausgelaufen?
Er atmete in tiefen Zügen die feuchte Luft, liess sich den Regen auf die
feuchten Wangen klatschen und den Wind um die Ohren sausen.
Welch ein, Ächzen und Knarren und Sausen und Donnern in den alten
Buchen und Eichen, Ja, das war Musik, die er liebte. Er vergass vor
lauter Lustgefühl beinah, weshalb er eigentlich hier bei dem Unwetter
die Landstrasse entlang lief, beinahe wirklich lief, als gälte es ein
Unglück zu verhüten. Er stürmte nur immer gerade aus und dachte
nichts anderes als: wie köstlich, wie ganz köstlich!
Bis er auf Christine traf. Na, ja, das war's ja! Die Kleine war also doch
unterwegs. Aber sie hatte sich unter ein Nussgebüsch geflüchtet. Sie
hatte den roten Rock von hinten über den Kopf genommen, und vorne
aufgehoben und ihre Krämerpakete hineingewickelt, um sie vor dem
Regen zu schützen. So machte sie eine wunderliche Figur in dem
groben, grauen Wollunterröckchen, Ihr erhitztes Gesicht lugte nur eben
aus der künstlichen Kapuze hervor, so sehr hatte sie sich
eingemummelt.
Ihre grossen schwarzen Augen blitzten auf, als sie Randers gewahrte.
"Nein, aber, wo wollen Sie denn hin in diesem Wetter? Sie werden ja

ganz nass!"
"Ich will dich holen, sie ängstigen sich schon um dich."
"Was 'n Unsinn!"
Er stand neben ihr, triefend.
Was nun? Er hätte doch lieber einen Schirm mitnehmen sollen. Jetzt
wurden zwei nass. Aber sie hatte doch Begleitung, Schutz. Wovor? Sie
sah nicht aus, als ob sie sich fürchtete.
Sie sagte nichts weiter, sie schien noch immer in der Erinnerung an die
kleine Geschichte vom Vormittag verlegen zu sein.
"Wir können hier doch nicht stehen bleiben," meinte er.
"Aber es regnet ja noch so."
Da fiel ihm ein, dass er sie mit unter seinen Regenrock nehmen könnte;
sie reichte ihm gerade bis zur Achselhöhle. Das kam ihm so lustig vor.
Er sagte es ihr. Sie wollte nicht, sie zierte sich, obwohl sie Lust dazu
hatte. Das sah er ihr an.
"Dummes Zeug! komm! Du wirst ja bis auf die Haut nass. So. Nimm
meinen Arm."
Sie wehrte auch nicht länger ab, sondern lachte herzlich über diesen
Spass.
"Aber Sie machen so lange Schritte," sagte sie, bemüht, mit ihm Takt
zu halten.
Er passte sich ihren Trippelschritten an, und so stapften sie etwas
unsicher unter einem Mantel auf der nassen Landstrasse hin. Sie sprach
vom Wetter, wie schrecklich es regnete, wie schön die Blitze seien, und
wenn ein besonders lauter, krachender Donner folgte, meinte sie: das
hat gewiss eingeschlagen.
Ihm war es wunderlich zu Mut mit dem jungen Ding allein auf der
stürmischen Landstrasse. Er hatte der Bequemlichkeit wegen seinen
rechten Arm um ihren Nacken gelegt. Er fühlte jede Bewegung des
jungen, lebenswarmen Körpers. Eine keusche Zärtlichkeit überkam ihn.
Er war jetzt ihr Beschützer.
"Geht's so? Gehst du auch trocken?"
"Wunderschön!"
Er führte sie vorsichtig um jede Pfütze herum, so dass sie über seine
ängstliche Vorsorge lachte.
"Ich hab doch schon nasse Füsse."
"Das geht aber nicht."

"Das macht mir nichts."
Ihr hübsches Gesichtchen lachte aus seinem schwarzen Gummimantel
heraus.
"Kiek! Seh ich nicht gelungen aus?"
Ob sie gar nicht mehr an den Kuss dachte?
So brachte er sie leidlich trocken nach Haus.
Nachher konnte er nicht einschlafen, trotzdem die Fenster offen
standen und die kühle, nach dem Gewitter erquicklich erfrischte Luft
ins Zimmer Hessen.
Ihm war sonderbar schwül zu Mute.
Als er endlich einschlief, ängsteten ihn wirre Träume.
Er sieht immer Christinens schwarze Augen mit einem seltsamen
Ausdruck auf sich gerichtet. Immer starren sie ihn an, zum
Verrücktwerden! Er schlägt danach, er stürzt sich auf sie.
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